Unabhängigkeit in Gefahr

In halbseitigen Zeitungsanzeigen ging es vor kurzem zur Sache: „Wer etwas aufgeben will, geht zur Post. Wer etwas aufbauen will, zum unabhängigen AWD.“ So teilte der Finanzvertrieb AWD in Richtung Postbank aus. Die Botschaft soll wohl sein: Während wir AWDler bei der Auswahl der Finanzprodukte unabhängig sind und auch bleiben, ist das bei der Postbank nicht gewährleistet.

Denn die Postbänkler wollen ja eigene Finanzprodukte verkaufen; sind also in erster Linie an sich selbst interessiert und nicht an den Interessen des Kunden. Der auffallend laute Tonfall der Anzeigen könnte in Richtung Kundschaft übertönen wollen, dass AWD gerade eine Verwandlung durchlebt, die die propagierte Unabhängigkeit betrifft. Der Versicherungskonzern Swiss Life übernimmt bei AWD die Mehrheit. Das klingt in Zeiten strengerer Auflagen für Finanzvertriebe zunächst einmal positiv, werden doch für AWD neue Märkte geöffnet; und bei „Schweiz“ und „Swiss Life“ werden die Kunden gerne auch an „Neutralität“ und „Seriosität“ denken.

Auf der anderen Seite sind durch den Einstieg massive Risiken hinsichtlich des aufgebauten Vertrauens bei den AWD-Kunden zu erwarten. Denn allen Beteuerungen der Akteure von AWD und Swiss Life zum Trotz dürfte für die Kunden das Pflänzchen „Zweifel“ wachsen, was die Unabhängigkeit angeht. Wie unabhängig sind die Empfehlungen eines Beraters tatsächlich, der einen Versicherungskonzern im Rücken hat? Markentechnisch besonders heikel ist das, da AWD seine Unabhängigkeit überall gerne in den Vordergrund stellt und zur Kernaussage der Marke gemacht hat.

Schon einmal hat sich ein Finanzdienstleister verrannt, als es um das Thema Unabhängigkeit ging. Auch für MLP war Unabhängigkeit immer ein zentraler Bestandteil des eigenen Erfolgsmusters, der nicht nur in hübschen Imagebroschüren stand, sondern im Tagesgeschäft vielfältig gelebt wurde. Was zum Beispiel dazu führte, dass es eigene Versicherungspolicen nicht gab. Denn mit eigenen Versicherungspolicen, so wusste man, würden die eigenen Leute andere und weniger neutrale Beratungsgespräche mit ihren Kunden führen.

Als MLP sich dann dennoch zu diesem Schwenk entschloss, ist es nicht gut gegangen. Die Kunden wollten einfach nicht mehr begreifen, wie hauseigene Policen und unabhängige Beratung zueinander passen. Unter anderem wegen dieser Abweichung vom eigenen Erfolgsmuster schlitterte MLP damals in eine tiefe Krise. Sogar aus dem Dax flog man seinerzeit. Gut, dass MLP sich seit 2005 wieder auf den Vertrieb besinnt und seine Versicherungen abgegeben hat. So ist die „unabhängige Beratung“ nun wieder besser zu vermitteln.

Unabhängigkeit verpflichtet, wenn sie Bestandteil des eigenen Erfolgsmusters ist. „Die Mehrheitsbeteiligung von Swiss Life an AWD wird an der breit gefächerten Produktauswahl nichts ändern“, beschwichtigt Swiss Life-Präsident Rolf Dörig. Das mag sein. Aber viele Kunden werden sich fragen, ob sie wirklich noch objektiv über diese Alternativen informiert werden. Für die AWD-Berater dürfte das Kundengespräch damit nicht einfacher werden. „Ein richtiges Wettbewerbsgeschenk; das könnte auch mein Geschäft beleben“, freut sich mein Berater – der zu AWD in Konkurrenz steht.

Über den Autor: Christian Prill ist Partner der Brandmeyer Markenberatung in Hamburg