Was die Papierkrise mit dem Wandel im Handel zu tun hat

Und jetzt sogar Briefmarken. Dem Online-Shop der Schweizer Post sind kürzlich die Postwertzeichen ausgegangen. Es gibt nicht genug Papier, um die vielen Marken zu drucken. Der begehrte Rohstoff wird immer rarer und teurer. Was bedeutet das für den Handel?
Die Papierkrise trifft das Marketing, doch sie birgt auch Chancen. (© Unsplash)

Von Sebastian Kraemer, Geschäftsführer DACH, Adcombi

Die Druck-Branche schlägt deshalb bereits seit Monaten Alarm. Inzwischen sind die Folgen der Misere auch jenseits der Druck- und Papierbranche nicht mehr zu übersehen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen führt die Papierknappheit aktuell sogar als Argument gegen die Impflicht ins Feld. Das Argument mag vorgeschoben sein – das Problem ist jedoch sehr real. Etwa 40 Prozent des benötigten Papiers wird in den kommenden Monaten nicht ausgeliefert werden können, befürchten Druckunternehmen.

Das trifft nicht nur Schweizer Briefeschreiber und deutsche Krankenkassen, sondern auch das Marketing. Denn aller digitalen Transformation zum Trotz: Ein Großteil der Werbebotschaften wird hierzulande nach wie vor auf Papier gedruckt. Die offizielle Statistik des ZAW zeigt: Mehr als 40 Prozent aller Marketing-Ausgaben fließen noch immer in Print- und postalische Direktwerbung.

Regionale Werbung sehr papierlastig

Vor allem die regionale und lokale Werbung ist nach wie vor sehr papierlastig. Denn regionale Werbung ist vor allem Handelswerbung. Und der Handel investiert überdurchschnittlich viel Budget in Prospekte, Postwurfsendungen und Inserate in Anzeigenblättern. Schätzungen zufolge verschlingen allein die rund zehn Milliarden Prospekte des Lebensmitteleinzelhandels jedes Jahr Druckkosten von 360 Millionen Euro.

Dies ändert sich langsam – und zwar jetzt. Ich hatte bereits im Herbst 2021 vermutet, dass die aufziehende Papierknappheit die Digitalisierung im regionalen Handel beschleunigen wird. Jetzt zeigt sich, dass sich tatsächlich etwas bewegt. Aldi und Lidl haben jüngst erst ihre Prospektgrößen verkleinert, um Papier und Druckkosten zu sparen.

Wandel ist fundamental und langfristig

Aber die Reaktionen sind nicht nur kurzfristig. In Gesprächen mit Kund*innen sehen wir derzeit, wie Unternehmen ihr Marketing neu organisieren. Traditionelle und jahrzehntelang gewachsene Mauern zwischen Klassik und Digital werden gerade eingerissen. Die Unternehmen beginnen, sich ernsthaft crossmedial aufzustellen.

Schon heute erreicht man jüngere Konsument*innen weitgehend nur noch über digitale Kanäle. Die Erkenntnis greift um sich: Wer jetzt die notwendige Transformation verpasst, wird spätestens in ein paar Jahren abgehängt sein. Dieser Wandel ist fundamental und langfristig.

Handel öffnet sich langsam

Auch der Handel wandelt sich, allerdings bislang deutlich langsamer. Der Trend geht auch hier zu weniger Print-Promotion, indes weniger schnell und drastisch als in anderen Branchen. Dennoch scheint jetzt etwas in Bewegung zu kommen. Man stößt zunehmend auf mehr Offenheit gegenüber digitalen und Omnichannel-Lösungen.

All dies lässt sich natürlich nicht allein mit den steigenden Print-Preisen erklären. Aber sie waren womöglich in vielen Fällen der letzte Anstoß, den Stein ins Rollen zu bringen. Die Aussicht, dass Papier um ein Drittel teurer wird, dürfte manchen Papierprospekt-Fan dann doch ins Grübeln gebracht haben.

Überhaupt geht es nicht darum, Print und Digital gegeneinander auszuspielen. Gerade im regionalen Marketing liegt in der Kombination dieser beiden Welten ein immenses Potenzial, das bislang noch nicht voll ausgeschöpft wird.

Auch in der Papierkrise liegt eine Chance

Die klassische Postwurfsendung wird erst recht zum Verkaufsturbo, wenn sie mit intelligenten digitalen Geomarketing-Kampagnen kombiniert wird. So lassen sich beispielsweise Werbeverweigerer und jüngere Zielgruppen in bestimmten Stadtteilen gezielt und besser erreichen. Prospekte verkaufen noch besser, wenn sie auch in digitaler Form zum Käufer kommen. Das belegen Studien. Hyperlokale programmatische Werbung kann zum Booster für regionale Kampagnen werden – und lässt sich gerade in volatilen Corona-Zeiten schnell und kurzfristig als Ergänzung zu klassischer Werbung mit langen Vorläufen planen.

Wie in jeder Krise liegt auch in der Papierknappheit eine Chance: Wenn sie dazu führt, dass sich neue effiziente und digitalen Lösungen im regionalen Marketing schneller verbreiten. Und nicht nur digitale Briefmarken.

Sebastian Kraemer (Foto: Adcombi)

Sebastian Kraemer führt seit 2018 die Geschäfte des Adtech-Scaleups Adcombi in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er arbeitete zuvor in der Geschäftsleitung der auf Geomarketing spezialisierten Mediaagentur Planus. Für die Bertelsmann-Tochter Arvato baute Kraemer zuvor als Bereichsleiter Media Service deren Crossmarketing-Produktlinie zu einer Full-Service-Mediaagentur aus.