Von Alain Egli, Manager PR & Communications des Gottlieb Duttweiler Institut (GDI)
Über vier Fünftel von tausend Befragten in Deutschland und der Schweiz sind überzeugt, dass Status-Unterschiede in den kommenden Jahren zunehmen werden. Das zeigt eine Studie, die das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) im Frühsommer veröffentlichen wird. Die Gründe für die neue Status-Lust sind vielfältig. So wächst durch die Demokratisierung des Konsums (Stichworte: H&M oder die Edellinien von Grossverteilern wie etwa die Sélection-Produkte der Migros) das Bedürfnis nach Abgrenzung; Individualisierung ist Trumpf.
Die Folge davon ist ein permanentes Streben nach Aufwertung: McDonald’s gründet edle Kaffeehäuser; Tchibo motzt die Verpackung seiner Unterwäsche auf; Audi platziert doppelseitige Vierfarben-Anzeigen für Gebrauchtwagen; und in den Holz-Klassen der Flugzeuge prangt immer mehr Business-Class-Komfort. Was gestern Premium war, ist morgen schon Massenmarkt. «Nach der Akkumulationskultur der Nachkriegszeit und der Wegwerfhaltung der achtziger und neunziger Jahre sind wir heute in einer Upgrade-Gesellschaft angelangt», sagte Peter Wippermann vom Trendbüro Hamburg an der 4th European Consumer Trends Conference des GDI.
Diese Steigerungslogik pflanzt sich bis nach ganz oben fort, wie GDI-CEO David Bosshart feststellt: «Wenn Bill Gates eine Villa von 4000 Quadratmetern Fläche baut, orientieren sich die ärmeren Milliardäre daran.» Trickle-down-Effekt nennt man diesen Vorgang, der das Top-Luxussegment zum wichtigen Indikator für Veränderungen macht.
Bosshart beschreibt einen weiteren Faktor, der Statusdenken fördert: eine wachsende Knappheit. Bereits heute ist Wasser vielerorts ein rares Gut. Bei steigenden Rohstoffpreisen könnten bald auch Lebensmittel wie Südfrüchte, die wir heute als Alltagsprodukte ansehen, selten werden – und, nebenbei bemerkt, zu einer Renaissance von Speisekammer und Notvorrat führen. Bevölkerungszunahme, Klimaerwärmung und wirtschaftliche Abkühlung dürften die Knappheiten verschärfen – und so zusätzliche Mittel der Abgrenzung schaffen. Denn oft sind es ja die Entbehrungen der anderen, die unser Ansehen steigern.
Das gilt auch bei der wachsenden Zahl älterer Menschen. Wer sich im Erwerbsleben an Ruhm und Ansehen gewöhnt hat, verzichtet nach der Pensionierung nur ungern auf die permanente Bestätigung durch seine Peergroup. Rauschende Feste, pompöse Mausoleen und ostentativ zur Schau getragene Philanthropie sind nur ein paar der Indizien für die Kompensation dieser Sehnsucht.
Dass solche Selbstinszenierung nicht erst mit dem Rentenalter beginnt, versteht sich von selbst. Vielmehr wächst im Zuge der immer grösseren Einkommens- und Vermögensdisparitäten insbesondere die Klasse der Reichen und mit ihr das Bedürfnis nach Status. Zu diesen demographischen Veränderungen in der westlichen Welt gesellt sich das Wachstum aufstrebender Wirtschaftsräume, das eine zusätzliche Nachfrage nach Status und seinen Symbolen mit sich bringt.
Nur, um welche Symbole handelt es sich eigentlich? Was genau ist Status? «Der Mensch ist ein animal ambitiosum, ein ehrsüchtiges Wesen», sagt der Wiener Soziologieprofessor Roland Girtler. Da gebe es zwischen Aristokraten und grossen Ganoven keinen Unterschied, jede Gruppe habe ihre Hierarchie. Weit wichtiger noch: Hüben wie drüben leiste ein nobler Mensch körperliche Arbeit nur dann, wenn sie sinnlos sei – etwa beim Golfspielen. Gauner wie Adlige würden es zudem schätzen, wenn man sie in Ruhe lasse. Und bis heute würden sich zahlreiche gesellschaftliche Vorlieben von der Kleidermode über die Essrituale bis hin zum Totenkult am aristokratischen Vorbild orientieren.
