Wie digitale Medien Messen verändern

Die Krise ist kein Thema mehr, die deutsche Messewirtschaft zeigt sich quicklebendig. Zugleich entwickelt sich die Kommunikation zwischen Veranstaltern, Ausstellern und Besuchern schnell und in großen Schritten weiter.

von Roland Karle

Zwischendurch mussten sogar für kurze Zeit die Pforten geschlossen werden. Die Videospielmesse Gamescom in Köln übertraf in diesem Jahr mit 275 000 Besuchern, 557 Ausstellern und 300 Produktpremieren bestehende Rekorde. In Friedrichshafen strömten über 40 000 Fachbesucher aus mehr als 100 Ländern zum 20. Geburtstag der Eurobike. Die Bilanz von Messechef Klaus Wellmann: „Super gelaufen.“

132 900 Fachbesucher und damit zwölf Prozent mehr als im Vorjahr kamen zur IFA nach Berlin, allein die Zahl der ausländischen Gäste verdoppelte sich. Mit einem Auftragsvolumen von 3,7 Milliarden Euro „bleibt die IFA die größte Ordermesse weltweit“, betont Hans-Joachim Kamp, Vorsitzender des ZVEI-Fachverbandes Consumer Elec-tronics und ZVEI-Vizepräsident.

Bei der IAA in Frankfurt freute sich Matthias Wissmann über 781 und somit ein Viertel mehr Aussteller als vor zwei Jahren, zudem über 180 Weltpremieren von Autoherstellern und -zulieferern. „Ein Feuerwerk an Innovationen“ hat der Präsident des Automobilverbands VDA ausgemacht.

Reichlich mit Superlativen verziert sind die vorgenannten Messen, die im August und September in Deutschland stattfanden. Und sie taugen als Beleg für die Vitalität der Branche. Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise scheinen überwunden. „Nach einer zögernden Erholung im Jahr 2010 sind die überregionalen Messen in Deutschland jetzt klar auf Wachstumskurs. Die Ausstellerzahlen der 85 Messen im 1. Halbjahr 2011 lagen im Durchschnitt um vier Prozent höher als bei den jeweiligen Vorveranstaltungen“, meldet der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (AUMA). Zum Vergleich: Im gesamten letzten Jahr gab es bei den Ausstellern nur ein mageres Plus von 0,2 Prozent gegenüber 2009, bei den Standflächen sogar einen Rückgang um drei Prozent. Die Belebung macht sich auch beim Publikum bemerkbar. War die Zahl der Besucher 2010 um 0,8 Prozent rückläufig, so verzeichneten die Messen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres ein Plus von rund vier Prozent.

Ungeachtet der Einzelergebnisse lässt sich festhalten: Für ausstellende Unternehmen ist die Beteiligung an Messen zu einem Fixpunkt in der Kommunikation geworden. Das lässt auch am stetig steigenden Anteil der Messebudgets an den Marketing-Gesamtausgaben ablesen. Lag die Quote 2000/01 laut AUMA-Messetrend noch bei 37 Prozent, so ist sie auf inzwischen 43 Prozent geklettert. Auch in absoluten Beträgen spiegelt sich der Trend: Vor zehn Jahren planten die Unternehmen mit Messebudgets von durchschnittlich 210 000 bis 225 000 Euro, während es zuletzt knapp 350 000 Euro waren.

Dabei hat sich auch die Rolle der Messeveranstalter deutlich verändert. Sie sind längst vom Raumvermieter zum Komplettdienstleister geworden. Zwar gibt es je nach Anbieter, Messe und Ort vernehmbare Unterschiede, doch das Selbstverständnis hat sich gewandelt. „Noch in den 90er Jahren war mit der Vermietung der Standfläche ein Großteil der Leistung erbracht“, sagt Gerald Böse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse. „Heute erwartet den Messeteilnehmer ein Rundum-Service, der ihn von allem entlastet – außer dem Geschäft.“ Der Slogan der Koelnmesse ist daher nicht einem Zufall entsprungen: „We energize your business“.

Die wichtigen Themen und das richtige Publikum auf die Messe zu bringen, gehört zu den Hauptaufgaben der Veranstalter. „Wir verstehen uns als Teilnehmer des Marktes und manchmal auch als Treiber von Trends“, sagt Hartwig von Saß, Leiter Kommunikation Deutsche Messe in Hannover. „Besucher sind die Währung, in der die Aussteller heute rechnen.“ Das ist ein Grund, weshalb die Deutsche Messe ein Multiplikatoren-Management aufgebaut hat und mit rund 6 000 Verbänden, Organisationen und Communitys zusammenarbeitet.

