Preiskampf macht der Branche zu schaffen

Callcenter stellen die Weichen für die Zukunft – und kämpfen mit den Problemen der Gegenwart. Investitionen in Personal und Technik sind aber unerlässlich.
von Max Bücker
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Günther Jauch rief sogar selbst an. Die massive Beschwerde einer Familie über einen Telefonanbieter, der den zugesagten Festnetzanschluss nicht liefert und seine anrufenden Kunden ewig in der Warteschleife hängen lässt, hatte das Thema „Callcenter“ wieder mal ins Fernsehen gebracht. Es passte ins Bild, dass auch Moderator Jauch nach dem Wählen der Hotline-Nummer sechs Minuten warten musste, bis er einen Gesprächspartner an der Strippe hatte. Unzufriedene Anrufer, ausgenutzte Mitarbeiter, verscherbelte Kundendaten, missachtete Regeln – die Callcenter-Branche hat durch etliche Negativ-Schlagzeilen viel an öffentlichem Ansehen verloren. Dabei hat sich ein Großteil der Anbieter in den vergangenen Jahren stetig und positiv weiterentwickelt. „Die Branche ist deutlich besser als ihr Ruf, leidet manchmal aber unter ihren schwarzen Schafen“, sagt Manfred Stockmann, Präsident Call Center Forum Deutschland (CCF). Neben technischen Innovationen hat sich das Spektrum der Kommunikationsdienstleistungen erheblich erweitert. Wichtige Zukunftsfragen stellen sich, etwa in welche Felder die Callcenter-Betreiber vordringlich investieren sollten: Braucht es mehr Software, mehr echte Berater, mehr fundiert ausgebildete Mitarbeiter oder mehr Top-Technik, um die Kanäle Internet, E-Mailing und Telefon optimal miteinander zu kombinieren? Wird mehr Automatisierung oder mehr Personalisierung gefragt sein?

Die deutschen Callcenter sind technisch gut gerüstet, laut Stockmann in Sachen Sprachsysteme sogar europaweit führend. Derzeit müssen zahlreiche Anbieter jedoch genau abwägen, ob und wie viel sie in neues Gerät und qualifiziertes Personal investieren sollen – beziehungsweise können. Denn der seit Jahren wachsende Preisdruck fordert seinen Tribut. „Durch diese Entwicklung stehen nun etliche Dienstleister mit dem Rücken zur Wand. Die Konsolidierung der Branche wird sich verschärfen, es wird vermehrt zu Fusionen, Übernahmen und dem Einstieg von Investoren kommen“, bekräftigt Stockmann.

Rund eine halbe Million Mitarbeiter beschäftigt die Branche – und eine Mitarbeiterin heimst gerade viele Lorbeeren ein: Claudia Derkum wurde im Februar zur „Callcenter-Managerin des Jahres 2010“ gekürt, gut zwei Monate später erhielt sie den Award der European Confederation of Contact Centre Organisations (ECCCO). Als Head of Operations des Callcenter-Dienstleisters SNT Deutschland hatte sie ein erfolgreiches Inbound-Selling-Konzept entwickelt – und damit gezeigt, wie man offensiv und kreativ auf Veränderungen im Markt reagieren kann. Hintergrund: Durch die Neufassung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) sind vertriebliche Outbound-Aktivitäten deutlich eingeschränkt. Derkum reagierte darauf. „Mit dem Inbound-Selling-Konzept haben wir für unsere Auftraggeber einen attraktiven neuen Vertriebskanal erschlossen und erhöhen damit ihre Wertschöpfung“, sagt Derkum. In ausgewählten Kundenprojekten werden sogenannte „Sales Coaches“ ausgebildet. Teamleiter wählen kompetente Inbound-Kundenbetreuer mit verkäuferischem Talent aus, die vertrieblich intensiv geschult werden und ihre Kenntnisse und praktischen Erfahrungen dann an Kollegen weitergeben. Das Beispiel illustriert: Gesetze ändern sich, neue Anforderungen entstehen, aber das Wichtigste bleibt der Kunde. Darauf müssen sich Callcenter mehr denn je besinnen. Trotz oder gerade weil Kosten und Konditionen so sehr in den Fokus rücken.

