Wissen, was zur Marke wirklich passt

Neue Farbe, neuer Sound, neue Packung, neuer Claim – wer in seine Marke investiert, will Kunden überzeugen. Die entscheiden sich meist spontan, unkontrolliert und intuitiv zum Kauf. Welche Assoziationen dabei den Kaufimpuls auslösen, können die Käufer selbst oft nicht genau sagen. Implizite Marktforschung hilft weiter.
Voller inkaufswagen mit Obst Gemüse Lebensmittel in Supermarkt (© Fotolia)

Frischer, moderner, saftiger – sie sah gut aus, die neue Verpackung, mit der die US-Getränkemarke Tropicana ihren Premium-Orangensaft auf Vordermann bringen wollte. Doch der Launchtermin Anfang 2009, vorbereitet von einer 35 Millionen Dollar teuren Kampagne, sollte sich als Eckdatum einer großen Fehlinvestition herausstellen. Nach wenigen Monaten war der Verkauf um 20 Prozent eingebrochen und Tropicana kehrte zur alten Hülle zurück. Ein Fallbeispiel, das seinerzeit die Runde in der Branche machte. Kein Wunder, denn welcher Marketingchef würde sich solch einen Fehlschlag wünschen. Inzwischen sind die Prüfinstrumente der Marketingstrategen immer feiner geworden, vor allem, wenn es um die entscheidenden, unbewussten Kundenwünsche und Automatismen bei der Kaufentscheidung geht – dem Feld der impliziten Marktforschung.

Verstehen, was Kunden mit Produkten wirklich verbindet

Dabei geht es darum, zu verstehen, was Kunden mit Produkten wirklich verbindet – und zwar unausgesprochen. Denn die tieferen Bande zwischen Mensch und Marke sind sehr häufig nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Und daher kaum mit einfachen, eben expliziten, „Was-finden-Sie-am-besten“-Fragen zu ermitteln. Vermutlich haben auch beim Tropicana-Karton Testpersonen bestätigt, dass die neue Verpackung „moderner“ aussieht. Stimmt ja auch, wenn man sich damit bewusst beschäftigt und explizit nach seiner Meinung gefragt wird.  Mit der wahren Entscheidungssituation am Point-of-Sale hat das aber leider oft nicht viel zu tun. Dort wird quasi automatisch entschieden ohne dass sich das der Verbraucher explizit bewusst macht. Visuelle Codes werden automatisch verarbeitet und in unserem Gehirn mit bestimmten Bedeutungen und Zugehörigkeiten verbunden.  Das gilt sogar in der Medizin. Dass Placebos durchaus Wirkung haben, ist bekannt. Dass aber rote Pillen den Blutdruck besser senken können als blaue, schon weniger. Dabei ist das sogar experimentell erwiesen.

Kunden entscheiden also in den wenigsten Fällen rational, sondern in den allermeisten Fällen spontan, aus dem Bauch heraus, auch wenn sie es oft anders empfinden. Für diese tiefgreifende Erkenntnis erhielt Psychologe Daniel Kahneman den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Mit dem Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ machte er seine Forschung einem größeren Publikum bekannt.

Wichtig ist die Unterscheidung von Emotion und Motivation

Experten wie der Neuropsychologe Dr. Christian Scheier betonen aber: „Wichtig ist die Unterscheidung von Emotion und Motivation, Motivation hat immer eine Zielkomponente. Das Gehirn ist fundamental zielorientiert – was will ich tun, haben oder sein? Das unterscheidet uns eben zum Beispiel vom emotionalen Affen.“ Trotzdem machten

selbst große Marken oft den Fehler, ihrem Produkt einfach ein paar gefühlige Elemente zu verpassen, erläutert Scheier, der auch Geschäftsführer des Markenberatungsunternehmens Decode ist. Er nennt als Beispiel das Soundlogo, das zu einem neuen Modell eines Premiumautoherstellers kreiert wurde – aus einem Fundus von 100 Vorschlägen wählte man einen Knabenchor aus. „Wenn man dem Kunden nun ins Gehirn schaut, was signalisiert dann ein Knabenchor? Jedenfalls nicht Souveränität oder Langlebigkeit oder Status, also Konzepte, die für die Automarke entscheidend sind.“ Entsprechend schlecht kam der Sound an.