Messen werden zunehmend von Fachveranstaltungen flankiert. Bernd Aufderheide sieht darin einen wichtigen Mehrwert für Unternehmen und Besucher. „Wir entwickeln unser Angebot kontinuierlich weiter“, betont der Vorsitzende der Geschäftsführung Hamburg Messe und Congress. Zur Gastronomiemesse Internorga zum Beispiel wurde im vergangenen Jahr eine Newcomers‘ Area eingeführt, um Erstausstellern den Zugang zu erleichtern.

Zugleich gewinnt eine Messe dann an Bedeutung, wenn sie zentraler Anlauf- und Treffpunkt für einen Markt ist. Beispiel Berlin: Zur Internationalen Grünen Woche kommen jedes Jahr etwa 200 internationale Spitzenpolitiker. Rund 300 Konferenzen und Seminare finden statt, allein beim Global Forum for Food and Agriculture treffen 50 Agrarminister und 500 Top-Manager aus Agrar- und Ernährungswirtschaft zusammen. „Das Bedürfnis steigt, Messen als Anlass für internationale politische und wirtschaftliche Zusammenkünfte noch stärker zu nutzen“, stellt Messe-Berlin-Chef Raimund Hosch fest.

Deutschlands führender Messestandort Frankfurt hat 800 Millionen Euro in den vergangenen zehn Jahren investiert, unter anderem in den Neubau von Hallen und Cargo Center, in verbesserte IT-Strukturen und Dienstleistungen. „Hochkarätige Beratung und Service, die dem Aussteller wesentlichen Nutzwert bringen, sind heute genauso wichtig wie eine innovative Messe mit Trend- und Sonderschauen und begleitenden Kongressen“, sagt Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung Messe Frankfurt.

Unternehmen rechnen mit spitzem Bleistift. In Deutschland seien zwar die Standmieten „auf international niedrigem Niveau und in der Regel nicht der größte Aufwandsblock einer Messebeteiligung“, sagt Frank Thorwirth, Chef der Messe Essen. Dennoch: Das Verhältnis zwischen Kosten und Leistung muss stimmen. „Deshalb bieten wir immer öfter ganze Paketlösungen an“, betont Klaus Dittrich, Vorsitzender der Geschäftsführung Messe München. Die dort eingeführte „Initiative Messeerfolg“ bietet Hilfen wie Budgetplaner, Standplanungshilfe, Online-Terminvereinbarung und Einladungsservice. Die Aussteller sollen es so komfortabel wie möglich haben. Zumal für sie „Zeit und Expertise wesentliche Faktoren sind“, erklärt Bernd Aufderheide und verweist entsprechend auf „intensive Beratungsgespräche im Vorfeld von Veranstaltungen“.

Unternehmen können ihren Aufwand herunterschrauben, indem sie Aufgaben delegieren und Dienstleistungen einkaufen. „Wir organisieren für unsere Kunden auf Wunsch den gesamten Messeauftritt und den dazugehörigen Service“, sagt Martin Buhl-Wagner, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Messe. Ein Angebot, das inzwischen in unterschiedlicher Ausprägung fast sämtliche Messeveranstalter machen. So kann man zum Beispiel bei der Messe Frankfurt online unter Fairconstruction.com über einen Konfigurator einen Messestand planen, kalkulieren und direkt bestellen.

Die weiter zunehmende globale Vernetzung der Wirtschaft spiegelt sich auf den Messen. Seit Jahren kommen gut 50 Prozent der ausstellenden Firmen und rund ein Viertel der Besucher aus dem Ausland. 2010 waren es 2,55 Millionen, der zweitbeste absolute Wert nach dem Rekordjahr 2008, und mit 25,5 Prozent wurde sogar eine neue Spitzenquote erreicht. „Für unsere Aussteller spielt der Internationalisierungsgrad von Messen eine große Rolle“, sagt Thorwirth. Seit Jahren werden deutsche Aussteller durch den Auslandsmesse-Etat des Wirtschaftsministeriums unterstützt. Über aktuelle Fördermöglichkeiten, Termine wichtiger Auslandsmessen, Tipps zur Planung und Vorbereitung informiert der AUMA auf seiner Internetsite Auma.de.

Durch digitale Medien haben sich das Messewesen insgesamt und die Kommunikation von Veranstaltern, Ausstellern und Besuchern in den vergangenen Jahren teilweise erheblich verändert. „Mobile Websites werden zum Standard, auch für unsere Fachmessen“, nennt Peter Ottmann, CEO der Nürnberg Messe, ein aktuelles Beispiel. Die Entscheidung für oder gegen eine mobile Applikation hänge wesentlich von der Zielgruppe und den Kosten ab. Die Messe Frankfurt hat das branchenübergreifende, internationale Internet-Portal Productpilot.com eingeführt, das Einkäufern jederzeit und überall auch zu messefreien Zeiten ermöglicht, online nach Produkten zu recherchieren und Kontakt mit Anbietern aufzunehmen.

