Wie in Folge 1 der Praxistipps erläutert, durchlaufen Unternehmen in der Regel mehrere Entwicklungsstufen bei der Einbindung von Social Media in den Kundenservice. Im ersten Schritt wird häufig auf der eigenen Website eine Community eingerichtet, bevor dann Unternehmenspräsenzen in den Social Media-Kanälen aufgebaut werden, etwa mittels einer Facebook-Page oder durch Engagement bei Twitter. Systematisches Social Media Monitoring schließlich liefert Erkenntnisse darüber, was über Produkte und Services in den verschiedensten sozialen Netzwerken sowie in Foren und Blogs gesagt wird. Auf allen Entwicklungsstufen können Servicedialoge mit den Kunden gestartet werden.
1. Kunden helfen Kunden
Wer seine Kunden motivieren kann, die Anfragen anderer Kunden zu beantworten, spart eine Menge an Service-Aufwand. Viele Unternehmen folgen diesem Prinzip, etwa ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen, das ein Online-Kundenforum eingerichtet hat. Service-Mitarbeiter schalten sich nur dann ein, wenn sich innerhalb von 24 Stunden kein Kunde findet, der eine Problemstellung beantworten kann. Ein weiteres Beispiel ist der Elektronikkonzern LG, der auf seiner Website eine Community unterhält, die vergleichsweise schnell auf Tausende Mitglieder anwuchs. Als klar war, dass die Postings mehrheitlich Serviceanfragen behandeln, weil Kunden zum Beispiel Probleme mit der Technik haben, nach Reparaturmöglichkeiten fragen oder Hilfe zur Inbetriebnahme von Geräten benötigen, setzten sich Management und Serviceabteilung von LG zusammen und entschieden, dass ein Task Force-Team gebildet werden müsse. Dieses Team begann, die Probleme abzuarbeiten. Drei Monate nach der Gründung der Community wurde der „Kunden helfen Kunden“-Effekt immer prägnanter und heute zeigt sich, dass etwa 70 Prozent der Serviceanfragen von Bloggern oder Community-Mitgliedern selbst beantwortet werden. Mit wenigen Postings im Netz, die vom Unternehmen selbst kommen, gewinnt LG in den sozialen Netzwerken eine vergleichsweise sehr hohe Reichweite. Zum Beispiel konnten mit 47 Blogpostings die Probleme von rund 30 000 Kunden gelöst werden. Die Kosten pro Nutzer liegen bei zwölf Cent. Sie wären deutlich höher, würden sich die Kunden mehrheitlich über die Hotline an das Unternehmen wenden. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass nur wenige Community-Plattformen eine ausreichend hohe Zahl an Usern erreichen, die notwendig ist, um die Mitglieder aktiv in den Service einzubinden.
2. „Super User“ als Experten engagieren
Im Rahmen dieser Strategie mit dem Ziel von Effizienzsteigerungen geht es um die Beantwortung von Kundenanfragen durch Blogger. Internet-affine Menschen, die aus eigener Initiative heraus auf Kundenanfragen im Social Web reagieren, können für das eigene Unternehmen eingesetzt werden und somit die Service-Mitarbeiter entlasten. Die durch Social Media Monitoring identifizierten Meinungsführer werden in die verschiedenen Kanäle integriert. Sie helfen bei der Vernetzung zwischen den Plattformen und können gegebenenfalls auch auf den offiziellen Kanälen des Unternehmens mit posten. Das Letztere ist allerdings fallabhängig. Im Gegensatz zum einfachen Grundprinzip „Kunden helfen Kunden“ handelt es sich hier um eine gefestigte Community (sog. „Super User“), die außerhalb des Unternehmens regelmäßig Problemlösungen erbringen und möglicherweise dafür entsprechend entlohnt werden. Das Besondere hierbei ist, dass diese beteiligte und mitarbeitende Community freiwillig und eher hobbymäßig im Web 2.0 unterwegs ist und Problemlösungen anbietet.