Ins Gehirn des Konsumenten zu schauen, bevor man Farbe und Typografie für die Verpackung auswählt oder sich auf einen Sound festlegt, das ist das Ziel impliziter Marktforschungsmethoden. Sie konzentrieren sich darauf, zu erkennen, wie das System 1 im Konsumenten tickt. So bezeichnete Kahneman das Entscheidungssystem des Menschen, das unwillkürlich aktiv ist: schnell, ohne nachzudenken, effektiv, aber eben auch ohne Rücksicht auf rationale Argumente. System 2 hingegen, das „langsame Denken“, kommt zum Einsatz, wenn sich Menschen etwas bewusst machen, eben eine Nacht drüber schlafen. Etwas, das am Regal bei der Kaufentscheidung selten vorkommt.

Es ist konkret messbar, wie der Autopilot des Konsumenten tickt

Fortschritte bei den Neurowissenschaften machen konkret messbar, wie System 1, sozusagen der „Autopilot“ des Konsumenten, tickt. Ob also zu einer Marke intuitiv eher Blau oder Rot passt. Oder ob auf die Verbraucher die „normalen“ Models der Dove-Kampagnen wirklich mehr Eindruck machen als ausgewiesene Schönheitsideale von Max Factor. Dazu kann man – wie der Bonner Neurologe Prof. Christian Elger – die Probanden in einen funktionellen Magnetresonanz-Tomographen legen. Es geht aber auch mit Befragungsmethoden. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Reaktionszeit. Doch auch Geschwindigkeit ist nicht alles.

Neuropsychologe Scheier: „Es kommt darauf an, die Konzepte und Codes zu finden, die für die jeweilige Produktkategorie relevant sind. Dann weiß ich, welche Marke welche Belohnungen in dieser Kategorie besetzt – das erklärt oft, warum die eine Marke Marktführer ist, die andere aber nicht. Oder warum eine bestimmte Marke wie Nivea eher nicht Richtung Schönheit gehen sollte, weil dieses Thema bereits von L’Oreal besetzt ist.“ Implizit gemessene Erkenntnisse helfen ganz konkret weiter. So wollte man bei der Form der Flasche für eine neue Kinder-Sonnenmilch auf Nummer sicher gehen und wickelte über das Tool „Brand Association“ der Marktforschungssoftware quantilope eine implizite Marktforschung ab. Nachdem die verschiedenen Ziele und Vorstellungen der Kunden ermittelt waren, die für die Kategorie Kindersonnenmilch relevant waren, bekamen die Probanden bei der Online-Umfrage verschiedene Flaschenformen präsentiert, zu denen sie jeweils schnellstmöglich angeben sollten, was sie damit verbinden. Die präsentierten Formen waren vielfältig, sie reichten von der Quetschflasche über klassische Sonnenmilchbehälter bis zur Form, wie man sie für Babyöl kennt. Nach wenigen Stunden lag das Ergebnis vor: Am besten passt die Babyflasche zu den Vorstellungen der Verbraucher, was zu einer Kindersonnenmilch gehört. Herausgefunden ohne Hirnscanner.

Für die meisten Marketingentscheidungen steht kaum Zeit zur Verfügung

Also vor allem schnell und effizient. „Denn für die meisten Marketingentscheidungen steht nicht viel Zeit zur Verfügung. Wenn es um VKF-Aktionen, Anzeigenalternativen, Packungsänderungen oder ähnliche Maßnahmen geht, muss das Bewertungstool ebenso zuverlässig wie unkompliziert sein“, sagt Dr. Peter Aschmoneit, CEO und Co-Founder von quantilope, der auf jahrelange Erfahrung als Marketingdirektor in der Konsumgüterindustrie zurückblickt. So stellte auch Ferrero mit Hilfe von Scheier und Decode für sein Duplo ganz unterschiedlich gestaltete POS-Aufsteller auf den Prüfstand. Scheier: „Weil wir wissen, dass Schokogenuss in Deutschland immer mit schlechtem Gewissen zu tun hat, konnten wir voraussagen, dass der Aufsteller, der mit „andere beschenken“ verbunden wird, am besten performt. Weil er die Riegel in einer ausgestreckten Hand präsentiert. Das zeigte unsere Untersuchung, das belegten dann aber auch die Abverkaufszahlen.“

Ergebnisse, die Marketer erfreuen. Denn wenn Marke und Kunde so zusammenpassen, wissen sie, dass das Geld richtig angelegt ist. Und sie mit ihren Projekten nicht als negatives Branchenbeispiel enden. Wie so mancher Orangensaft.