Oft wird Status mit Luxus gleichgesetzt, weil dieser rar ist und Abgrenzung durch Exklusivität ermöglicht. Allerdings sind (Frei-)Zeit oder Gesundheit ebenso statusträchtig wie klassische Luxusgüter. Denn tatsächlich gewinnt der immaterielle Luxus derzeit gegenüber dem materiellen an Bedeutung. Ursachen und Folgen dieser Verschiebung wird die erwähnte GDI-Studie beleuchten.
Klar ist so viel: Letztlich geht es beim Status um Anerkennung in allen möglichen Facetten: Erfolg, Aufmerksamkeit und Beziehungen sind ebenso zentral wie Zugang, Einzigartigkeit und Abgrenzung – Privilegien eben. «Status bedeutet die Freiheit, zu leben, wo man will; zu bezahlen, wie viel man will; und zu sagen, was man will», sagt David Bosshart. Dabei kann demonstrativer Geltungskonsum einer Dekadenzia («conspicuous consumption» wie ihn der US-Ökonom Thorstein Veblen Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb) ebenso statusträchtig sein wie der Luxus des derzeit modischen «bewussten» Konsums («conscious consumption») oder die Sorge um die Natur.
Diesem neuen Bewusstsein von Leuten wie Arnold Schwarzenegger mit seinem Wasserstoff-Hummer oder Richard Branson mit seinen Kokosöl getriebenen Fliegern wohne übrigens eine zutiefst aristokratische Idee inne, findet Peter Wippermann: Das Bestreben, gleich früheren Königen Verantwortung für das eigene Volk zu übernehmen. Allerdings spenden Mäzene vom Typ eines Bill Gates im philanthropischen Kapitalismus längst nicht mehr à fonds perdu, wie Tom Savigar vom Londoner Future Laboratory bemerkt: «Die wollen erfolgreiche Investitionen, selbst hier.»
Und auch sie wünschen sich von den anderen abheben. Denn die Zahl der Reichen und Superreichen wächst gemäss Savigar dramatisch, immer mehr von ihnen erschaffen sich ihr Geld selber. Bereits gibt es weltweit gegen tausend Milliardäre, 33 davon allein in Moskau, 33 jünger als vierzig Jahre. In den USA sind acht Prozent der Bevölkerung Millionäre. So entstehen neue Wohlstands-Stämme, etwa Derivatehändler, «Richistanis» oder «Billiarchen». Der Luxusmarkt ist 2007 weltweit auf 160 Milliarden Dollar angewachsen. Dadurch verändert sich der Sinn für Luxus. Das Künstlerische, Rare, Emotionelle und gar das Ethische gewinnen laut Tom Savigar beim Luxus jetzt an Bedeutung. Eine neue Bescheidenheit halte Einzug, diskreter Luxus – «stealth wealth». Savigar: «Weniger ist der neue moralische Imperativ.»
Das hat Daniel Borter erkannt: «Luxus ist notwendig, Prunk absolut überflüssig.» In seinem Fünf-Sterne-Hotel Lenkerhof im Schweizerischen Berner Oberland bietet Borter Alp-Übernachtungen im Stroh an. «Meine Gäste suchen das Authentische, Ursprüngliche.» Solche Erlebnisse machten grossartige Stories.
Geschichten sind es auch, welche die Uhrenmarke IWC definieren sollen. CEO Georges Kern bekennt frei, dass man sie zuweilen frei erfinden muss: «Unser Brand steht für Engineering, aber man kann eine Marke bereichern.» Allerdings dürfe man die Kunden nie für dumm verkaufen, alles müsse echt, glaubwürdig und nachvollziehbar sein. Der Preis hingegen spiele in seinem Segment eine untergeordnete Rolle, sei Teil des Luxus’. «Ob eine Uhr 50’000 oder 55’000 Franken kostet, macht keinen Unterschied.» Und das weltweit. «Es gibt keine echte Luxusmarke, die nicht global orientiert ist», so Kern.
