Ravensburger wächst mit Innovation gegen den Markttrend 

Erfolgreiche Spielwarenhersteller setzen zur richtigen Zeit auf die richtigen Ideen und Produktinnovationen. Wie sie dabei vorgehen, zeigen wir in unserer Innovations-Serie. Folge 1: Ravensburger.
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Ravensburger ist nicht nur innovativ, sondern auch nachhaltig: Mit „GraviTrax Junior“ brachte der Hersteller sein erstes Produkt aus Bio-Kunststoff auf den Markt. (© Ravensburger)

Die Zahlen sind beachtlich: Auf der weltgrößten Spielwarenmesse in Nürnberg haben Anfang Februar 2400 Aussteller aus 68 Ländern mehr als 70.000 Neuheiten präsentiert. Eine Erfolgsgarantie gibt es für die wenigsten dieser Produktinnovationen: Nur jeder zehnte neue Artikel wird das erste Jahr „überstehen“ und sich am Markt durchsetzen, besagt eine in der Branche bekannte Faustregel. Da ist es umso wichtiger, den Geschmack der Zielgruppen genau zu treffen.  

Einer der größten deutschen Spielwarenhersteller hat seinen Sitz in Ravensburg am Bodensee. Der gleichnamige Spiele- und Buchverlag mit dem markanten blauen Dreieck als Logo blickt auf eine lange Firmengeschichte zurück, deren Wurzeln im Jahr 1883 liegen. Das Familienunternehmen existiert somit bereits seit mehr als 140 Jahren; genug Zeit, um sich mehrmals neu zu erfinden.  

Innovation wird zum Hauptwachstumstreiber

Der Schlüssel für diese Beständigkeit sind erfolgreiche Produktinnovationen. Um nur einige zu nennen, die sofort Erinnerungen wachrufen: Von Ravensburger kommen Spieleklassiker wie Fang den Hut (seit 1927), Memory (seit 1959), Malefiz (seit 1960) und Scotland Yard (seit 1983), aber auch die bekannte Kinderbuchreihe „Wieso? Weshalb? Warum?“ (seit 1998). Zwei „Bestseller“ der jüngeren Geschichte sind der millionenfach verkaufte Lesestift TipToi (seit 2010) und die Kugelbahnsysteme GraviTrax (seit 2017). 

Am Vorabend der Messe in Nürnberg legt der oberschwäbische Verlag traditionell seine Geschäftszahlen für das abgelaufene Jahr vor: Und 2023 war eines der „erfolgreichsten Geschäftsjahre“. Trotz des weltweit verhaltenen Konsumklimas stieg der Ravensburger-Umsatz um rund 12 Prozent auf 670 Millionen Euro. Als einen der Hauptwachstumstreiber nennt Firmenchef und Gründer-Urenkel Clemens Maier vor allem eine Innovation: das selbst entwickelte Sammelkartenspiel „Disney Lorcana“. Er spricht sogar vom „größten Produkt-Launch in der Unternehmensgeschichte“.  

Erfolg nicht vorprogrammiert

Das Spiel erschien im August 2023 in Kooperation mit dem Lizenzgeber Disney und fasziniere Sammelkartenspieler wie Disney-Fans gleichermaße . Sie hätten auf den internationalen Spielemessen dafür Schlange gestanden, teilte das Unternehmen mit. Das Kartenset sei nach wenigen Tagen bei allen Händlern ausverkauft gewesen. Inzwischen habe man die Engpässe überwunden. Alle drei Monate folgen neue Sets, und im April beginnen die von den Fans erwarteten Turniere und Events. Außerdem wird das Spiel, das 2023 unter anderem in Nordamerika, Frankreich, Großbritannien und Deutschland auf den Markt kam, in neun weiteren europäischen Märkten und in Mexiko eingeführt. Der Erfolg kam allerdings nicht über Nacht: Seit drei Jahren investiere Ravensburger erhebliche Mittel, um den Trading-Card-Markt zu erobern.  