In Zukunft wird das Callcenter an wirtschaftlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Wertschätzung gewinnen, mehr noch: Es wird zur zentralen Anlaufstelle für Kunden aller Art und übernimmt das Customer-Interaction-Management. Zu dieser Prognose kommt jedenfalls die im Auftrag des CRM-Dienstleisters Transcom Worldwide durch das Hamburger Trendbüro erstellte „Dialogstudie 2020“. Das Callcenter der Zukunft, heißt es weiter, wird einen wesentlichen Beitrag zu einer funktionierenden Kundenbeziehung leisten. Die Konzentration auf das Medium Telefon werde dafür überwunden. Das sei schon längst passiert, sagt Dirk-Jan Dokman von The Selfservice Company, einem Anbieter von virtueller Beratung. „Tagtäglich suchen Konsumenten im Internet nach Informationen. Nur wenn sie dort keine finden, greifen sie zum Telefonhörer.“ Die Generation der „Digital Natives“ wird diesen Trend in den nächsten Jahren weiter verstärken. „Investitionen, die das Internet dialogfähig machen, verbessern den Kundenservice und helfen Kosten zu sparen“, betont Dokman. Social Media wird auch für Callcenter zu einem großen Thema. „Kunden waren nie hybrider als heutzutage“, sagt Matthias Frede, Geschäftsführer CC Management Consulting. Unternehmen müssen in der Lage sein, den vom jeweiligen Kunden präferierten Kommunikationskanal zu nutzen. „Nur so wird das Callcenter wirklich zum Customer-Interaction-Center. Contactcenter-Agenten müssen neben den herkömmlichen Kommunikationskanälen auch die Dialog-2.0-Applikationen gleichberechtigt und nebeneinander bedienen können“, betont Frede. Für CCF-Präsident Stockmann steht fest, dass „sich das Berufsprofil der Callcenter-Mitarbeiter verändern wird und sie zusätzliche Fähigkeiten beherrschen müssen“. Entsprechend wird sich auch die Software weiterentwickeln und beispielsweise eine Integration von Social-Media-Aktivitäten in CRM-Systeme ermöglichen. Daten aus Xing, Facebook und anderen sozialen Netzwerken direkt zu übertragen war bislang schwierig bis unmöglich. Das muss sich ändern. Harald Henn, Inhaber von Marketing Resultant in Mainz, nennt ein Beispiel: „Wenn sich Kunden in einer Community zu Möglichkeiten der Finanzierung einer Eigentumswohnung informieren, um Rat bitten, die Kommentare ihrerseits wieder bewerten, ergeben sich Kundenprofile, die eine sehr gute Grundlage für eine individuelle und passgenaue Kundenansprache bilden.“ Das Callcenter der Bank muss dann natürlich in der Lage sein, diese Daten zu nutzen und im CRM-Sinne aufzubereiten.

Branchendaten

Die Zahl der Callcenter in Deutschland liegt laut einer Erhebung des des Branchenverbandes Call Center Forum (www.ccf.de) von Ende 2009 bei rund 6 700, das sind 1 000 mehr als drei Jahre zuvor. Rund 80 Prozent der Callcenter werden inhouse betrieben, sind also Teil eines Unternehmens oder einer Behörde. Die Branche beschäftigt etwa 500 000 Mitarbeiter – das entspricht einem Plus von 25 Prozent seit 2006 – und erwirtschaftet im Jahr einen Umsatz von rund zwölf Milliarden Euro. Davon entfallen fünf Milliarden Euro auf Dienstleister. Agenten verdienen bis zu 2 250 Euro monatlich, Teamleiter bis 4 250 Euro, Manager bis 7 500 Euro. Unterschieden wird bei Callcentern in Outbound, das heißt den aktiven Telefonkontakt, und Inbound, also die Entgegennahme von Kundenanrufen. Kerntätigkeiten sind Marketing, Erhebung statistischer Daten, Verkauf und Kundenservice. CCF-Präsident Manfred Stockmann geht davon aus, dass in einigen Jahren bis zu 700 000 Menschen in Callcentern arbeiten werden.