Von Sandra Fösken
Viel Geduld ist notwendig, wenn man Mitglied in einem Arbeitskreis der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG.MA) ist: Denn seit Jahren bemüht sich die Organisation um einen Konsens bei der Ausweisung einer intermedialen Währung, auch als Crossmediawährung bezeichnet. Mit dieser Erhebung sollen das Zusammenspiel der verschiedenen Medienkanäle Print, Online, TV, Radio sowie Plakat sichtbar und die Mixkontakte identifiziert werden können.
Reichweitenstudie der AGF um Aussagen zu „Onlinemedien“ erweitern
Die aktuelle Intermedia-Datei der AG.MA bietet einen Vergleich von Einzelmedien auf Basis der vorhandenen Media-Analyse(MA)-Reichweitenstudien und Daten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF). Allerdings arbeitet kaum eine Agentur damit. Denn unter anderem ist die bunte Onlinemedienwelt mit Web-, iPad-, Video-, E-Paper-Angeboten dort nicht enthalten. Die Mitglieder der AG.MA, die sich aus Vertretern von werbungtreibenden Unternehmen, Medien und Agenturen zusammensetzt, sind sich einig, die Datei zeitnah auszuweiten und die einzige noch fehlende Mediengattung „Onlinemedien“ in die MA Intermedia zu integrieren. Doch ein Konsens über die Auswahl der richtigen Methodik besteht nicht. Die Agenturen und werbungtreibenden Unternehmen machen jetzt mächtig Druck.
Komplett neue Reichweitenerhebung zugunsten einer „multimedialen Reichweite“
Den bekanntesten Vorschlag zur Erhebung von Crossmediareichweiten äußerte Axel-Springer-Boss Mathias Döpfner im Jahre 2010 im Rahmen eines „Handelsblatt“-Interviews. Döpfner sprach sich für eine komplett neue Reichweitenerhebung aus – zugunsten einer „multimedialen Reichweite“, die sich aus Printauf lage und Reichweite einer Website zusammensetzt. So entstehen crossmediale Medienmarken, die ihre Stärke und Leistungsfähigkeit insbesondere gegenüber TV demonstrieren können, insbesondere weil die Verlage mit ihren Zeitungsportalen im Web inzwischen stolze Reichweiten erzielen. Doch Branchenkenner kritisieren diesen Vorschlag. Wenn Social Media ebenfalls integriert werden sollen, bleibt die Vergleichbarkeit auf der Strecke. Werbungtreibende und Agenturen wollen weiterhin genau wissen, wer welche Medien wie oft nutzt. Nicht die Summe der Kontakte allein sei entscheidend, sondern auch deren Zusammensetzung. Eine Antwort auf die Frage, wie eine Crossmediareichweite aus Online- und Offlinedaten errechnet werden kann, haben die Marktforscher der AG.MA geliefert, die allerdings nicht von allen Mitgliedern begrüßt wird.
Die Vorschläge bezogen sich auf zwei Modelle und zwei Testphasen: Beim ersten sogenannten „Händler“-Modell sollen zusätzliche Fragen zu TV und Radio in die reguläre MA-Pressebefragung integriert werden, demgegenüber handelt es sich beim „Hub-Survey“ um eine per Smartphone erhobene Tagesablaufstudie. Die Methode umfasst unter anderem eine zweiwöchige Tagebuchphase, bei der die Teilnehmer eine stündliche Protokollierung der Mediennutzung (TV-Sender, Radiosender, Zeitungen, Zeitschriften, Websites) sowie ihre eingesetzten Verkehrsmittel im Handy erfassen – und das viertelstundengenau für jede volle Stunde.
