In den ersten sechs Monaten des Jahres war Fahrzeugwerbung auffällig oft in der Verbraucherkritik. Auf den Rängen eins bis vier liegen jedoch wie bisher Plakat-, TV-, Anzeigen- und Onlinewerbung. Allein zwölf Fälle von Transportmedien waren in den ersten sechs Monaten Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem Werberat, im gesamten Vorjahr waren es 13.
Die positive Bilanz des Werberats zu den zwölf kritisierten Werbeaktivitäten: Von den beanstandeten Werbesujets zogen fünf Unternehmen ihre Werbung zurück oder änderten sie, in sechs Fällen wies der Werberat die Beschwerden als unbegründet zurück und in nur einem Fall musste der Werberat wegen Uneinsichtigkeit öffentlich rügen.
Kampagnenorganisationen halten sich zurück
Ebenfalls auffällig ist aus Sicht des Gremiums, dass die Beschwerdenzahl mit 535 Beschwerden nahezu stagniert, wohingegen die kritisierten Werbesujets deutlich um elf Prozent (286 Fälle geprüfter Werbung) wuchsen. Der Trend mancher Kampagnenorganisationen, die in der Vergangenheit ihre Mitglieder und Anhänger organisiert zu Beschwerden beim Werberat aufriefen, scheint gestoppt und die Aufklärungsaktionen des Werberats Früchte zu tragen. Denn eine einzelne Beschwerde reicht aus, um einen Beschwerdevorgang auszulösen.
Dabei ist der Ausgang des Verfahrens von der Zahl der Kritiker unabhängig, ausschlaggebend ist allein der Inhalt der in Rede stehenden Werbung.
Bereits acht Rügen ausgesprochen
Verdoppelt hat sich die Zahl der Rügen im 1. Halbjahr 2014 auf acht, sie wurden sämtlich im Bereich der geschlechterdiskriminierenden Werbung ausgesprochen. Julia Busse, Geschäftsführerin des Werberats, sieht trotz der höheren Zahl der Rügen keinen Grund zur Besorgnis: „Zum einen erklärt sich die höhere Zahl in den ersten sechs Monaten des Jahres aus der Zunahme von kritisierten Werbesujets, zum anderen zeigt die jahrzehntelange Erfahrung, dass gerügte Unternehmen in der Regel kein weiteres Mal auffällig werden.“
Neue Rubrik: Geschlechterdiskriminierende Werbung
Erstmals hat der Werberat die Rubrik der geschlechterdiskriminierenden Werbung in seine Statistik aufgenommen und fasst darunter die bisherigen Punkte Frauendiskriminierung, Männerdiskriminierung sowie Herabwürdigung von Personen zusammen. Anlass für den Werberat, die Rubrik der geschlechterdiskriminierenden Werbung einzuführen sind unter anderem Fälle, auf die nach Ansicht von Beschwerdeführern sowohl das Kriterium der Frauen- als auch der Männerdiskriminierung zutrifft.
Ein Beschwerdeführer beispielsweise monierte, dass die Plakat- und Internetwerbung eines Radiosenders aufgrund des Motivs einer auf der Bühne stehenden Frau in High Heels, mit Engelsflügeln, Gitarre und spärlicher Bekleidung, Frauen herabwürdige. Gleichzeitig fühlte er sich in seiner Würde verletzt, da Männern unterstellt würde, derartige Motive gut zu finden. Der Werberat folgte dem Beschwerdeführer in diesem Fall nicht, da Musikerinnen und Musiker oftmals in optisch auffallender Weise Bühnenpräsenz zeigen.
Von Diskriminierung geht der Werberat immer dann aus, wenn eine Frau oder ein Mann aufgrund des Geschlechts als minderwertig dargestellt wird. Eine Herabwürdigung nimmt der Werberat insbesondere dann an, wenn eine Frau oder ein Mann nicht mehr als eigenständige Person, sondern als potenzielles Objekt der sexuellen Bedürfnisse anderer gezeigt oder ihre sexuelle Verfügbarkeit oder Käuflichkeit suggeriert wird.