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Drei Jahre hat sich Ravensburger auf den Einstieg in den Sammelkarten-Markt vorbereitet. Dann sind die Schwaben mit “Disney Locarna” herausgekommen. (© Ravensburger)

Wie bei den meisten Neuentwicklungen wurden Ideen in verschiedenen Stadien ausprobiert und wieder verworfen – manche Produkte floppten auch erst nach ihrer Markteinführung, räumt Christian Bulla von Ravensburger ein: „Selbst, wenn wir alle Schritte noch so gut bedacht haben, kommt es vor, dass der Konsument anders entscheidet. Nicht zuletzt gibt es auch noch die Wettbewerber, die genau zum Zeitpunkt der Produkteinführung am gleichen Markt aktiv sind“, sagt der Group Director Category Construction / Arts&Crafts. 

Um eine Idee zur Marktreife und schließlich auch zum Verkaufserfolg zu bringen, bedarf es einiger Vorarbeit, erläutert Bulla: Der Hersteller beobachtet den Markt und die Produkte, die erfolgreich sind, und befragt Konsumenten – zum Beispiel, welche Erfahrungen sie mit anderen Produkten gemacht haben. Daraus entstehen neue Konzepte oder auch Weiterentwicklungen bestehender Produkte. Regelmäßig tauschen sich die Produktverantwortlichen mit ihren Autoren und Entwicklern aus, begutachten mit ihnen neue Ideen. „Natürlich besuchen wir auch Messen, darunter auch kleinere spezialisierte, die zum Beispiel neue technische Lösungen zeigen, wo wir uns Inspirationen für eigene Produktentwicklungen holen“, so Bulla.  

Später würden Konzepte und gegebenenfalls Prototypen an und mit Konsument*innen getestet. „Wir präsentieren das Konzept einer relativ kleinen Gruppe entweder rein visuell oder mit einem ersten Prototypen“, erläutert Bulla. Dann folgen quantitative Befragungen mit deutlich mehr Probanden in einem bestimmten lokalen Markt oder auch international in mehreren Märkten.  

Daten spielen eine wichtige Rolle

Marktforschung und damit auch Daten spielen laut dem Entwicklungsverantwortlichen „eine sehr wichtige Rolle“. Die Validierung finde entlang des gesamten Entwicklungsprozesses statt und umfasse Produkt- und Spiel-Konzept, Inhalt des Produkts und seine Verpackung, Preis-Akzeptanz bei der Zielgruppe in verschiedenen Preissegmenten sowie Definition der Vermarktungs- und Vertriebswege im Kontext des Wettbewerbs und des Marktumfeldes. 

Ravensburger ist nicht nur in Sachen Produktneuheiten innovativ, sondern auch im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Erstmals brachte das Unternehmen mit „GraviTrax Junior“ ein Produkt mit Materialien aus Bio-Kunststoff auf den Markt. Die beliebte Kugelbahn ist – genau wie die Lesestiftreihe TipToi – ein gutes Beispiel dafür, wie Hersteller einmal erfolgreich eingeführte Produkte zu Produkt- oder Spielewelten ausbauen und damit den Erfolg gewissermaßen skalieren.  

„Als wir sehen konnten, dass sich die GraviTrax-Linie für Kinder ab 8 Jahren gut am Markt etablierte, überlegten wir, ob dieses Konzept auch für andere Zielgruppen adaptierbar ist“, erinnert sich Bulla. Das Unternehmen entwickelte ein Produktkonzept für die Zielgruppe ab 3 Jahren und testete mit den Kindern die Prototypen. „Das ist eine wichtige Phase, denn Kinder haben oft ganz andere Sichtweisen als die Entwickler“, so Bulla. Nach einigen Iterationen habe man schließlich ein für diese Zielgruppe passendes Produktangebot gehabt, das vergangenes Jahr als „GraviTrax Junior“ auf den Markt kam. Wer weiß? Vielleicht wächst hier der Verkaufsschlager für die nächsten Jahre und Jahrzehnte heran. 

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.