„Messe-Websites werden zum interaktiven Ganzjahresportal“, gibt Münchens Messechef Dittrich die Einschätzung einer ganzen Branche wieder. „Ohne Internet und Web 2.0 würden wir uns alle sehr schwertun. Die Nutzung digitaler Medien ist zur Selbstverständlichkeit geworden“, sagt Deutsche-Messe-Sprecher von Saß. In Hannover hat man mit der Tochterfirma Deutsche Messe Interactive eine Online-Plattform zur Vor- und Nachbereitung von Messen gegründet. Auf Basis einer zwei Millionen Kontakte umfassenden Datenbank können E-Mail-Kampagnen gefahren und für eine Geschäftsanbahnung relevante Entscheider ermittelt werden, Fachartikel in eine Online-Infobox eingestellt und, unterstützt durch das Call-Center, nach Messekontakten Besuchstermine vereinbart werden.

Online hat den Messen geholfen, zeitliche Beschränkungen und geografische Grenzen zu überwinden. „Das weltweite Messegeschäft konnte erst durch digitale Medien in die heutige Dimension gelangen“, folgert Berlins Messeboss Hosch und erinnert an den „Virtual Market Place“. „Dadurch haben wir vor zehn Jahren zunächst die ITB, später auch andere Veranstaltungen um eine virtuelle Laufzeitverlängerung ergänzt.“ Für viele Messepartner habe dieses bahnbrechende Instrument mit weltweitem Kontakt während des ganzen Jahres die Messebeteiligung erheblich verändert. Hosch: „Vorbereitung, Planung und Nachbereitung bis hin zum Nachmessegeschäft sind nicht nur leichter, sondern weitaus effektiver geworden.“

Der Boom der sozialen Kontaktnetzwerke im Internet wirkt sich ebenfalls aus. „Bei einigen Messen haben wir unser Kommunikationsverhalten völlig verändert und nutzen vermehrt Social-Media-Plattformen statt klassischer Informationskanäle und Werbeträger“, berichtet Kölns Messechef Böse. Die Facebook-Gruppen der Gamescom und der Photokina beispielsweise seien sehr aktiv und wüchsen stetig. „Bei der Dmexco haben wir unsere Zielgruppenansprache mittlerweile fast vollständig digitalisiert, das ist die Erwartungshaltung der Branche“, ergänzt Böse. Das hat Folgen: Die Geschwindigkeit der Kommunikation nehme dramatisch zu. „Das verkürzt unsere Reaktionszeiten und macht eine permanente Beobachtung der relevanten Kanäle unabdingbar.“

Digitale Plattformen gewännen als ergänzende Verlängerung von Messen an Bedeutung, ist Messe-Frankfurt-Boss Marzin überzeugt. „Aber der persönliche Kontakt und das sinnliche Erleben können dadurch nicht ersetzt werden.“ Oder, wie es Peter Ottmann aus Nürnberg ausdrückt: „Sie werden auch in Zukunft einen Händedruck nicht mailen können.“

Mehrspurig fahren

IAA: Autohersteller polieren ihre Marken und suchen den Dialog
100 Meter lang, 70 Meter breit und zwölf Meter hoch – der Audi-Pavillon auf der IAA war nicht zu übersehen. Erstmals präsentierte sich Audi mit einem frei stehenden Gebäude, durch das sich eine 400 Meter lange Fahrbahn über zwei Ebenen schlängelte. Bis zu neun Autos konnten, von außen sichtbar, gleichzeitig unterwegs sein. So wird ein Claim wie „Vorsprung durch Technik“, Markenkern des Fahrzeugherstellers, lebendig. Der Audi-Ring, entwickelt von Schmidhuber + Partner und KMS Team in München, bleibt bis zur Frankfurter Buchmesse Mitte Oktober stehen. „Die Präsentation von Fahrzeugen und Themen wird mit den Elementen eines Events kombiniert“, erläutert KMS-Team-Geschäftsführer Armin Schlamp Idee und Umsetzung des Messeauftritts. Besucher werden ins Geschehen eingebunden und „es kommt zu einer unmittelbaren Interaktion mit der Marke“, so Schlamp.

Die IAA gilt nicht nur für die Autoindustrie als Trendbarometer, sondern auch für das Messewesen. FAMAB Verband Direkte Wirtschaftskommunikation hat genau hingeschaut: Zu den auffälligsten Trends der IAA zählen Nachhaltigkeit, innovative, helle Bodenbeläge und modernste LED-Technologie. So bildeten LED-Bänder bei Audi und BMW den Hintergrund für sich bewegende Fahrzeuge, bei Mercedes ergoss sich die LED-Fläche wie ein Wasserfall von der Decke der Festhalle bis zum Erdgeschoss, bei VW wurde mittels LEDs das haushohe dreidimensionale Up-Logo zum Leben erweckt. „Die Branche hat wieder einmal bewiesen, welch kreatives Potenzial, logistisches Know-how und handwerkliche Fähigkeiten in ihr stecken“, lobt FAMAB-Geschäftsführerin Elfie Adler die Qualität der Auftritte und der Veranstaltung.

Nachhaltigkeit zeigten die Autohersteller vor allem bei Kleinwagen und Elektromobilen, aber sie achteten auch beim Einsatz der Messestandmaterialien auf Wiederverwendbarkeit. Porsche etwa setzte eine lang haltbare Keramikfliese ein, extrem dünn und mit einer leichten Trägerplatte verklebt. Auch LEDs passten angesichts geringen Stromverbrauchs und Wiedereinsetzbarkeit ins Bild.
Die zunehmende Vernetzung von Messen mit digitalen Medien war vielerorts erkennbar. So präsentierte Mercedes-Benz die Pressekonferenz zum Start der IAA live auf seiner Facebook-Seite. Jean Aw vom US-Blog notcot.org interviewte die Mercedes-Markenmanager Christoph Horn und Anders-Sundt Jensen zu den Neuheiten auf der IAA. Das Gespräch wurde direkt auf Facebook übertragen, zugleich konnte man online Fragen stellen und sich somit ins Gespräch einklinken. Zudem nutzte Mercedes das Interesse während der IAA, um ein Online-Casting zu starten. Gesucht wurde ein Gastreporter für das Online-Team des Autobauers, rund vier Millionen Mercedes-Benz-Fans auf Facebook konnten abstimmen und so den Gewinner ermitteln.

Virtuell inszenieren, echt anfassen

Die Szenografen von Milla & Partner in Stuttgart besuchen Messen und Ausstellungen in aller Welt. Geschäftsführer und Kreativ-Direktor Johannes Milla beschreibt sechs aktuelle Trends in der Messe-Kommunikation.

1. Klare Zeichen setzen: Zunehmend klare und einfache Gestaltung, weniger Text, klare Typo und aufs absolut Wesentliche reduzierte Piktogramme – besonders dort, wo es um die Vermittlung komplexer Inhalte geht.
2. Übergänge in den digitalen Raum schaffen: Messestände werden verstärkt medial aufgeladen und virtuell erweitert. Dabei gelingt es immer häufiger, die Grenzen zwischen medialen Inhalten und realen Erlebnissen aufzulösen.
3. Intimität durch mobiles Marketing erzeugen: Mobiles Marketing bietet einen intimen Zugang zum Nutzer. Mobile Apps sind ideal, um persönliche, maßgeschneiderte Erlebnisse zu generieren, Kunden auf individuellen Wegen zum Produkt zu führen.
4. Modulare Systeme und mobile Exponate einsetzen: Der Trend zu modularen Standkonzepten und mobilen Exponaten nimmt zu. Sie ermöglichen einen flexiblen, mehrfachen Einsatz in verschiedenen Zusammenhängen. Gekonnt gemacht lässt sich so – ohne Qualitätsabstriche in Konzeption und Ausführung – das Budget schonen.
5. Messestände zum Veranstaltungsort machen: Immer häufiger werden Messeauftritte auch als Rahmen für Mitarbeiter- und Kunden-Events genutzt. Das stellt besondere Anforderungen an die Gestaltung und die Variabilität von Messeständen.
6. Reale Produkte live demonstrieren: Festo lässt auf der Hannover Messe seinen „Smart Bird“ kreisen, auf der IAA umfahren BMW-Modelle auf einer eigens gebauten Straße den Stand der Marke, und auf der Drupa werden mächtige Druckmaschinen mit riesigen Papierrollen gefüttert. Reale Produkte in Aktion sind mitreißender als jede mediale Präsentation.

»Besser machen, nicht größer«

Multivac-Firmenchef und AUMA-Vorsitzender Hans-Joachim Boekstegers über die Rolle von Messen im Marketing-Mix, die Bedeutung des Standpersonals und seine Erwartungen an Veranstalter.

Die Fragen stellte Roland Karle.

Wie viele Tage im Jahr verbringen Sie persönlich auf Messen?

HANS-JOACHIM BOEKSTEGERS: Wenn Leitmessen wie die Interpack stattfinden, sind es rund zehn Tage, ansonsten fünf. Hauptsächlich betreue ich dann wichtige Kunden, sehe mir aber auch an, wie Wettbewerber auftreten.