Nach der ersten Testphase lehnten die Printvertreter die geplante zweite Testphase jedoch ab. Sie äußerten methodische Bedenken gegenüber dem Hub-Survey. Hintergrund ist, dass die Gattungen, insbesondere die elektronischen Medien, die Nutzungsdauer wohl als eine Art Qualitätskriterium herausstellen wollen, sodass Print (insbesondere Zeitschriften gegenüber den anderen Medien im Tagesablauf ) eher schlechter abschneidet, was die ersten Testergebnisse auch bestätigten. Schon seit Jahren postulieren die TV-Vertreter einhellig, Print sei ein überbewertetes Medium und honorieren eine Steigerung des TV-Anteils mit Rabatten. Doch so plakativ die Argumente auch sind, bei den Kunden könnten die Argumente haften, wenn sie mit Fakten untermauert werden. Doch Hans-Georg Stolz, Vorstandssprecher der AG.MA, winkt ab: „Die AG.MA-Untersuchungen liefern nur Aussagen zur Nutzungsdauer und zu Reichweitenüberschneidungen, aber keine Hinweise zur Wirkungsweise von Medien.“ Ferner habe Print ausreichend Material, welches die hervorragende Werbewirkung von Print eindeutig belege, ergänzt Stolz.
Verlage wollen den elektronischen Medien keine Daten in die Hände spielen
Trotzdem wollen die Verlage den elektronischen Medien keine Daten in die Hände spielen, weil sie damit rechnen müssen, dass TV diese Ergebnisse als Vermarktungsargument gegen Print ausspielen wird. Die anderen Mediengattungen (Radio, Online, Plakat und Fernsehen) wollten zunächst weiter forschen, bevor sie eine grundsätzliche Entscheidung über das Modell zur Weitentwicklung der Intermedia-Datei fällen. Doch ohne die Unterstützung von Print drohen die Modelle entweder ins Leere zu laufen oder werden in ihrer Konsequenz nicht mehr gemeinschaftlich getragen. Jörg Blumtritt, Geschäftsführer bei der Agentur Mediacom Science, sieht im Hub-Survey einen bewährten Ansatz und hofft, dass die Mediengattungen weiter daran arbeiten. Schließlich sei die Methode nicht neu, sondern erfolgreich bewährt. Unter dem Titel „Touch Points“ werde der Hub-Survey in England seit Jahren erfolgreich eingesetzt, betont er. Allerdings ist der Hub-Survey auch mit extrem hohen Kosten und der Ausgabe von vielen Handys verbunden, um höhere Fallzahlen zu erreichen.
Reichweitenstudie Internet Facts/MA Online mit Panelbefragung zu Online- und Videowerbung ergänzen
Ein weiterer Vorschlag, der in der AG.MA-Arbeitsgruppe Konvergenzwährung diskutiert wurde und auf Initiative von Werbungtreibenden und Agenturen eingebracht worden ist, ist, die Onlinereichweitenstudie Internet Facts/MA Online mit einer Panelbefragung zu Onlinewerbeformen und Videowerbung zu ergänzen. Noch fußt die Erhebung auf einem Drei-Säulen-Modell, die technische Messung, Onsite- und Telefonbefragung umfasst. Wird das Modell um eine vierte Methode ergänzt, einem Panelansatz mit Single-Source-Befragung, können die technischen Daten mit Zielgruppendaten angereichert und die Mixkontakte auch auf Smartphone, Tablet-PCs und stationärem PC erhoben werden. Die vorhandenen Datensätze (MA Print, AGF-Daten, MA Plakat, MA Radio) könnten anschließend mit den neuen Daten fusioniert werden.
„Der Panelansatz bietet zwei wichtige Vorteile“, sagt Agenturmanager Blumtritt. Erstens könne die Nutzungsdauer zielgruppenspezifisch gemessen werden. „Zweitens kann die konkrete Kampagnenleistung ermittelt werden – wie wir es vom Fernsehen kennen“, bekräftigt er. Doch der von der Arbeitsgruppe favorisierte Ansatz passt den TV-Sendern nicht. Sie wollen nur TV-ähnliche Bewegtbilder messen lassen. Ihr Argument: Nur TV-ähnlicher Content im Web könnte mit klassischem Fernsehen vergleichbar gemacht werden. Viele Formen von animierten Bannern zählen die Forscher nicht zu ihrer Instream-Währung.
