Social Media offline: Anwender und Kritiker am Runden Tisch

IT-Anbieter Dell hat Kritiker aus Facebook, Twitter, Blogs und Foren gebeten, ihre Meinung persönlich und schonungslos am Runden Tisch vorzutragen. Die Diskussion war völlig offen, weil im Internet zu verfolgen: ein neues Event-Format mit hohem Risikopotenzial.

Von Alain Blaes

Dell hat sich das Thema „listen“ auf die Fahne geschrieben: den Kunden zuhören, ihre Meinungen und Kritik aufnehmen und sie gegebenenfalls in die Entwicklung neuer Produkte oder Servicepakete einfließen lassen. So ist vor einigen Jahren die Website Ideastorm entstanden, auf der jeder, ob Kunde oder nicht, Anregungen oder Verbesserungswünsche eintragen kann. Andere Surfer können die Ideen positiv oder negativ bewerten („promote“ oder „demote“) und tragen somit dazu bei, dass sich die Dell-Manager und -Entwickler damit auseinander setzen. Eine ganze Reihe von Ideen aus Ideastorm wurden bereits umgesetzt.

„Listen“ heißt bei Dell auch, aktiv in allen Social Media-Kanälen zu sein und etwa mit Hilfe des vor kurzem gegründeten „Social Media Listening Command Center“ das Rauschen im Social Media-Wald zu verfolgen, also möglichst viele Konversationen im Web zu analysieren und auszuwerten. Auch solche Erkenntnisse fließen in die Verbesserung von Produkten, Services und der Kundenbetreuung.

Dells Social-Media-Experten haben auch den Customer Advisory Panel (CAP) ins Leben gerufen. Die Idee: besonders lautstarke Kritiker im Web an einen Runden Tisch einzuladen und sich ihrer Kritik zu stellen, daraus zu lernen und entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Durch Social Media sollen die Bemühungen von Dell der Community schnell und vor allem glaubwürdig mitgeteilt werden. In den USA und China hatte Dell bereits „CAP Days“ veranstaltet. Deutschland, eines der strategisch wichtigen Länder für den IT-Anbieter, sollte folgen.

So erfolgreich die Events in Round Rock/Texas und Shanghai waren, so unklar war es, ob die Veranstaltung auch in Deutschland zum Erfolg werden würde. Schon die Vorbereitungen waren von Schwierigkeiten geprägt, weil die Identifizierung von Social Media-Kritikern trotz guter Suchwerkzeuge wie Radian6 zäh verlief. Verglichen mit den USA und China ist die Größe der deutschen Social Media-Community eher bescheiden. Zudem galt es, eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen (Seriosität der Kritik, mutmaßliche Volljährigkeit, Inlandswohnort etc.), die die Anzahl der Hits weiter reduzierte.

Am 20. Januar erschien dann rund ein Dutzend Social Media-Kritiker aus ganz Deutschland, sowohl Endverbraucher als auch Unternehmensvertreter, im Steigenberger Airport Hotel in Frankfurt. Persönlich, an einem physikalischen Runden Tisch. Social-Media offline, sozusagen. Die Eckdaten und Spielregeln des CAP Days: Es handelte sich um eine Powerpoint-freie Zone. Das Top-Management von Dell war mit Experten aus ganz Europa und der neuen deutschen Geschäftsführerin Barbara Wittmann anwesend. Die Teilnehmer sollten ihre Meinung schonungslos darlegen und kein Blatt vor den Mund nehmen. Es war erwünscht, dass die Teilnehmer während der Diskussion bloggen, twittern und Videos oder Forumseinträge posten, um eine möglichst große Transparenz in der Social Media-Community sicherzustellen; dafür wurde der Twitter-Hashtag #DellCAP eingerichtet.

Die Teilnehmer wussten nicht, was sie erwarten würde. Viele dachten an ein Promo-Event von Dell, wie Fotograf Mario Andreya aus Rüsselsheim: „Im allerersten Moment dachte ich, es sei eine reine PR-Veranstaltung.“ Andere konnten die Einladung überhaupt nicht einordnen: „Warum gerade ich?“, fragte sich etwa der freie Journalist Martin Goldmann aus Fürth.

Während der Diskussion wurde die gesamte Bandbreite der möglichen Themen besprochen, von der Produktqualität über den Support bis hin zu Dells Social Media-Präsenz und Umweltengagement. Von Problemen mit Treibern und Hardware über Intransparenz beim Support bis hin zur mangelhaften Innovation wurde viel negative Kritik vorgetragen. Es gab aber auch Positives: gute Qualität der Produkte, gutes Preis-Leistungsverhältnis. Praktisch im Sekundentakt informierten die Teilnehmer ihre Community über den Fortschritt der Diskussion via Twitter und andere Kanäle.

Am Ende des CAP Days waren die Teilnehmer zufrieden und teils begeistert von der Offenheit der Veranstaltung: „Ich bin sehr überrascht von dem Format“, erklärte Markus Noelker, Geschäftsführer des Systemhauses Nacura in Paderborn, und auch Erik Scheil, Betreiber des xps-forum.de aus Darmstadt, zog „ein sehr positives Fazit“. „Es war sehr kurzweilig und extrem informativ“, resümierte schließlich der Münchner Blogger und Coach Matthias Lange. Auch die Ernsthaftigkeit der Dell-Manager, ihre Kritik konstruktiv aufzunehmen, kam gut an. „Es ist entscheidend, das Feedback an die Abteilungen weiterzugeben, die die gewünschten Veränderungen herbeiführen müssen“, versprach Dell-Chefin Barbara Wittmann. Am folgenden Tag wurden tatsächlich alle Diskussionspunkte in großer Runde diskutiert und bewertet. Aufgaben wurden verteilt und an die unterschiedlichsten Abteilungen zur Weiterbearbeitung gegeben. Im Anschluss daran wird Dells Top-Management in Europa und den USA informiert.

CAP Days: ein Experiment mit hohem Risiko, weil schonungslos und für die gesamte Social Media-Community live verfolgbar und völlig transparent. Das Risiko aber hat sich auch in Deutschland ausgezahlt, und die nächsten CAP Days sind schon im Gespräch. In Zeiten immer stärkerer Sparzwänge und sinkender Kundenzufriedenheit (Stichpunkt „Servicewüste Deutschland“), in denen Kunden nicht selten das Vertrauen in Unternehmen verlieren und sie mit immer geringerer Kundenbindung bestrafen, ist es wichtig, die Ernsthaftigkeit der Kundenbeziehungen zu kommunizieren. Hier könnten die CAP Days für viele Chefetagen und Marketingabteilungen durchaus ein Vorbild sein.

Ein Video der Veranstaltung inklusive Interviews mit Teilnehmern ist auf Youtube abrufbar:
www.youtube.com/user/DellDeutschland

Der Verlauf der Veranstaltung und die Diskussionen über Twitter können hier eingesehen werden:
twitter.com/DellCAP

Alain Blaes ist Geschäftsführer der PR-COM Beratungsgesellschaft für strategische Kommunikation in München.