Wie haben sich Messen und Ausstellungen im Vergleich zu früheren Zeiten verändert?

BOEKSTEGERS: Aus unserer Sicht entwickeln sich die Messen sehr stark zu Informationsplattformen, auf denen weniger Abschlüsse getätigt werden als in der Vergangenheit. Das operative Geschäft findet beim Kunden statt. Aber Messen machen den Unterschied in Bezug auf die Marke.

Haben Messen für Ihr Unternehmen heute die gleiche Bedeutung wie vor zehn Jahren?

BOEKSTEGERS: Im Rahmen unserer Internationalisierung ist der Messeetat in den vergangenen zehn Jahren beträchtlich gewachsen. Jede unserer weltweit über 60 Vertriebsgesellschaften nimmt an mindestens einer lokalen Messeveranstaltung teil, um dort das Produkt- und Leistungsportfolio unseres Unternehmens zu präsentieren.

Laut AUMA geben ausstellende Unternehmen 43 Prozent ihres Kommunikationsbudgets für Messen aus. Eine Investition, die sich rechnet oder an der es öfter mal Zweifel gibt?

BOEKSTEGERS: Ganz klar: Eine Investition, die sich rechnet. Man investiert nur dann in solchen Größenordnungen, wenn es sich lohnt. Das kann ich auch für den gesamten Maschinenbau sagen. In der letzten Wirtschaftskrise haben natürlich viele Unternehmen auch ihre Messe-Etats gesenkt, aber in erheblich geringerem Maße als bei anderen Medien. Dadurch ist der Messeanteil am Marketingbudget teilweise noch gestiegen. Die Zweifel am Medium Messe sind also sehr gering.

Wo sehen Sie Einsparmöglichkeiten?

BOEKSTEGERS: Multivac gibt rund 60 Prozent des Marketingbudgets für Messen aus, weil wir sie für ein sehr effizientes Instrument halten. Natürlich muss man darauf achten, ob bei einzelnen Beteiligungen auch kleinere Flächen ausreichen. Hier geht Qualität immer vor Quantität. In Einzelfällen, etwa bei internationalen Leitmessen, tendieren wir aber auch dazu, unsere Standflächen zu vergrößern.

Woran messen Sie den Erfolg eines Messeauftritts?

BOEKSTEGERS: Quantitativ erfolgt unter anderem eine exakte Budgetkontrolle, die auch als Planungsgrundlage für die Folgeveranstaltung genutzt wird. Ebenso erfolgt eine Nachverfolgung der auf der Messe generierten Leads. Zur qualitativen Erfolgsmessung führen wir vor allem bei internationalen Leitmessen Befragungen von Besuchern und unseres eigenen Standteams durch. Die Resultate werden auch als Basis für die kontinuierliche Weiterentwicklung unseres Messe- und Kommunikationskonzeptes genutzt.

Wünschen Sie sich eine bessere Kostentransparenz für Messeauftritte?

BOEKSTEGERS: Transparenz ist wichtig bei den doch erheblichen Kosten für Messebeteiligungen. Für kleinere Unternehmen sind Paketpreise sicherlich interessant. Mittlere und größere Aussteller brauchen aber Kenntnis über die Kosten der einzelnen Leistungen, damit man zur Not an entsprechenden Stellschrauben drehen kann.

Worauf legen Sie im Vorfeld einer Messe besonderen Wert?

BOEKSTEGERS: Ein ganz wichtiger Punkt ist die optimale Vorbereitung des Standpersonals, wofür wir einen beträchtlichen Zeit- und Ressourcenaufwand investieren. Das hat mittelbare Wirkung auf den Messe-Erfolg. Unsere Mitarbeiter müssen wissen, welche Ziele das Unternehmen verfolgt, wie sie Besucher ansprechen sollen und welchen Verhandlungsspielraum sie haben. Dann kann ich auf einer Messe oder unmittelbar danach auch direkte Geschäfte abschließen.

Messeveranstalter verstanden sich früher zuvorderst als Raumvermieter und Organisator von Branchentreffen. Was erwarten Sie als Unternehmer?

BOEKSTEGERS: Messebeteiligungen sind sehr komplex. Die Vorbereitung kostet Zeit und man braucht viele Dienstleister. Alles, was dem Aussteller die Vorbereitung erleichtert, ist willkommen. Vor allem aber muss die Qualität der Messe stimmen: Sie braucht ein klares Profil, damit die richtigen Besucher kommen. Die Investitionen eines Veranstalters in das Besuchermarketing und den Service sind wichtiger als zum Beispiel eine exklusive Messe-Architektur.

Werden digitale Medien richtig eingesetzt und ihre Vorteile genutzt?