Auch hier können Aktivitäten des Unternehmens LG als Beispiel dienen: LG identifizierte fünf Blogger mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Expertisen. Mit ihnen wurden die fünf Themenbereiche Handy, TV, IT, Lifestile/Design und Allgemeines besetzt, sodass die Blogger auf ihren eigenen Plattformen und auf den offiziellen Kanälen von LG Beiträge schreiben oder Problemlösungen erbringen. Diese „Super User“ kümmern sich als Experten um die Aufrechterhaltung der Kommunikation, indem sie Kundenanfragen im Internet beantworten. Den Kunden ist bewusst, dass sie es hier nicht mit LG-Mitarbeitern zu tun haben, sondern mit Kooperationspartnern des Konzerns. Auf diese Weise wird Transparenz zwischen Unternehmen und Endkunden geschaffen. Die Blogger erhalten neben „Ruhm und Ehre“ eine monatliche Aufwandsentschädigung, exklusive Informationen und können „hinter die Kulissen“ schauen. Als Social Media Reporter werden sie auch zu wichtigen Events eingeladen, wobei alle damit verbundenen Kosten vom Unternehmen übernommen werden. Des Weiteren nutzen sie als Tester verschiedene LG-Produkte und schreiben darüber im Social Web. Dieses Prinzip lohnt sich auch für das Unternehmen. Es schafft Awareness, verbessert die Tonalität der Kundenbeiträge im Web 2.0, reduziert die Call Center-Kosten und verbessert langfristig das Image des Unternehmens.
3. Outsourcing an eine „schnelle Eingreiftruppe“
Im Gegensatz zum „Super User“-Ansatz werden hier professionelle Dienstleister angestellt, die für das Unternehmen Support-Leistungen erbringen. Neben Agenturen kommen auch Anbieter von Social Media Monitoring in Frage, die ihr Dienstleistungsspektrum um den „Super User“-Ansatz ergänzt haben. Beispiel BMW: Der Autoproduzent beauftragte eine Agentur, für den eigenen Customer Care-Bereich sowohl online als auch offline Hilfe zu leisten. Dabei kümmert sich der Dienstleister um die Kommunikation im first Level und beantwortet und/oder kanalisiert Kundenanfragen. Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, das Potenzial der Neukundengewinnung systematisch auszuschöpfen. Die Strategie des Dienstleisters besteht darin, mit Interessenten in einen persönlichen Dialog zu treten. Diesbezüglich bestimmen die potenziellen Kunden über Inhalt, Umfang, Zeitpunkt, Frequenz und Kanäle der weiteren Kommunikation. Im Zuge dessen geben sie Details zu sich und ihren Vorlieben preis. Mithilfe des Betreuungsprogramms werden von BMW auch im mittlerweile fünften Jahr deutlich höhere Response-Quoten erzielt als in sämtlichen Vergleichsgruppen.
4. Eigenes Support-Team für Social Media-Kanäle aufbauen
Insbesondere in den kommunikationsintensiven Branchen leisten Unternehmen Social Media Support durch eigene Mitarbeiter. Durch die transparente Unternehmen-Kunde-Kommunikation kann die Glaubwürdigkeit gesteigert werden. Großes Potenzial bietet hierbei die proaktive Kommunikation mit kritischen Kunden. Denn die schnellen und authentischen Reaktionen auf externe Kritik vermitteln das Gefühl, dass die Kundenprobleme ernst genommen werden. Die Deutsche Post beispielsweise führte durch ein Social Media Customer Care-System den E-Postbrief ein und formulierte folgende Ziele: Durch direkte Kundenkommunikation sollte die Kaufentscheidung positiv beeinflusst werden, durch Reaktion auf kritische Kundenbeiträge sollten Imageschäden verhindert werden und schließlich galt es, Verbesserungsvorschläge zu nutzen, um das Produkt zu optimieren. Das Unternehmen identifiziert die relevanten E-Post-Beiträge im Social Web mithilfe einer Social Media Management-Lösung, es erfasst sie im Social Media Intelligence-Prozess und bewertet sie mit einem weiteren Software-Tool in Bezug auf Relevanz und Tonalität. Die priorisierten Posts werden im zweiten Schritt an einen Customer Care Agenten weitergeleitet, der direkt in der Quelle auf den Kundenbeitrag reagieren kann. Dabei werden nicht nur die unternehmenseigenen Kanäle und Accounts, sondern auch andere Communitys und Blogs für die Kommunikation genutzt.