In Branchenkreisen wird gemunkelt, den Sendern gehe es nur darum, das Exklusivangebot der Fernsehsender zu bewahren. Demnach plant die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), nur die Sehbeteiligungsquoten für die fernsehähnlichen Bewegtbildformate im Internet auszuweisen. Die Folge sind zwei Reichweitenstudie mit Onlinebewegtbildreichweiten. So entstehen dann mehrere Währungen, „was die Werbekunden und Agenturen keinesfalls begrüßen“, betont Stolz. Doch dieses Argument wischen die Sender weg, zumal sie auf die Zustimmung der anderen Gattungen nicht angewiesen sind. Sie haben derweil schon Pläne ausgearbeitet, wie sie die Nutzung von bewegten Bildern im Internet, auf Handys und Handhelds messen wollen. Mithilfe eines Panels neben der klassischen Quotenmessung will die AGF bereits Anfang 2013 crossmediale Bewegtbildreichweiten ausweisen.
Der Alleingang des Fernsehens
Reiner Auer, Forschungsleiter bei der Agentur Crossmedia, wundert sich über den Alleingang des Fernsehens nicht. TV versuche über das Paradigma „Follow the content“ die Deutungshoheit über die Crossmediawährung zu erlangen. Ähnliche Bestrebungen habe es auch schon in der Vergangenheit gegeben. „Wir erinnern uns: Die AGF betrachtet auch die Nutzung von Teletext am heimischen Flachbildschirm als Fernsehnutzung und ebenso das Hörerlebnis des alljährlichen Neujahrskonzerts, sofern sich der Panelteilnehmer als fernsehend angemeldet hat“, sagt Auer.
Michael Dunke, Chef der Agentur Universal McCann, mahnt: „Ein Panel sollte alles an Bewegtbild messen und nicht Teile außen vor lassen, selbst wenn über Wirkung und Qualität kontroverse Diskussionen bestehen.“ Mediacom-Manager Blumtritt stellt fest, dass auch bei anderen Mediengattungen, etwa Print, sämtliche gedruckte Erzeugnisse im Rahmen der Reichweitenerhebung erfasst werden. „Eine Achtelseite in einer regionalen Tageszeitung wird wie eine Zeitschriftendoppelseite 4c mit einem Kontakt gemessen. Die unterschiedliche Wertigkeit der Kontakte wird dann durch den Tausend-Kontaktpreis (TKP) differenziert“, erläutert Blumtritt. AG.MA-Vorstandssprecher Stolz bestätigt: „Der Alleingang von TV macht natürlich keinen Sinn.“ Der Internetnutzer unterscheidet nicht, ob er Bewegtbild beispielsweise bei Web.de sieht oder bei RTL.de, weil es die gleiche Wahrnehmungsform ist“, sagt Stolz. „Auch die werbungtreibenden Unternehmen lehnen eine Differenzierung der Bewegtbildformatkontakte nach TV und Online ab“, postuliert der AG.MA-Sprecher. Eine Einschränkung auf bestimmte Formate oder Werbemittel bringe Kunden und Agenturen nicht weiter.
Auch das Printlager baut derweil an einer eigenen Markt-Media-Studie, denn die wahren Wettbewerber um Werbegelder sind nicht andere Verlage, sondern TV- und reine Onlinevermarkter. Die Studie mit dem Titel „Best4Planning“ sei jedoch nicht als Gegenwährung zur Intermedia-Datei der AG.MA gedacht, betont Arne Bergmann, General Manager Marketing Zeitschriften bei Axel Springer Media Impact (Asmi) und Sprecher der Best4Planning-Studie. Das sei auch wenig zielführend, betont Bergmann: „Wir müssen in der AG.MA möglichst einen Konsens finden.“ Mit der Studie betreiben die Vermarkter von Zeitungen und Zeitschriften erstmals effektives Gattungsmarketing. Bisher haben sich die Verlage untereinander einen eifrigen Wettbewerb um die besten Werbewirkungsstudien geliefert. Im Herbst 2011 einigten sich Axel Springer, Bauer Media Group, Burda und Gruner + Jahr auf eine Kooperation mit dem Ziel, die Untersuchungen „Typologie der Wünsche“ (TdW) und die bisher von Bauer und Springer herausgegebene „Verbraucher-Analyse“ (VA) in einer neuen großen gemeinsamen Markt-Media-Untersuchung („Best4Planning“) zusammenzuführen. Damit wollen sie die besondere Funktion von Print für die Werbewirkung unter Beweis stellen.