BOEKSTEGERS: Vieles ist noch im Aufbau. Wichtig ist vor allem die systematische, individuelle Besucheransprache. Hier sind uns manche Wettbewerber im Ausland immer noch voraus. Hier müsste im digitalen Zeitalter mehr möglich sein. Schließlich haben viele Veranstalter stark in Besucherregis-trierung und Einlass-Systeme investiert und damit wichtige Voraussetzungen geschaffen.

Deutschland ist ein international führender Messestandort. Sehen Sie in den nächsten Jahren noch Wachstumspotenzial?

BOEKSTEGERS: Das Niveau der Aussteller- und der Besucherzahlen ist schon so hoch, dass Wachstumsraten von zwei bis vier Prozent ordentliche Werte sind. Wir müssen eher wegkommen vom Mengendenken. Viel wichtiger ist, dass die Qualität der Besucher stimmt, ihre Qualifikation, ihre Entscheidungskompetenz. Mittelfristig geht es darum, die Messen besser zu machen, nicht unbedingt größer.

Die Zahl ausländischer Aussteller und Besucher hat in den vergangenen Jahren zugenommen, ebenso die Zahl der Messen in Wachstumsregionen wie China und Indien. Wird es bald zu einer nennenswerten Verschiebung im internationalen Messemarkt kommen?

BOEKSTEGERS: Ich bin davon überzeugt, dass die internationalen Leitmessen auf absehbare Zeit in Deutschland bleiben werden – Messen mit Besuchern aus aller Welt, auf denen die wesentlichen Innovationen gezeigt werden. Trotzdem wird es große Messen in China, Indien oder Brasilien geben, allein schon wegen der riesigen Binnenmärkte. Diese Messen können rein mengenmäßig ähnlich viele Aussteller und Besucher haben wie Leitmessen in Deutschland, aber mit ganz anderer Aussteller- und Besucherstruktur. Auch deshalb ist es wichtig, dass Aussteller nicht nur auf Masse achten, sondern Besucherstrukturdaten auswerten, etwa die zertifizierten Besucheranalysen der FKM, der Gesellschaft zur Freiwilligen Kontrolle von Messe- und Ausstellungszahlen.

Was sind Ihre nächsten großen Aufgaben und Ziele als AUMA-Vorstandsvorsitzender?

BOEKSTEGERS: Ein ganz wichtiger Punkt ist die Sicherung des so genannten Auslandsmesse-Etats, also der Unterstützung deutscher Aussteller auf Auslandsmessen durch das Wirtschaftsministerium. Angesichts der labilen Weltwirtschaftslage müssen wir gerade kleineren Unternehmen bei ihren Exportaktivitäten helfen. Außerdem wird der AUMA im nächsten Frühjahr die Ergebnisse der aktualisierten Studie Messen 2020 vorlegen, die Professor Kirchgeorg von der Handelshochschule Leipzig für uns erstellt. Darin wird es auch um die mittelfristige Marktposition der Messen generell und speziell der deutschen Messen gehen. Aus den Ergebnissen wird der AUMA ableiten müssen, wie er künftig Aussteller, Besucher und Veranstalter unterstützen kann, vielleicht auch mit anderen Instrumenten und Informationen als heute.

Zur Person:

Hans-Joachim Boekstegers, 56, ist Vorsitzender und Sprecher der Geschäftsführung der Multivac Sepp Haggenmüller in Wolfertschwenden/Allgäu, eines weltweit führenden Anbieters von Verpackungslösungen. Zudem fungiert der in Kapstadt geborene Wirtschaftsingenieur als Vorsitzender des AUMA (Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.).

Marken inszenieren mit allen Sinnen

Messen werden lauter, schriller, bunter. Der Trend zur Eventisierung überfordert inzwischen viele Besucher. Bei all der Reizflut braucht es gut geplante Erholungsorte und Oasen der Entspannung.

von Constanze Frowein

Lange galt für die Präsenz von Unternehmen mit einem Messeauftritt das Motto „Höher, greller, bunter“. Messen wie zum Beispiel die IFA in Berlin, die weltgrößte Messe für Consumer-Electronics, überfluten die Besucher heute mit überdimensionierten Displays, Leuchtobjekten und Soundmaschinen. Der Trend zur Eventisierung befördert dieses Phänomen: Rund um die Messe werden Veranstaltungen initiiert und die Reizüberflutung um ein Vielfaches verstärkt.

So bewirbt die IFA weit im Vorfeld begleitende Events wie die Konzerte im IFA-Sommergarten, Autogramm-stunden und Kochshows. Die Aussteller imponieren und wetteifern mit riesigen Ausstellungsflächen. Auch heute noch kann die Größe eines Messeauftrittes beeindrucken. Allerdings reicht Größe nicht aus, um sich von der Konkurrenz abzuheben.

