absatzwirtschaft: Herr Perrey, welche Ziele verfolgen Sie im neuen Amt?
Dr. Jesko Perrey: Es erwarten mich eine ganze Reihe spannender Aufgaben und es ist mir natürlich auch eine Ehre, in die Fußstapfen von Hajo Riesenbeck zu treten, der die Practice aufgebaut und maßgeblich weiterentwickelt hat. Die guten Wachstumsraten wollen wir natürlich beibehalten. Um dies zu sichern, werden wir – wie bislang – mit den richtigen Leuten an den richtigen Themen arbeiten. Das Thema Recruiting ist sicherlich die größte Herausforderung dabei. Für die Beratung unserer Klienten suchen wir Tophochschulabsolventen, aber auch Praktiker mit hoher Markenaffinität und Leidenschaft. Darüber hinaus steht die Weiterentwicklung von Wissen ganz oben auf unserer Agenda. Wir arbeiten an einer ganzen Reihe von Themen im Spannungsfeld von Wachstum und Kreativität auf der einen Seite und der Steigerung der Marketingeffektivität und -effizienz auf der anderen Seite. Dauerbrenner sind natürlich auch neue Medien und innovative Marketing- und Werbeformen sowie der Bereich Markenführung. Sie sehen, uns wird nicht langweilig.
Marketing ist von der Anzahl der Studenten eigentlich der größte Bereich in der deutschen Betriebswirtschaft. Welcher Art sind Ihre Rekrutierungsprobleme?
Wir stehen vor zwei Herausforderungen: Zum einen verbinden immer noch viele Studenten und Professionals McKinsey in erster Linie mit klassischen Strategie- oder Organisationsprojekten. Dass wir über langjährige und vor allem auch globale Expertise bei Marketingprojekten verfügen, ist häufig noch nicht ausreichend bekannt. Deshalb arbeiten wir weiter stark am Thema Awareness, etwa über die Teilnahme an relevanten Kongressen oder unsere verschiedene Publikationen. Zum anderen setzen wir natürlich auch für unsere Marketingberater die gleichen Maßstäbe an, wie insgesamt bei McKinsey. Das heißt., wir suchen Uni-Absolventen mit erstklassigen akademischen Leistungen, die sich nicht scheuen, auch dicke Bretter zu bohren. Das macht die Auswahl dann natürlich kleiner. Aber wie gesagt, halten wir sowohl an Universitäten als auch auf dem Markt Ausschau nach aufstrebenden Marketing-Talenten.
Einer Ihrer zukünftigen Schwerpunkte liegt im Bereich der Markenführung, wie beurteilen Sie das aktuelle Stimmungsbild im deutschen Marketingmanagement?
Durchaus positiv. Wir sehen dies an einer ganzen Reihe von Entwicklungen: Dem Anstieg der Werbespendings – in den ersten vier Monaten sind diese um drei Prozent gestiegen. Dem kreativen Aufbruch – deutsche Agenturen haben in Cannes gepunktet. Im Nationenranking der Cannes Lions haben die hiesigen Werber erstmals ihre britischen Kollegen überholt und liegen damit hinter den US-amerikanischen Teilnehmern auf Rang 2.
Aber auch dem allgemeinen Wirtschaftswachstum, von dem die Markenführung ganz klar profitiert. „Geiz ist geil“ ist zu Ende, das zeigt nicht zuletzt auch die Abkehr des Elektronikhändlers Saturn von diesem Slogan. Qualität erlebt eine Renaissance. Und so kommt es, dass reines budgetorientiertes Handeln zunehmend zurückgeht. Das Marketing setzt wieder stärker auf Wachstum und experimentiert dabei auch stark mit neuen, kreativen Werbeformen. Dabei werden ganz bewusst auch Risiken eingegangen.
Kreative Werbung muss nicht unbedingt effiziente Werbung sein!
Das ist richtig, nicht jede erfolgreiche Kampagne ist kreativ. Aber je kreativer die Werbung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Produkt auch gut verkauft. Dies haben wir in einer neuen Studie mit dem Art Directors Club erstmals nachgewiesen. Aber Vorsicht: Die inhaltliche Stimmigkeit – also Fit mit der Zielgruppe und Konsistenz – sind ebenfalls erfolgsentscheidend.
Insgesamt bleiben die Erfolgsfaktoren guter Markenführung und damit letztlich auch guter Werbung – trotz der allgemeinen Reizüberflutung – die Gleichen. Gutes Marketingmanagement erfordert ein gelungenes Zusammenspiel von Science, Art und Craft: Unternehmen müssen zunächst die Wissenschaft beherrschen, wie man Leistungsparameter und Werbewirksamkeit eines Instruments misst. Hinzu kommt die Kunst, das Wertversprechen einer Marke in wirkungsvollen Botschaften auf den Punkt zu bringen. Und nicht zuletzt ist es eine Frage des Handwerks, ob es gelingt, die Markenbotschaft in allen Einzelaspekten konsequent umzusetzen.
Aber welches ist der richtige Messansatz um den Wert der Marke zu bestimmen? Bei der Markenbewertung gibt es eine unendliche Vielzahl von Ansätzen. Bedarf es nicht eines einheitlichen Verfahrens?