Darüber weiss Ruchita Sharma Bhardwaj besonders gut Bescheid. Arbeitete sie einst für Marken wie Salvatore Ferragamo, so analysiert sie heute im Auftrag der Regierung die Bedürfnisse des indischen Marktes. Und dem prophezeit sie ein rasantes Wachstum. Es gebe eine wahre Markenobsession, auch sich selber bezeichnet Bhardwaj als Luxus-Junkie. Dabei ist der Markt in zweierlei hinsicht jung. Zum einen habe es in Indien vor zwanzig Jahren noch nicht einmal Coca-Cola gegeben, Louis Vuitton habe 2001 als erste Luxus-Marke einen Laden eröffnet. Zum anderen haben sogenannte Yulics («young urban liberalised indian consumers») eine wachsende Bedeutung. Sie sind konsumorientiert, ohne Schuldgefühle und wollen alles, vom Besten, sofort.
Doch natürlich gibt es überall immer auch jene, denen die Möglichkeiten zum Mitmachen fehlen. Roland Girtler unterteilt sie in drei Gruppen: Unerschrockene; Resignierte; und Alkohol- und Drogenabhängige. Beim früheren Lifestyle-Journalisten Neil Boorman ist der Fall gar noch komplexer. Als ehemals Markensüchtiger kämpft er heute unverdrossen gegen einen Konsumismus an, der ihm das Leben einst zur Hölle machte.
Boorman war nach eigener Darstellung so besessen von Labels, dass er kaum noch an etwas anderes habe denken können: «Kaufen war zugleich Ursache und Heilmittel meiner Angst, wie beim Alkoholismus.» Und er sei kein Einzelfall, ein Viertel aller Briten würden sich als kaufsüchtig bezeichnen. Ursachen für diese Sucht, so Boorman, seien ein schlechtes Selbstwertgefühl und fehlende Identität sowie eine materialistische Erziehung in einer vom Konsum dominierten Gesellschaft.
Nicht von ungefähr gebe es auf den ersten fünfzig Rängen des National Happiness Index der New Economics Foundation kein Industrieland (abgesehen von China). Heilung erfuhr Boorman erst, als er seine gesamte Habe medienwirksam verbrannt hatte und sich als eine Art Entziehungskur für ein Jahr einem Leben ganz ohne Marken verschrieb. Heute ist er selber ein Brand. Und erlangt dadurch einen neuen Status.
Tom Savigar, Strategy & Inside Director am Future Laboratory in London, skizzierte an der 4th European Consumer Trend Conference des Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) fünf Stadien des Luxus. Die Mehrheit der westlichen Konsumenten befinde sich zwischen den Stadien zwei und drei, sagt er. Doch für immer mehr Reiche werde Stadium drei mit Stadium vier verbunden.
- Erstes Stadium: Erwerbung und Wert. Luxus wird benutzt, um Wohlstand zu zeigen, soziale Stellung zu definieren und sich gut sichtbar vom Massenmarkt abzugrenzen. Diese Art von Luxus dominiert in China oder Südkorea.
- Zweites Stadium: Urteilsvermögen und Geltung. Der Kunde kauft Marken, Produkte und Dienstleistungen, um seinen feinen Geschmack auszudrücken. Er hat ein gewisses Verständnis und fragt nicht nur «was?», sondern «warum?».
- Drittes Stadium: Gefühle, Erfahrung, Kennerschaft. Es geht weniger um Marken und Werte, als um Einzigartigkeit (limited Editions) oder die emotionelle Wirkung der Produkte – die ein Stadium-zwei-Kunde gar nicht erst verstehen würde.
- Viertes Stadium: Verantwortung und Bewusstsein. Dem Konsument ist der Wert der Marke genauso wichtig wie die Werte. Produkte stehen weniger im Zentrum als Erlebnisse.
- Fünftes Stadium: Intelligenz und Poesie. Der Konsument hat die Mittel, das Wissen und die geistige Bereitschaft, sich seiner Leidenschaft für etwas hinzugeben.