Einige Aussteller erkennen, dass die Reizüberflutung auf Messen ein Problem ist – und verstehen es für ihren eigenen Auftritt positiv zu nutzen. Statt sich im Wettbewerb gegenseitig mit Superlativen zu überbieten, haben sie den Mut, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Markenbotschaften gemeinsam mit Messedesignern in eine CI-getreue Markenarchitektur zu übersetzen.

Im Idealfall schaffen diese Unterneh-men wahre Entspannungsoasen für Augen, Ohren und Füße, ohne die eigenen Zielvorgaben zu verpassen. So kann die Verweildauer auf dem Messestand verlängert werden, um die Inhalte auch über die Markenarchitektur nachhaltig zu transportieren. Ein gutes Beispiel ist Philips Ligh-ting mit der Marketingkampagne zur Light + Building 2010. Das Unternehmen beauftragte seine Messedesign-Agentur, den Kampagnen-Claim „Feel what light can do“ auf die Messearchitektur auf der Weltleitmesse für Architektur und Technik zu übertragen. Wie sich Licht positiv auf das menschliche Wohlbefinden auswirken kann, zeigte die entstandene Lichtarchitektur: Eine 260 Meter lange Welle aus Licht visualisierte das Thema und schuf ein Wohlbefinden in der gesamten Halle des Forums der Messe Frankfurt. Auf der luminösen Stoffmembran pulsier-te in einem 60-minütigen Loop eine Choreografie aus Klanginstallationen, Farbtönen und visuellen Stimmungen. Die Lichtatmosphären wurden nach und nach im gesamten Markenraum verbreitet, ohne eine ständige Reizüberflutung zu erzeugen.

Freiraum schufen sechs großzügige, in die Lightwave eingebettete Innenhöfe. Hier fanden die Messebesucher Raum, um die Lichtstimmungen unter echten Hainbuchen auf sich wirken zu lassen. Das Messeziel wurde mit diesem Raum und Rahmen des Sich-Wohlfühlens nicht aus den Augen verloren: Statt banaler Produktpräsentation zeigte die Messeausstellung innovative Licht-
lösungen. Und die Fachbesucher entdeckten Anwendungsbeispiele und Produkte für unterschiedliche Themen. Zum Beispiel, wie sich unterschiedliche Lichtfarben auf das Lernverhalten in Schulgebäuden auswirken können. Die zwischen Reizen und Ruhe ausgewogene Kommunikationsarchitektur wurde übrigens mit dem goldenen iF Communication Design Award und dem Silbernen Adam Award belohnt.

Ein weiteres Beispiel für großzügige Markenarchitektur bietet Electrolux auf der IFA. Eine von der Messehektik abgeschirmte Markenwelt eröffnet sich dem Besucher mit dem weitläufigen Entree. Eine sanfte mediale Deckenbespielung begleitet die Besucher ins Innere des Standes. Weiche Formen fließen im Rhythmus des Besucherstroms über die warm leuchtende Decke. Eine Allee aus Kastanien, Kirschbäumen und Linden eröffnet den Weg zu den einzelnen Produktbereichen und bietet Raum für Ruhe und Muße. Unter den Bäumen können die Besucher Platz nehmen und in entspannter Atmosphäre Gespräche führen.

Die Idee für diesen Markenraum wurde entwickelt aus dem emotionalen Relaunch der Electrolux-Marke AEG, deren Markenwerte in die Messearchitektur übersetzt: Duftendes weiches Moos bewächst die „Öko_Line“, vor einem Regal mit duftenden Kräutern zeigen Kochprofis kulinarische Kreationen an den neuesten Küchengeräten. Ohne die Messebesucher und deren Eindrücke zu überfordern, kann die Kommunikationsarchitektur die Werte von AEG mit multisensualer Vielfalt vermitteln.

Marken und Produkte erhalten durch solche Kommunikationsarchitekturen Raum für Emotionen und Eindrücke, die in Erinnerung bleiben. Markenthemen über verschiedene Sinne zu erobern, entspricht den neuesten Erkenntnissen des Neuromarketings für Messen. Zwar folgt die B-to-B- anderen Gesetzen als die B-to-C-Kommunikation. Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen ihr Handelsmarketing rein rational steuern sollten.

Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass Markenemotionen auch hier nachhaltig wirken. Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie an der Universität Bremen, erklärt: „Alle Entscheidungen sind letztlich Gefühlsentscheidungen. Entscheidungen ohne Gefühl gibt es gar nicht.“

Der rein rational entscheidende Homo oeconomicus erweist sich als Fiktion – auch im B-to-B-Marketing: Als Basis neuro-biologischer Erkenntnisse gilt, dass Gefühl und Verstand nicht unabhängig voneinander funktionieren. Aus diesem Grund bieten multisensual gestaltete Markenräume eine erweiterte Möglichkeit, die Markenbotschaften nachhaltig zu vermitteln.

Die Marke im Raum

Worauf es bei der Inszenierung auf Messen ankommt:

Pflicht vor Kür: Eine Marke kann natürlich nicht erst mit dem Design oder dem Markenraum platziert werden, die Markenbotschaft nicht erst mit dem Messeauftritt ausformuliert werden. Aber auch hier gilt der Satz: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Klare Ziele: Ein Messeauftritt kann nur gelingen, wenn die Marketingziele für die Messe gut überlegt sind und weit im Vorfeld gesetzt werden. Das gilt ebenso für die Planung des Messedesigns. Wichtig: Je exakter das Briefing an die beauftragte Messedesign-Agentur formuliert ist, desto genauer kann die Markenarchitektur auf die Markenbotschaft abgestimmt werden.

Weniger ist oft mehr: Statt Besucher mit der gesamten Produktpalette zu überfordern, dienen einzeln präsentierte Highlights dem Standpersonal als willkommene Hilfestellungen, um ein entspanntes Gespräch mit den Standbesuchern zu beginnen.

Erstaunen auslösen: Messebesucher mögen es, überrascht zu werden, freuen sich über originelle Einfälle. Bei der Entwicklung eines Messestandes schafft ein Wechsel der Perspektive manchmal wahre Wunder: In welchen Dimensionen würde eine Ameise Ihre Grillneuheiten auf einem Messestand wahrnehmen? Wie kann ich eine 2-D-Markenkampagne in die dritte Dimension „übersetzen“?

Lösungen maßschneidern: Ideen können noch so brillant sein, Tipps noch so gut gemeint. Aber was nützt das alles, wenn sie nicht zur Marke und zum Marketingkonzept passen? Daher bitte merken: Nur individuelle Lösungen sind gute Lösungen!

Die Zukunft ist schon da

Wie moderne Mittel und Möglichkeiten den Messebesuch komfortabel und effizient machen:
Die Internetsite einer Messe wird zu einem Meer der Möglichkeiten. Der Interessent gibt Produktbedarf, Aufenthaltsdauer, Interessengebiete sowie Weiterbildungsbedarf ein und dank klug programmierter Software ist in kürzester Zeit ein Besuchsplan für die Messe entworfen. Verknüpft mit der Lieferantendatenbank werden je nach Bedarfslage auch Termine vereinbart. Außerdem gibt es eine Fachbesucherdatenbank, die nach Gemeinsamkeiten stöbert und Kontaktpersonen mit ähnlichen Interessen und Bedarfsdaten vorschlägt. Pünktlich eine Woche vor Messebeginn erhält der Besucher einen detaillierten Plan mit Anfahrtsweg, bestätigten Terminen, Anmeldung zu Workshops und gebuchtem Hotel. Er fühlt sich bestens auf die Veranstaltung vorbereitet.

Dirk Zimmermann, Geschäftsführer von X Institut für Kommunikation und Servicedesign in Berlin, hat Szenarios entworfen, wie Messen heute funktionieren und Mehrwerte für alle Beteiligten schaffen. Am Beispiel des Besuchers wird dargestellt, wie nun ein typischer Messetag aussehen kann: Das Taxi vom Flughafen funkt die Ankunftszeit zum ersten Aussteller, mit dem der Fachbesucher einen Termin vereinbart hat. Dieser schickt einen persönlichen Kundenbetreuer los, der dem Besucher für die Zeit seines Messeaufenthalts mit Rat und Tat zur Seite steht. Eine namentliche Begrüßung ist durch ein Check-in-System am Eingang möglich, das das Messeticket (RFID-Technologie) identifiziert und den Besucher automatisch einbucht.

Bei der Ankunft des Fachbesuchers am Messestand erklärt der individuelle Ansprechpartner die bereits vorbereitete Lösung anhand einer Simulation. Da der konkrete Bedarf schon vorher ausführlich geklärt wurde, werden jetzt verschiedene Varianten ausprobiert und am PC sowie am Produkt selbst erklärt. Der Fachbesucher erhält eine Faktenübersicht mit seinen
Kosten- und Nutzenvorteilen im Vergleich zum Wettbewerb.

Per Messe-Shuttle pendelt der Fachbesucher zwischen den verschiedenen Messehallen. Große Anzeigetafeln mit Produktgruppen und Ausstellern erleichtern die Orientierung. Das persönliche Navigationssystem in der Tasche zeigt dem Fachbesucher, welche Aussteller für ihn interessant sind.

Über die Autorin:
Constanze Frowein ist zuständig für die Kommunikation der Messedesign-Agentur D’art Design in Neuss.