„Wir wollen zeigen, welchen Beitrag Printmedien leisten, wie aktiv die Printmedien genutzt werden“, erläutert Bergmann, schränkt aber sofort ein, dass die Mediennutzung nur eine von drei Säulen sei. In der Markt-Media-Studie werden auch „Menschen“ und „Märkte“ untersucht: Anschaffungsabsichten, Marken- und Konsumeinstellungen in verschiedenen Märkten erhoben. Anhand der Daten wollen die Forscher auch Typologien bilden und gesellschaftliche Trends ableiten. Dafür sollen circa 30 000 Personen in zwei Erhebungswellen über einen Zeitraum von acht Monaten befragt werden. Die erste Veröffentlichung ist für Sommer 2013 geplant. Für Crossmediaanalysen werden sämtliche im Markt zur Verfügung stehenden Datenquellen herangezogen. Die Mediennutzung auf Tablet-PC oder Smartphone soll mit Panelbefragungen ermittelt und ergänzt werden.
Mangelnde Bereitschaft zur Einigung
Links und rechts der AG.MA tritt nun das ein, was der AG.MA-Vorstandssprecher Stolz eigentlich vermeiden wollte: dass bilaterale Crossmediaerhebungen entstehen. Print und TV kochen dann nämlich ihr eigenes Währungssüppchen. Die anderen Gattungen werden wohl nachziehen und ebenfalls an einer eigenen Erhebung stricken. Als Grund für die Spaltung nennt Stolz die mangelnde Bereitschaft zur Einigung. „Viele Mitglieder der AG.MA meiden eine Einigung, weil sie Nachteile für ihre Gattung befürchten.“ Medienberater Dr. Christian Bachem reagiert auf die mangelnde Einigungsbereitschaft ebenfalls mit Unverständnis: „Bei Insellösungen besteht die Gefahr, dass für den Absender argumentiert wird“, unterstreicht Bachem.
Die Einführung einer Konvergenzwährung – ein Ziel in weiter Ferne
Ein weiteres, allerdings noch sehr fernes Ziel, ist die Einführung einer Konvergenzwährung, um die Kontakte von Print, Plakat, TV, Radio und Online miteinander methodisch sauber vergleichbar zu machen. Dafür sei es notwendig, den Gattungsbegriff aufzuheben und einen neuen Ansatz zu finden, der die Nutzungssituation ins Zentrum aller Untersuchungen stellt. Stolz nennt ein Beispiel: „Die Nutzung von einem E-Paper über ein iPad kann sowohl dem Onlinemedium als auch Printmedium zugeordnet werden. Insbesondere bei den Bewegtbildformaten hat man das Problem, dass man nicht mehr weiß, welcher Gattung das eigentlich zuzuordnen ist. Bewegtbild an der U-Bahn-Station könnte von der Erhebung her Plakat und TV sein.“ Auf einer der letzten Mitgliederversammlungen hat die Arbeitsgruppe Konvergenzwährung ein Ordnungsschema nach Wahrnehmbarkeitsstufen vorgestellt: Ansatzpunkt ist die Wahrnehmung des Rezipienten, wie er eine Anzeige, einen Spot, ein Video im Internet aufnimmt. „Nicht der Werbeträger steht im Fokus der Untersuchung, sondern das Werbemittel, deswegen ist eine Differenzierung nach Gattungsbegriffen nicht mehr sinnvoll“, bilanziert Berater Bachem. Nach dem Vorschlag der AG.MA sollen die redaktionellen Angebote in vier Rezeptionsformen eingeordnet werden: statisch (Anzeige, Banner, klassisches Plakat), visuell dynamisch (ohne Ton, animierte Inhalte), audiovisuell (Bewegtbild mit Ton), audio (Radio). „Mit einer optimierten Onlinereichweitenstudie mit Panel auf Basis einer Grundgesamtheit von rund 50 000 Personen könnten im Internet die verschiedenen Wahrnehmungsformen gemessen und anschließend mit den wahrnehmungsadäquaten Silo-Studien fusioniert werden“, sagt Stolz. Crossmedia-Forschungsleiter Auer begrüßt den userzentrierten Vorschlag, allerdings hält er einen Reichweitenmedienüberblick weiterhin für zwingend notwendig. Doch mit der aktuellen strittigen Diskussion um die Crossmediawährung rückt das Konvergenzszenario zunächst noch in weite Ferne.