Osteuropa verliert Vertrauen in westliche Marken

Die sogenannte Nutella-Krise geht in die nächste Runde: Kurz vor der Europawahl im Mai wettern Politiker in Osteuropa und in Ex-Jugoslawien gegen westliche Marken. Sie vermuten, B-Waren von minderer Qualität angeboten zu bekommen. Bestätigt werden konnte dies bislang nicht, das Vertrauen in die Marken sinkt jedoch weiter.
Osteuropa fühlt sich von Konzernen mit Lebensmitteln schlechter Qualität abgespeist. Die Kritik entzündet sich besonders an Nutella, Schokolade oder Babyprodukten (© ©PHOTOPQR/L'ALSACE/Vincent VOEGTLIN)

„Geh‘ zum Drogeriemarkt Müller. Dort bekommst du westliche Windeln, bei dm nur Balkanware“, so lautet in Slowenien der Rat an junge Mütter. In vielen Ländern Ex-Jugoslawiens und Osteuropas steigt das Misstrauen gegenüber westlichen Marken. Die Bevölkerung geht davon aus, zweitklassig behandelt zu werden und minderwertige Produkte angeboten zu bekommen. Erstmals empörten sie sich aufgrund vermeintlich minderwertiger Nutella. Die sogenannte „Nutella-Krise“ bricht in Zyklen immer wieder aus. Im Wahlkampf für die Europawahl greifen nationalistische Parteien das Thema nun wieder gezielt auf.

Victor Orbán ruft zum Boykott westlicher Marken auf

Besonders die Visegrad-Länder – Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien – befeuern das Misstrauen. Hinter dem Aufruf von Ungarns autokratischem Regierungschef Victor Orbán, westeuropäische Marken zu boykottieren, steckt politisches Kalkül. Er geht gern auf Konfrontationskurs zur EU. In Ungarn gibt es sogar eine Gesetzesvorlage, die Hersteller dazu zwingen soll, Etiketten auf Lebensmitteln anzubringen, die sich inhaltlich von ähnlichen Markenprodukten in anderen Ländern unterscheiden. Der Unmut fällt auch in den Nachbarländern auf fruchtbaren Boden. So prangert die Slowakei eine mindere Schokoladenqualität an. Polen kritisiert, dass bestimmte Kekse für den französischen Markt mit Butter, für den polnischen aber mit Palmöl produziert werden. Der bulgarische Ministerpräsident vergleicht die Behandlung der osteuropäischen Verbraucher mit dem südafrikanischen Apartheidsregime.

Zwar stellte die EU vor zwei Jahren insgesamt 1,8 Millionen Euro zur Verfügung, um Lebensmittel in allen 28 EU-Ländern nach wissenschaftlichen Standards zu untersuchen. Brüssel schuldet Osteuropa und den südosteuropäischen Ländern aber nach wie vor eine finale Antwort auf die Frage, ob die dort verkauften Produkte nun minderer Qualität sind oder nicht. Bevor es in die konkrete Testphase ging, mussten zeitintensiv Kriterien für eine Vergleichbarkeit der Produkte gefunden werden. Die Europäische Kommission sagt, basierend auf den bisherigen Untersuchungen sehe sie noch keine Anzeichen für eine Irreführung der Konsumenten. Zuständig für die Tests ist das „Joint Research Center“ (JRC) im belgischen Geel. Das JCR ist eine gemeinsame Forschungsstelle von EU-Parlament und Kommission.

Konzerne argumentieren mit niedrigeren Einkommen

Eigentlich ist die EU-Gesetzgebung klar. Sie regelt, dass der Konsument nicht in die Irre geführt werden darf und auf der Verpackung über die Inhaltsstoffe aufgeklärt wird. Im Zuge der Debatte um zweitklassige Produkte hatte die EU einen Leitfaden herausgebracht, nach dem sich die EU-Staaten richten können, wenn sie unfaire Praxis vermuten. So verstößt es gegen EU-Standards, wenn die Produktzusammensetzung signifikant von einem Produkt in derselben Verpackung abweicht. Viele der westlichen Konzerne streiten doppelte Herstellungsstandards ab oder verweisen auf verschiedene regionale Geschmäcker. So ersetzt Coca-Cola in Tschechien Fruktose-Glukosesirup durch Rohr- oder Rübenzucker. Dies macht das Unternehmen aber auch in Spanien und den USA. Die Konzerne argumentieren zudem damit, unterschiedliche Einkommensniveaus in den Ländern zu berücksichtigten.

Der Hauptkritikpunkt der Unternehmen besteht darin, dass in der Diskussion die Begriffe Qualität und Rezeptur vermischt werden. Generell sei das Thema zu emotional und politisch motiviert. So sei die Nutella-Krise nur Platzhalter für den generellen Ärger darüber, dass die Annährung der Löhne und des allgemeinen Lebensstandards an Westeuropa langsamer verläuft als erwartet. Aber genau darum müssen die Unternehmen selbst den Dialog stärker suchen. Das Thema wird in den kommenden Wochen vor der Europawahl noch mehr in den Mittelpunkt gerückt. Der Vertrauensverlust wird sich verstärken, wenn die Unternehmen nicht transparent kommunizieren, wie sie die osteuropäischen Märkte beliefern. Der Kekskonzern Bahlsen beispielsweise kündigte im Juli 2017 an, seine Butterkekse für Osteuropa künftig ausschließlich mit Butter zu backen und nicht mehr mit Palmöl. Die Produktion für den osteuropäischen Markt bei Bahlsen in Polen ist daraufhin umgestellt worden. Andere Unternehmen versuchen Brüssel durch weitere Studien zu unterstützen und Fabriken für Besucher zu öffnen.