Real Beauty von Dove: schlecht gealtert

Als revolutionär und mutig galt die Real-Beauty-Kampagne, die Dove vor 20 Jahren viel Lob einbrachte. Doch statt zu ermutigen, tat sie das Gegenteil, findet unser Redakteur Andreas Marx.
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Schöne Menschen als Verkaufsargument: Die Real-Beauty-Kampagne von Dove. (© Unilever)

Als die Unilever-Marke Dove im Jahr 2004 ihre Real-Beauty-Kampagne der Welt präsentierte, war das Echo enorm: Es waren keine 90-60-90-Models, die für Dove warben, sondern scheinbar Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, mit Kurven, unterschiedlichen Körpergrößen und verschiedenen Hauttönen. Die Botschaft: Du musst kein Model sein, um dich in deiner Haut wohlzufühlen – fuck the (unrealistic) beauty standards! Die Kampagne traf den Nerv der Zeit und löste eine Welle der Body-Positivity-Bewegung aus.

Als Teenager hat mir der Mut von Dove imponiert. Damals sah ich – zuvor geprägt durch MTV, ProSieben & Co. – zum ersten Mal beleibte Körper in einem positiven medialen Kontext. Nachdem in den 90er Jahren mit Kate Moss, Naomi Campbell und Co. der magere Körper als geltendes Schönheitsideal postuliert wurde, schien mit der Dove-Kampagne ein neuer Phänotyp den Mainstream zu erobern: das Normale.

Doch heute, 20 Jahre später, fehlt mir beim Betrachten der Kampagnenbilder jene Normalität, die mir damals als 15-Jährigem ins Auge fiel. Stattdessen sehe ich wunderschöne Menschen in gesunden Körpern und mit symmetrischen Gesichtern. Ob es damals das Wort „Plus-Size-Model“ gab, weiß ich nicht. Doch auch diese Personen verkörperten ein Schönheitsideal, dem das Gros der Menschen nicht entsprach.

Die Kampagne, die Dove gemeinsam mit Ogilvy entwickelte, sorgte aus heutiger Sicht nicht für mehr Vielfalt. Und sie riskierte: nichts. Sie zeigte keine Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, krankhafter Fettleibigkeit oder mit anderen von der Norm abweichenden Eigenschaften – sprich: Hässlichkeit. Während wir heute stärker über Inklusion in der Werbung diskutieren, ist unser Bewusstsein über Sichtbarkeit und Nicht-Sichtbarkeit von Menschen (und den Folgen) geschärft worden.

Hässlichkeit als Anreizbremse

Heute stelle ich mir die Frage: Was muss es in einem Menschen auslösen, der sich nicht in dem von Dove beworbenen Schönheitsbild wiederfindet? Das Gefühl des nicht Genügens und der Ausgrenzung scheint naheliegend. So kehrt sich die Botschaft der Body-Positivity-Kampagne ins Negative: Fühlst du dich nicht schön, bist du das Problem.

Was als schön gilt, ist nicht nur Geschmackssache. In der Wissenschaft herrscht Konsens darüber, dass die Grundzüge von Attraktivität konstant bleiben. Beispielsweise ist die Symmetrie des Gesichts ein Schönheitsmerkmal, das in allen Kulturen bekannt ist. Wir sprechen schönen (ergo attraktiven) Menschen positivere Eigenschaften zu. Sie gehen leichter durchs Leben, bekommen bessere Noten, ein höheres Gehalt, werden als intelligenter eingeschätzt.

Models als Summe abstrakter Schönheitsdiktate wecken also Begehren – und Kaufanreize. Das als „Pretty Privilege“ bekannte Phänomen kommt daher auch im Marketing zum Tragen. Im Fall von Dove: Kauf diese Creme, dann gehörst du dazu. Falten, krumme Nasen, ein fehlendes Bein – das sind keine Kaufargumente. Mit ihnen verdienen Marken kein Geld.

Doch gibt es neben dem evolutionären Konsens von Schönheit und Ästhetik auch einen kulturellen. Diese Regeln, was schön ist, sind nicht naturgegeben und können eingeführt, er- und verlernt werden. Dazu tragen Medien bei, aber auch Unternehmen wie Dove. Doch neben der Diskussion darüber, was schön ist, wird heute zusätzlich ein weiterer wichtiger Aspekt beleuchtet, der Body Neutrality genannt wird: Muss ein Körper überhaupt schön sein? Kann sich ein gesundes Selbstwertgefühl nicht auch unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild einstellen?

Hätte Dove sich damals an sein eigenes Gebot (du musst kein Model sein) gehalten und mehr Menschen eingebunden, die wirklich aus der Mitte der Gesellschaft stammen, wäre die Kampagne gut gealtert. So ist sie es nicht.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.