Aus unserer Sicht sollte ein Messansatz den Anforderungen externer Rechnungslegung nachkommen, also nicht zuletzt transparent und für Außenstehende nachvollziehbar sein. Ein einheitliches Verfahren wäre hier sicherlich zu begrüßen und würde so manche Diskussion über den wirklichen Wert der Marke versachlichen. Dies ist jedoch in der Realität wahrscheinlich nicht umsetzbar. Dafür gibt es zu viele Anbieter und zu viele verschiedene Interessen eigene Verfahren zu propagieren. Die Bemühungen des Brand Valuation Forum sind ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch bleiben die zehn definierten Grundsätze nach wie vor recht allgemein. Die Folge: Die verschiedenen Bewertungsgrundsätze und die so resultierenden Markenwerte werden sicher noch weiter zu lebhaften Diskussionen führen.
Ebenso lebhaft wie die Diskussion um den Marketing Return on Investment (Marketing RoI)?
Ganz bestimmt. Wenn nicht deutlich lebhafter. Denn dabei geht es um das Eingemachte für das gesamte Marketingmanagement. Also um die Frage, wie viel Geld darf wo, für welche Zielgruppe und in welchen Medien ausgegeben werden. Viele Unternehmen haben sich hier in den letzten Jahren jedoch deutlich professionalisiert. Etwa stellen sie ihre Marketinginvestionen kontinuierlich auf den Prüfstand und verfügen über Tools, um diese Entscheidungen auch fundiert treffen zu können. Bis zu einer systematischen Bewertung von Marketinginvestionen etwa im Hinblick auf die Kosten, Reichweite und Qualität unterschiedlicher Medien, ist es jedoch noch ein weiter Weg.
Mit dem „Virtual Venture Competition“ prämiert McKinsey Geschäftsideen für Second Life – werden Sie zukünftig auch Unternehmen im Second Life virtuell beraten?
Für uns ist es zunächst ein Experiment. Wir wollen mit dem „Virtual Venture Competition“ Erfahrungen mit virtuellen Welten sammeln und herausfinden, welche Geschäftsmodelle auf solchen Plattformen Zukunftspotenzial haben und was die grundlegenden Erfolgsfaktoren dafür sind. Natürlich geht es uns auch darum, Business-Chancen fair zu bewerten, um unseren Klienten die bestmögliche Beratung zu geben.
Darüber hinaus spielen virtuelle Welten für Unternehmen gerade im Bereich Marketing zunehmend eine Rolle. Sie bieten die Möglichkeit, bestimmte Zielgruppen anzutreffen und mit ihnen direkt in den Dialog zu treten. Nicht zuletzt möchten wir mit dem Wettbewerb Entrepreneurship fördern. Second Life bietet jungen Unternehmern ein optimales Umfeld, neue Ideen zu testen. Und das ganz ohne finanzielles Risiko.
Ist Second Life nur ein Medienhype oder bietet es tatsächlich die Grundlage für tragfähige Geschäfte?
Neue Entwicklungen kommen immer in Wellenbewegungen. Nach der großen Euphorie sehen wir, wie in den letzten Wochen zahlreiche negative Berichte über Second Life die Stimmung wieder trüben. Jedoch muss man ganz klar sagen: Virtuelle Welten wie Second Life haben längst in unser Leben Einzug gehalten. Diese Entwicklung wird in jedem Falle noch weitergehen. Inwieweit sich daraus jedoch dauerhaft tragfähige Geschäfte entwickeln, bleibt abzuwarten.
Für Unternehmen bieten die Plattformen allerdings in jedem Fall ein spannendes Feld, um zum Beispiel Produkttests usw. durchzuführen und mit neuen Marketing-maßnahmen zu experimentieren. Da kann man nicht dran vorbei, wichtig ist jedoch, dass Unternehmen bewusst investieren und Misserfolge einkalkuliert werden.
Spielt Second Life, oder besser virtuelle Welten, auch eine Rolle in Ihrem neuen Buch?
Natürlich befassen wir uns mit neuen Technologien und ihrem Einfluss auf das Marketing der Zukunft auch in unserem Buch. Der Herausgeberband, der voraussichtlich im Spätherbst 2007 erscheint, ist aber deutlich breiter angesetzt und beleuchtet grundsätzliche Erfolgskonzepte im Marketing. Unter dem Titel „Marketing nach Maß“ zeigen wir umfassend auf, wie Unternehmen von der unendlichen Vielfalt an zur Verfügung stehenden Marketingmaßnahmen und Kanälen profitieren können, ohne dabei den Kunden aus dem Blickfeld zu verlieren und Marketingbudgets zu versenken. Wir geben tiefe Einblicke in unsere Toolbox, und zwar weit über das Thema Marke hinaus. So befassen wir uns auch intensiv mit Antworten auf die zunehmende Komplexität im Marketing.
Aber tragen die Unternehmen nicht selber Schuld an der entstandenen Komplexität? In einem Spot lobt Head & Shoulders seine Range von 16 verschiedenen Shampoos gegen Schuppen. Müssen die Unternehmen nicht für mehr Einfachheit sorgen – und Komplexität sowohl intern als auch am Markt abbauen?
Es ist in der Tat ein klarer Trend in Richtung Einfachheit zu erkennen. Apple ist ein bekanntes Beispiel für ein Unternehmen, das sich der Reduktion von Komplexität verschrieben hat und Simplicity als oberste Richtschnur etabliert hat.
Die 16 Shampoo-Varianten müssen aber nicht unbedingt falsch sein. Wichtig ist es, interne und externe Komplexität zu unterscheiden. Oft können zahlreiche Kundensegmente durch differenzierte Angebote auf hochstandardisierten Plattformen bedient werden. Ich habe aber selbst wahrscheinlich zu kurze Haare, um beurteilen zu können, ob der Markt wirklich 16 Shampoovarianten braucht. Ein Beispiel für Simplicity-Marketing ist das sicherlich nicht!
Das Gespräch führte Peter Hanser.