Herr Dr. Precht, wie lässt sich das Vertrauen in die Wirtschaft stärken?
RICHARD DAVID PRECHT: Vertrauen ist philosophisch gesehen ein kleines Unterthema der Moral. Diese unterteilt die Welt in das, was wir achten und was wir ächten. Es ist aber nicht immer ratsam, um jeden Preis eine Vertrauensstärkung erreichen zu wollen. In der Finanzbranche herrscht derzeit zum Beispiel mehr Miss- als Vertrauen. Durch jetzt vorhandene Informationsmöglichkeiten erleben wir einen gesunden Prozess der Skepsis. Ich finde es verständlich, dass sich Kunden schwer damit tun, auf die richtige Marke zu setzen.
Was wendete sich im Marketing aus Ihrem Blickwinkel jüngst zum Besseren?
PRECHT: Die Entdeckung der Spiegelneurone in den 1990er-Jahren hat viel verändert. Wir kennen heute die Mechanismen besser, die uns spontan dazu bringen, uns einzufühlen. Die Werbung appelliert heute weniger an die Vernunft, ein „besseres“ Produkt zu erwerben, sondern an unfreiwillig entstehende Gefühle. Konsumierten vor zwanzig Jahren noch Prominente Kartoffelchips, um sie zu bewerben, ist in Kampagnen mittlerweile nur noch ein krosses Geräusch zu hören. Somit kann sich jeder vorstellen, wie es wäre, jetzt Chips zu essen.
Worin äußert sich unsere Vertrauenskultur?
PRECHT: Wir haben keinen angeborenen Sinn für Fairness, aber wir besitzen einen angeborenen Sinn für Unfairness, die uns widerfährt. Diese muss durch praktische Erfahrung bis zum achten Lebensjahr in ein Empfinden für Fairness überführt werden. Durch Lebenserfahrungen merken wir dann zunehmend, dass ein Mensch, der sich immer moralkonform verhält, im Leben große Schwierigkeiten bekommt. Daher gebrauchen wir unsere Grundsätze flexibel. Das heißt zum Beispiel: Leute, die sich gut kennen, vertrauen einander eher als unbekannten Menschen. Und: Je mehr wir uns anerkannt fühlen, desto mehr vertrauen wir.
Welcher Marke vertrauen Sie?
PRECHT: Meine Markenorientierung ist unterdurchschnittlich. Bereits als 18-Jähriger hielt ich es für unbeschreiblich dämlich, wenn Menschen T-Shirts mit einem Krokodil-Logo trugen und indirekt für Lacoste geworben haben ohne dafür bezahlt zu werden. Heute kann ich mich immer noch nicht für die typische Männerproduktpalette begeistern, weil ich selbst kein Auto fahre und seit Jahren das gleiche Rasierwasser verwende. Ich gehe eher selten einkaufen, weil das für mich eher eine lästige Pflicht ist. Unverhältnismäßig viel Geld gebe ich nur für alte Bücher aus. Wenn ich Werke finden möchte, die meine Privatbibliothek bereichern sollen, ist mir vor allem die Beziehung zu Händlern wichtig, die ich zum Beispiel auch auf Messen besuche. Während ich im Internet immer nur nach dem besten Preis-Leistungsverhältnis auswähle, spielt es für mich im direkten Kontakt eine nicht unerhebliche Rolle, wem ich das Geld gebe. Dann zahle ich unter Umständen sogar etwas mehr für ein Buch.
Im Social-Media-Zeitalter könnten Sie als Autor darüber aber auch mehr Bücher verkaufen?
PRECHT: Ich käme nie auf die Idee, eine eigene Homepage einzurichten. Denn ein Netzwerk ist immer auch ein Verpflichtungsnetzwerk. Und ein Gästebuch für meine Leser würde zu nichts als Frust führen, da ich niemandes Post beantworten kann. Das ist zeitlich ausgeschlossen. Ich möchte für meine Person nur ein Minimum an Marketing betreiben. Denn wenn meine Marke weiter expandieren würde, wäre das eher schädlich. Wer zu viele Bühnen bespielt, landet schnell im reinen Unterhaltungssektor. Das würde meiner Anerkennung in der Fachwelt schaden. Da muss man sich schon entscheiden und seine Grenzen ziehen.
Das Gespräch führte Martina Monsees.