Social Media Guidelines
Entscheidet sich das Unternehmen für Social Media-Aktivitäten, bestimmt das Verhalten der Mitarbeiter über Erfolg oder Misserfolg der Online-Kundenbetreuung. Mithilfe von Social Media Guidelines wird der Umgang mit sozialen Netzwerken genau festgelegt. Sie sollen Service-Mitarbeitern Empfehlungen und Richtlinien an die Hand geben, wie sie mit Bezug auf das Unternehmen im Social Web kommunizieren sollten.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass einigen Unternehmen die Chance der Kundenbetreuung via Social Media und somit die Bedeutung von Social Media Guidelines noch nicht klar ist. Denn viele haben zwar Präsenzen aufgebaut, nutzen diese aber nicht zur Kundenpflege. Der Stromversorger Teldafax beispielsweise versuchte ohne Erfolg, sich die Möglichkeiten der Social Media zunutze zu machen. Die eigene Facebook-Seite diente dem Unternehmen als reines Gatekeeper-Medium. Die Mitarbeiter publizierten regelmäßig Nachrichten und Meldungen und ließen dabei die Kundenprobleme oder -äußerungen mit Bezug auf das Unternehmen außer Acht. Es kamen weder die neuen Medien noch die klassischen Kommunikationskanäle zur Pflege der Kundenbeziehungen zum Einsatz. Ging es um Kritik, hielt Teldafax jedoch nicht still. Anstatt Einsicht zu zeigen und Hilfestellung anzubieten, wies das Unternehmen lediglich darauf hin, dass kritische Äußerungen unerwünscht seien. Negative Kommentare seitens der Verbraucher wurden gelöscht, was für weitere heftige Kritik sorgte. Verärgerte User äußerten sich daraufhin auf anderen Social Media-Plattformen oder in zahlreichen Foren und bezogen Stellung gegen das Unternehmen.
Zu vermeiden sind diese folgenschweren Fehler:
1. Kritische Kommentare löschen. Jedoch dürfen und sollten rechtlich unzulässige Beiträge wie Drohungen oder falsche Tatsachenbehauptungen entfernt werden.
2. Kritische Äußerungen seitens der Mitarbeiter verbieten. Offenheit und Vertrauen im Unternehmen sind unverzichtbar, und ein Verbot könnte dazu führen, dass sich die eigenen Mitarbeiter „mundtot“ gemacht fühlen.
3. Auf kritische Kommentare mit Beleidigungen antworten. Beschimpfungen führen wie das Löschen kritischer Kundenbeiträge zu weiteren Beschwerden und manifestieren den schlechten Ruf.
4. Sich negativ über Wettbewerber oder ihre Produkte äußern. Nach den Regeln des Anstandes sollten auch Wettbewerber mit Respekt behandelt werden.
5. Vertrauliche Informationen über das Unternehmen veröffentlichen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen wissen, dass sie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren haben.
Unternehmen, die erfolgreich aufgestellt sind, nutzen häufig sorgsam ausgearbeitete Social Media Guidelines. Diese dienen einerseits als praktische sowie technische Anleitung, andererseits unterstützen sie die Mitarbeiter in ihrem Online Support-Verhalten. Indem sie eine erfolgreiche Kommunikation fördern, schützen sie sowohl das Unternehmen als auch die Mitarbeiter. Gültig sind die Guidelines selbstverständlich auch für Blogger, die für das Unternehmen tätig sind, und für externe Dienstleister.
Erfolg versprechen diese Verhaltensregeln:
1. Schnelle Reaktionen innerhalb von 24 Stunden.
2. Personalisierte Antworten statt vorgefertigter Antworten auf verschiedenen Plattformen.
3. Persönliche Ansprache.
4. Die richtige Sprache wählen sowie Umgang und Ton in der jeweiligen Plattform beibehalten, damit man als Teil des Systems akzeptiert wird.
5. Authentizität der Äußerungen ist wichtig, damit die Kommunikation nicht als Schleichwerbung enttarnt wird.
6. Personen autorisieren, die in der Öffentlichkeit Hilfestellung im Namen des Unternehmens leisten; private Äußerungen der Mitarbeiter sollten als solche gekennzeichnet werden.
7. Frühzeitig auf bessere Kanäle oder auf Experten verweisen.
8. Konsequente Nachverfolgung von Kundenbeiträgen, um kontinuierlich Hilfe anzubieten.
9. Transparenz, damit klar wird, in welcher Funktion eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter für das Unternehmen tätig ist, und damit Korrekturen von bereits veröffentlichten Beiträgen erkennbar und verständlich sind.
10. Konstante Aktualisierung des eigenen Profils, dies sollte auch von den Kunden, Bloggern und externen Dienstleistern beachtet werden, die im Netz für das Unternehmen Hilfestellung leisten.
Quelle: Praxisleitfaden Social Media im Kundenservice
Die Studie von mind Business Consultants, i-CEM, absatzwirtschaft und marketingIT hilft beim Einstieg in Social Media Customer Service. Welche Bedeutung die Kommunikationsmedien jeweils für die Servicekommunikation haben, wird mit Unterstützung zahlreicher praktischer Beispiele erläutert. Dargestellt werden Strategiemuster und Managementkonzepte, die Unternehmen großes Potenzial für Effizienzsteigerungen bieten. Ausführlich gehen die Autoren auch auf die Integration von Social Media in die Unternehmensprozesse ein. Der Leitfaden kategorisiert zudem die Anbieter von IT-Lösungen und nennt Unternehmen, die marktfähige Lösungen entwickelt haben.