Warum die Diversity-Debatte lebendig bleiben muss

"Black lives matter" hat deutliche Missstände in puncto Vielfalt zutage gefördert. Gleiche Chancen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter und sexueller Orientierung zu bieten, ist nach wie vor nicht selbstverständlich. Vier Gründe, warum wir im Hinblick auf Diversity einen Kulturwandel brauchen.
Diversity
Missstände beim Thema Diversity: Oft scheuen sich Unternehmen, gewohnte Wege zu verlassen, weil sie Angst haben, einen Teil ihrer Zielgruppen zu verprellen. (© Jordan Mcdonald (Unsplash))

1. Wir sind noch nicht so weit, wie wir denken.

Der typische Vorstand eines Dax-Konzerns ist männlich, 55 Jahre alt und deutsch. Das hat das Diversitätsbarometer 2020 herausgefunden. Es zeigt auch: Die durchschnittliche Frauenquote in den deutschen Vorständen liegt bei 15 Prozent. Und nach wie vor ein großes Thema ist der Gender Pay Gap. Arbeitnehmerinnen sämtlicher Ebenen verdienen 21 Prozent weniger als Männer. Die Zahlen verwundern nicht. Zwei Drittel der Unternehmen hierzulande haben noch vor vier Jahren – zum zehnjährigen Bestehen der Charta der Vielfalt – angegeben, dass sie keine Maßnahmen im Diversity Management umgesetzt haben.

Die aktuell verfügbaren Studien belegen außerdem: Diversity wird häufig noch zu einseitig auf die reine Gender-Thematik reduziert, gefolgt von Inklusion im Kontext von Menschen mit Behinderung. Weitere Aspekte wie ethnische Vielfalt, sexuelle Orientierung und Alter sind in deutschen Unternehmen wenig untersucht – und damit auch noch kaum auf der Agenda.

2. Gemischte Teams sind erfolgreicher.

McKinsey hat bereits 2018 nachgewiesen:Um 43 Prozent steigt die Wahrscheinlichkeit für höheren Profit bei Unternehmen mit ethnisch und kulturell diversem Vorstand. Außerdem haben Teams aus Mitarbeitern mit vielfältigen Hintergründen in Zeiten der Globalisierung größere Chancen, neue Märkte zu erschließen. Und sie sind innovativer: Wenn differierende Sichtweisen zusammengeführt werden müssen, gehen sie zwangsläufig über den Status quo hinaus. Die Teammitglieder können nicht den oft gewohnteren Weg des schnellen Zustimmens gehen – sondern müssen sich für das optimale Ergebnis auseinandersetzen.

Ein weiterer Effekt: Wenn sich Mitarbeiter in ihrer Individualität persönlich wertgeschätzt fühlen, steigen die Motivation und die Bereitschaft, sich einzubringen. Gleichzeitig sinkt das Risiko, dass wertvolle Fachkräfte abwandern. Für Unternehmen ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.

3. Wir benötigen Fachkräfte.

In Zukunft werden weniger Arbeitskräfte verfügbar sein. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, dass das Erwerbspersonenpotenzial von 2015 bis 2040 um 9,1 Millionen Menschen sinken wird, wenn es keine zusätzliche Zuwanderung gibt. Um dem Effekt des demografischen Wandels langfristig entgegenzuwirken, wären 400.000 weitere Arbeitskräfte nötig.

Andererseits wird das Erfahrungswissen älterer Generationen noch zu wenig genutzt, und Frauen sind aufgrund mangelnder Betreuungsangebote oder unflexibler Arbeitsmodelle eingeschränkt in ihren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Zum Vergleich: Fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen (47 Prozent) arbeiteten den jüngsten Zahlen des statistischen Bundesamtes zufolge in Teilzeit, bei den Männern war es knapp jeder elfte (neun Prozent). Das ist verschenktes Potenzial.

4. Werbetreibende haben die Verantwortung, neue Rollenbilder zu zeigen.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder gesellschaftliche Diskussionen ausgelöst durch Werbemotive, die die Vielfalt der deutschen Gesellschaft abbilden – eine Frau mit Kopftuch, ein Paar mit unterschiedlichen Hautfarben oder Testimonials, die sehr alt sind. Das zeigt: Deutschland ist in puncto Diversity leider noch nicht so weit, wie wir uns das manchmal wünschen. Werbung prägt Kultur und sollte deshalb genau die Vielfalt zeigen, die wiederum Deutschland ausmacht. Denn um Menschen nachhaltig zum Umdenken zu bewegen, braucht es Emotionen und Bilder. Werbung und Kommunikation haben die Verantwortung, den gesellschaftlichen Fortschritt genau dadurch zu unterstützen.

Oft scheuen sich Unternehmen allerdings, gewohnte Wege zu verlassen, weil sie Angst haben, einen Teil ihrer Zielgruppen zu verprellen. Dass das auch anders geht, zeigt das Paradebeispiel in puncto Haltung: die Colin-Kaepernick-Kampagne von Nike aus dem Jahr 2018. Das Unternehmen hatte den umstrittenen Footballspieler und Initiator einer Protestwelle gegen Polizeibrutalität und Rassenungleichheit zum Werbegesicht gemacht – und seinen Abverkauf innerhalb von drei Monaten um neun Prozent gesteigert.

Fazit

Diversity ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, und wir sind noch nicht da, wo wir hin sollten. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Die Erkenntnis wächst und die Bereitschaft nimmt zu. Einer aktuellen Befragung von „Handelsblatt“ und Stepstone unter 11.000 Fach- und Führungskräften in Deutschland zufolge glauben 70 Prozent der Befragten an einen großen wirtschaftlichen Einfluss des Diversity Managements. Die Mehrheit erachtet gemischt besetzte Teams gerade in Krisensituationen als vorteilhaft: Sie wirtschafteten nachhaltiger, fänden den besseren Ton, führten besser und erführen bei unbequemen Maßnahmen eine höhere Loyalität als die homogenen Gegenmodelle.

Jetzt müssen wir diese Bereitschaft nur noch nutzen. 3500 Unterzeichner der Charta der Vielfalt mit 13,4 Millionen Beschäftigten in Unternehmen und Institutionen sind ein guter Anfang.

Diese Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA). GWA-Präsidentin Larissa Pohl (Wunderman Thompson Germany) und die Vorstandsmitglieder Isabelle Schnellbügel (Ogilvy) sowie Roland Bös (Scholz & Friends) schreiben hier regelmäßig für die absatzwirtschaft zum Thema Kunde-Agentur-Beziehung.