Die sich herausbildenden Trends verlangen nach einer neuen Form des Einzelhandels. Die Managementberatung Arthur D. Little erarbeitete das Konzept „U-channel retailing“, was zu deutsch eine Mehrkanalstrategie für kundenorientierten Einzelhandel bedeutet. Das Geschäftsmodell umfasst vier Punkte, vier große „U“: erstens allgegenwärtig zu sein (ubiquitous), das heißt, alle relevanten Verkaufskanäle zu bedienen; zweitens universell zu sein (universal) und die Geschäftstätigkeit als Ganzes zu betrachten; drittens einzigartig zu sein (unique); das vierte „U“ schließlich ist die Kurzform von „You“ und meint den Kunden selbst, dessen neue Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen sollten.
Die Kunden jederzeit und überall unterstützen
Praktisch sieht das künftige Kundenverhalten so aus, dass Käufer ein Produkt beispielsweise per Mobiltelefon ausfindig machen, am Laptop Rezensionen und Kaufbewertungen dazu lesen, mit einem Verkaufsmitarbeiter per Online-Chat diskutieren, das Produkt dann per Mail reservieren und es schließlich im Ladengeschäft abholen. Dieses Szenario erfordert ein großes Spektrum an zu bedienenden Kanälen, die sich vom physischen Geschäft über online und mobile bis hin zu Bestellungen per E-Mail, Verfügbarkeitsübersichten und verschiedenen Beratungsleistungen für die Kunden erstrecken. Die Konsequenzen für Einzelhändler sind dem Strategiepapier zufolge gewaltig und betreffen sowohl das Frontend als auch das Backend, da alle Kanäle miteinander koordiniert werden müssen. Es gilt, eine globale Auftragsabwicklung zu installieren, die Kommunikation zwischen den System einheitlich und verständlich zu gestalten und die Prozesse zu harmonisieren, um die Kunden beim Kauf jederzeit unterstützen zu können und sie auch in der Nachkaufphase noch zu begleiten.
Indem sich der kundenorientierte Mehrkanal-Einzelhandel durchsetzt, treffen die Kunden immer mehr Entscheidungen selbst. Konnten die Anbieter bisher Käufe anschieben und forcieren, müssen sie jetzt versuchen, die Zielgruppen zu sich hin zu ziehen. Die Strategieberater sprechen in diesem Zusammenhang vom „Pull“-Modus, der den „Push“-Modus ablöst. Händler müssten lernen, ihren Kunden zuzuhören, um die Verkaufs- und Kommunikationskanäle einrichten zu können, die den Erwartungen der Zielgruppe am ehesten entsprechen. Und hinsichtlich der Preistransparenz, die durch das Internet gegeben ist, müssten Einzelhändler Einkaufserlebnisse bieten und Kundenbeziehungsmanagement (Customer Relationship Management – CRM) etablieren, statt „nur“ Produkte zu verkaufen.
Zielgruppen aktiv einbinden
Der Ansatz, der laut Arthur D. Little zum Erfolg führt, ist der der Kundenzentriertheit: Die Zielgruppe sollte aktiv einbezogen werden, es findet eine wechselseitiger Austausch über Produkte und Services statt. Denn wer seine Kunden kennt und versteht, kann auch seine Zielgruppe besser ansprechen und aktivieren. Und er kann überhaupt erst das richtige Kundensegment definieren. Targeting gerät somit in den Fokus der Marketing-Aktivitäten, dazu zählen beispielsweise mobile Kundenkarten mit personalisierten Angeboten, interaktive In-Store-Markenkontakte, Stellen, an denen Produkte ausprobiert werden können, persönliche Berater und vieles mehr. Das konsequent auf den Kunden ausgerichtete Angebotsdesign sollte die Aspekte Spaß, Unterhaltung und Information berücksichtigen, die am Ende eine Kaufentscheidung herbeiführen können.
Immer sollte dabei der Grundsatz beachtet werden, dass nicht mehr der Kunde zum Produkt in das Ladengeschäft kommt, sondern dass das Produkt zum Kunden gebracht werden muss. Wer sich als Händler auf derartige erfahrungsbezogene Kaufprozesse konzentriert, wird jedoch feststellen, wie schwer es ist, den Erfolg der einzelnen Kundenbindungsmaßnahmen zu messen. Es geht nicht primär darum, die Einkünfte zu erhöhen, sondern es müssen Metriken gefunden werden, die die Sichtweise und Empfindungen der Kunden darstellen sowie ihre konkreten Meinungen. Daher sind diese Maße nicht eindeutig, aber sie können glaubhaft, zuverlässig und solide sein. Denn mit ihnen müssen folgende Fragen beantwortet werden können: Warum sind manche Kunden unzufrieden? Wer sind unsere besten Kunden? Was kaufen diese? Wie kaufen sie es?
Welche Kompromisse geht der Kunde heute ein?
Es ist mühsam, hierauf Antworten zu finden. Doch die Strategieberater betonen, dass genau diese Erkenntnisse zeigen werden, welche Kompromisse Kunden derzeit aufgrund der bestehenden Verkaufsprozesse eingehen müssen – und künftig nicht mehr eingehen werden. Der Kunde von morgen lege viel Wert auf Bequemlichkeit, Nützlichkeit und ein vergnügliches Einkaufserlebnis. Das Geschäft bleibe in diesem Kontext enorm wichtig, werde sich aber stärker zu einem Ausstellungsraum entwickeln, der das Testen und Ausprobieren der Waren ermögliche. Hier würden aber nicht wie früher auch die Kaufentscheidungen getroffen, denn diese könnten – dank Internetzugang und Mobiltelefon – an jedem Ort und zu jeder Zeit erfolgen.
Der Einzelhandel müsse somit sicherstellen, dass die verschiedenen Verkaufskanäle nahtlos miteinander integriert sind. Und hier komme das „U-channel retailing“-Konzept ins Spiel, mit dem es gelinge, dem Kunden in allen Kanälen ein bestimmtes, einheitliches und unverwechselbares Bild vom Anbieter zu vermitteln. Mit der Kanalstrategie müsse sich somit langfristig auch das Nutzenversprechen ändern, außerdem die Prozesslandschaft, die Unternehmensführung, die IT-Infrastruktur, die Unternehmenskultur und die Gestaltung der Arbeitsplätze. (asc)
Die Publikation von Arthur D. Little zum „U-Channel Retail“ können Sie hier herunterladen (PDF-Dokument).