Over Engineering im Marketing

Als over engineered bezeichnet man eine Leistung, die mit mehr Qualität und mehr Aufwand entstanden ist, als der Kunde es wirklich wünscht. Üblicherweise wird das dem Innovationsprozess zugeordnet – und dort zu oft nicht ernst genommen. Aber immer mehr betrifft es auch die Markt-Kommunikation.
Portrait reihe mit gelben Hintergrund für den Geschäftsführer der Werbeagentur IFAM

Wer kennt nicht das Handy, bei dem selbst der einigermaßen Geübte die Einstellungen zur persönlichen Anpassung nicht findet oder nicht beherrscht? Wer hat sich bezüglich seines Leihwagens nicht bei BMW über die Einknopfbedienung geärgert, weil die Bedienung oft länger dauert als ein Direktbutton zu einer Funktion?

„Zu viel“ nimmt kaum eine Branche aus

Doch selbst im Maschinenbau des B-2-B-Geschäftes findet man Over Engineering. „So wurden bei einem Produzenten von Großdruckmaschinen die Herstellkosten um 32 Prozent gesenkt, ohne dass der Kunde auf irgend etwas ihm Wichtiges verzichten musste“, sagte Prof. Horst Wildemann, Leiter des Forschungsinstituts für Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München, bereits vor Jahren. Selbst kleine Maschinen für die Herstellung von Stahlfedern – vor dem Overkill ist nichts gefeit. Wildemann: „Die Kunden werden gar nicht gefragt. Das ist immer falsch.“

Man fragt sich, warum in einem modernen Innovationsprozess Over Engineering überhaupt möglich ist? Es sind fehlende Kenntnisse, weil Customer Centricity den Innovationsprozess nicht erreicht hat. Nach meiner Erfahrung in diesen Prozessen kommt auch hinzu, dass die Kunden-Kenntnisse zwar im Unternehmen vorhanden sind, aber systematisch oder situativ bewusst unterdrückt werden. Es ist einerseits die Eitelkeit von Fachleuten wie Ingenieuren, Technikern, Forschern, Entwicklern und andererseits die Bunkermentalität, die zu einer Melange eines disparitätischen, allwissenden Gefühls führt: Was wir auf die Beine stellen, ist für den Kunden gut – er weiß es nur noch nicht.

Engineering in der Markt-Kommunikation

Doch nicht nur beim Produkt, sondern auch in der Werbung werden Wirkung, Kundenzufriedenheit und Effizienz nur unzureichend miteinander verbunden. Werner Reinert und Peter Saffert vom Institut für Handelsforschung der Universität Köln zeigen brandaktuell auf, dass Werbeauszeichnungen keine Aussagefähigkeit für Auftraggeber der Agenturen haben. Den Abverkauf fördert nämlich nur ein sehr schmaler Ausschnitt der „Hochqualitäts-Werbung“. „Die aus Abverkaufssicht effizientesten kreativen Spots waren die Filme, deren Inhalt besonders detailliert und facettenreich ausgearbeitetet war und die darüber hinaus einen künstlerischen oder grafisch/visuellen Anspruch hatten“, so die Studienautoren. Zum Abverkauf führen als nur spezielle originelle und hochkreative Ideen, zum Award hingegen viele.

Die verkaufsschwachen Medien sind oft over engineered, weil sie von Marken-Ingenieuren und Image-Architekten glatt, ästhetisch und inhaltlich esoterisch poliert werden. Diese Kommunikation fokussiert nicht auf den Kunden. Er wurde aus der Position der Alleswisserei bei der Entwicklung der Werbung genau sowenig einbezogen, wie bei den over engineerten Produkten. Erfolgreiche Werbung braucht eben den Prozess des Customer Centricity.

Die moderne „Schweinebauchanzeige“ zum Beispiel ist einfach kundenzentriert entwickelt und arbeitet. Preise gewinnt man dadurch nicht – nur Geld.

Über den Autor: Malte W. Wilkes ist Seniorpartner der Management Consultancy Erfolgsketten Management Wilkes Stange GbR in Hamburg, Redner, Moderator, Diskutant, zigfacher Buchautor, Pionierexperte in Customer Centricity sowie Ehrenpräsident des BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater.