Opel – das ewige Aschenputtel?

Große Marken sind immer auch große Charaktere. So wie man in der Familie einen entfernten Onkel hat, der im Leben groß rausgekommen und dann doch kläglich gescheitert ist, so kann man das auch an manchen großen Automarken nacherleben. Ein Kommentar.
Potz Blitz, die Banker aus Detroit haben den Stecker gezogen. Was wird die neue Abhängigkeit von den Franzosen für Opel bedeuten? (© obs/Adam Opel AG, Axel Wierdemann)

Aktuell treffen Opel – mal wieder – Schicksalsschläge, deren Dramatik einen kaum kalt lässt. Trotz unverschuldeter widriger Umstände, erst Exportausfälle durch die Russlandkrise, dann Einbrüche durch den angekündigten Brexit, hat Opel eine große Aufholjagd geschafft und den Turn-around fast erreicht.

Doch wie das Schicksal so spielt, hat die böse Stiefmutter GM die Kärrner-Arbeit des Management-Teams um Karl-Thomas Neumann und die Marketing-Geistesblitze von Tina Müller nur ausgenutzt, damit die Braut Opel für den Verkauf hübsch gemacht wird.

Umparken nach Frankreich

Dirk Ziems

Nach 90-jähriger Abhängigkeit von GM droht Opel nun zum Anhängsel des französischen PSA-Konzerns zu werden. Das gerade erfolgreich vollzogene Umparken im Kopf, Opel als eigenständige und ernst zu nehmende Größe in der Automobilwelt wahrzunehmen, wird zum ungewissen Umparken nach Frankreich.

Opel ist schon lange das Sorgenkind und die Drama-Queen der deutschen Automobilindustrie. Eine wechselhafte Geschichte von Abstürzen und Aufschwüngen bestimmt seit den 80er Jahren die Marken-Vita. Aus der Perspektive, dass sich in der Markenpsychologie immer auch eine Persönlichkeitspsychologie widerspiegelt, gilt es zu fragen: Welche immanenten psychologischen Muster bestimmen den Markencharakter und seine Schicksalsausschläge?

Familiendrama erster Güter

Das Opel-Wahrzeichen ist der Blitz. Er steht einerseits für die gewaltigen Potenziale der Marke, die schon in den 20er Jahren mit Raketenwagen experimentiert hat und immer wieder mit deutscher Ingenieurskunst überrascht. Andererseits scheint das Schicksal wie der Blitz aus heiterem Himmel zuzuschlagen, wenn Opel mal wieder eine Existenzkrise trifft. Zuletzt war das nach der Finanzkrise 2008 der Fall, als die Konzernmutter GM in Amerika auf der Kippe stand und die deutsche Tochter Opel beinahe mit in den Abgrund gerissen hat.

Bei Opel-GM hat man es mit einem Familiendrama erster Güte zu tun. Hier die amerikanische Mutter, die über Jahrzehnte Autos eher als Commodities verstanden hat, und die Mentalität eines Bankers an den Tag legte. Dort die wackeren Opelaner, die deutsche Ingenieursmentalität leben, und sich eigentlich lieber auf den Wertehorizont der deutschen Wettbewerbsmarken beziehen würden („Freude am Fahren“, „Fortschritt durch Technik“, „Das Beste oder Nichts“, „Das Auto“). Da sind Kulturdifferenzen und Reibungsverluste immer wieder vorprogrammiert.

In der Abhängigkeit von der Mutter GM war es Opel nie gegönnt, die Unternehmensstrategie wirklich eigenständig zu gestalten. Ganze Kontinente wie Südamerika und Asien wurden von der Mutter GM zum verbotenen Exportland erklärt. Wenn es ein paar Jahre gut lief, wurden Entwicklungsbudgets gleich wieder zurückgefahren. War es der Neid der Mutter wie bei Schneewittchen? War es eine eitle Zurücksetzung der schönen Tochter wie bei Aschenputtel?

Aufbruch angekündigt

In der Tat fristeten die Ingenieure im Technical Development Center (TDC) in Rüsselsheim über manche Jahre ein Aschenputtel-Dasein. Sie mussten für GM Weltautos konstruieren und Konstruktionspannen von Chevrolet oder Buick fixen – im Heimatmarkt einmal etwas Größeres als den Omega oder Insignia auf die Beine zu stellen, das wurde ihnen in Detroit nicht genehmigt. Dann wurde ihnen auch noch Chevrolet als Billigkonkurrenz direkt vor die Nase gesetzt – so wie dem Aschenputtel die hässliche Stiefschwester.

Mit Karl-Thomas Neumann schien ab 2013 die Wende zu kommen. Der neue Vorstandsvorsitzende hatte sich extra eine Einflussposition im GM-Führungsgremium zusichern lassen. Ein neuer Gestaltungswille schien in Rüsselsheim Einzug zu halten. Mit der „Umparken im Kopf“-Kampagne drehte sich das Image (ein wenig), die Rede war zuletzt von dem entschiedenen Aufbruch in die Elektromobilitätszukunft.

Europäische Integration der Autokulturen?

Doch nun droht, dass Opel den Höhenflug nicht mehr erlebt. Potz Blitz, die Banker aus Detroit haben den Stecker gezogen und den – in ihren Augen – Verlustbringer in Europa abgeschrieben. Es wird spannend zu erleben, was die neue Abhängigkeit von den Franzosen für Opel bedeuten wird. Setzt sich das ewige Drama der deutschen Traditionsmarke fort, die doch eigentlich das gemütliche urdeutsche Attribut der biederen Meisterschaft auszeichnet?

Oder gelingt nach 90 Jahren Kulturmissverständnissen mit GM auf einmal eine produktive europäische Integration der Autokulturen? Auch im Erbe der PSA-Konzern-Familie schlummern ja vielleicht irgendwo noch die Gene des Innovationszauberers Citroen. Man erinnert sich ja noch an die göttliche DS, die vor Jahrzehnten den automobilen Fortschrittszauber verkörpert hat. Peugeots Biederkeit, Citroens Göttlichkeit und Opels Blitz – das wäre doch ein Konzerndreiklang, der in die Zukunft weisen könnte.