Männerdiskriminierung noch ein Randphänomen
Insgesamt 95 Fälle und damit fast 50 Prozent machte der Bereich der geschlechterdiskriminierenden Werbung in den ersten sechs Monaten des Jahres aus. Konstant hoch bleibt innerhalb dieses Beschwerdemotivs der Vorwurf der Frauenherabwürdigung. Männerdiskriminierung ist derzeit noch ein Randphänomen bei der Verbraucherkritik. An zweiter Position inhaltlicher Werbekritik befindet sich wie schon im Vorjahr die Rubrik Ethik und Moral (21 Fälle). So zeigte sich ein Verbraucher irritiert über die Bewerbung einer Server-Dienstleistungsfirma. Diese warb mit zwei Personen, die offensichtlich unter der Bettdecke Geschlechtsverkehr haben und der Frage „Haben Sie es schon mal mit jemand anderem ausprobiert?“ Von beiden Personen lugten nur die nackten Füße unter der Bettdecke hervor. Der Werberat konnte in der Werbung keinen Verstoß gegen seine Verhaltensregeln erkennen und wies die Beschwerde zurück.
Neben der Diskriminierung von Personengruppen wie Ältere, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen mit 20 Fällen ist Werbung mit dem Vorwurf der Kinder- und Jugendgefährdung (13 Fälle) weiter unter den ersten vier kritisierten Bereichen zu finden. Immer wieder beklagen Beschwerdeführer, dass Motive Pädophilie Vorschub leisten würden. So kritisierte ein Verbraucher die Abbildung eines auf der Toilette sitzenden Kleinkindes als „Einladung für Pädophile“. Eine Drogeriekette bewarb mit diesem Motiv einen Kinder-Toilettentrainer, wobei das Kind sichtbar komplett mit Shirt und Unterhose bekleidet war. Der Werberat konnte in dem Motiv keine Gefährdung von Kindern erkennen. Die übrigen Beschwerdevorwürfe (Verletzung religiöser Gefühle, unzuträgliche Sprache etc.) blieben im einstelligen Bereich.
Bei den Branchen vor dem Werberat gab es bezüglich der Eigenwerbung der Medien Konstanz: Sie lagen mit 22 Fällen auf Position eins, gefolgt von Elektronik/Telekommunikation mit 20 Fällen, Handel mit 19, Bekleidung/Mode mit 13, alkoholhaltigen Getränken (12), Lebensmitteln (ebenfalls 12) sowie Kfz und Kfz-Zubehör (11). Die übrigen Branchen waren einstellig.
Diskriminierungsregeln modernisiert
Der Deutsche Werberat hat seine Verhaltensregeln gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen aktualisiert. Mehrfach hatte die Selbstkontrollinstanz in der Vergangenheit die Regeln, die ursprünglich aus dem Jahr 1980 stammen, erneuert, um den sich kontinuierlich ändernden Werten und Einstellungen in der Gesellschaft Rechnung tragen zu können. Jetzt modernisiert der Werberat die Standesregeln erneut und gibt der Branche einen verlässlichen Rahmen für ihre Werbung.
Das neue Regelwerk berücksichtigt dabei die Fallgruppen aus der bisherigen Spruchpraxis des Gremiums. Beispielsweise wurde der Passus eingefügt, dass Personen nicht allein deswegen abgewertet werden dürfen, weil sie in Bezug auf ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihre sexuelle Orientierung, ihre Eigenschaften oder Lebensweisen nicht den vorherrschenden Vorstellungen entsprechen. Die Geschäftsführerin des Werberats, Julia Busse, kommentiert die neuen Verhaltensregeln: „In Abstimmung mit allen Branchen der Werbewirtschaft haben wir die Diskriminierungsregeln der Zeit angepasst und eine Art Feintuning vorgenommen. Schwarz-Weiß-Formeln führen dabei nicht weiter.“
Ausschlaggebend bleibe für den Werberat und seine Entscheidungen das Balance-Gebot, das in jedem Einzelfall zwischen zulässiger Übertreibung, auffälligen und auch provozierenden Elementen auf der einen und faktischer Diskriminierung oder Herabwürdigung auf der anderen Seite unterscheidet sowie die Sichtweisen verschiedenster Gruppen und Adressaten einschließt. Die Selbstkontrollinstanz weiß bei ihrer Spruchpraxis die Politik an ihrer Seite: Alle im Bundestag vertretenen Parteien sahen erst 2013 keinen Anlass für ein gesetzliches Verbot der geschlechterdiskriminierenden Werbung, sondern verwiesen auf bestehende Gesetze und die funktionierende Werbeselbstkontrolle durch den Werberat.
Die neuen Verhaltensregeln sind auf der Website des Werberates abrufbar. (ZAW/asc)