Logistik von der ersten bis zur letzten Meile

Die Logistik-Unternehmensgruppe Kühne + Nagel glänzt mit Rekordergebnissen: In ihren vier Geschäftsbereichen zählt sie jeweils weltweit zu den Top Ten. Die absatzwirtschaft spricht mit Konzernchef Klaus Herms über Wachstum, Marketing und margenträchtige Wertschöpfung.

Herr Herms, hier soll zwar Ihre marktorientierte Unternehmensführung im Mittelpunkt stehen, aber eine Antwort sollten Sie Ihrem Mehrheitsaktionär Klaus-Michael Kühne widmen. Er gilt als besessen sparsam, soll in seiner „Hanseatischen Knochenmühle“ von jedem viel fordern und gehört zu den letzten großen deutschen Unternehmern. Sie arbeiten seit über 40 Jahren für diesen König der Logistikbranche; – weil Sie gut einstecken können?

HERMS: Das sicher nicht. Die meiste Zeit davon habe ich ja unsere Organisation in Fernost aufgebaut, was nur mit seiner Unterstützung möglich war. Klaus-Michael Kühne ist anspruchvoll sich selber und seinen Mitarbeitern gegenüber. Die von Ihnen zitierten Charakter-Eigenschaften sind überspitzt, aber im Kern wahr. Sein Ansporn hat uns letztlich aber dahin geführt, wo wir heute stehen.

Ihr Konzern schafft es immer wieder, Rekordergebnisse über Marktdurchschnitt zu erzielen. Wie gelingt Ihnen das?

HERMS: Der Ausgangspunkt ist unsere klare Strategie. Wir kennen unsere Geschäftsfelder genau. Wir sind nahezu fanatisch dabei, unsere Strategie zu verfolgen, die Parameter dafür festzulegen sowie einheitliche Standards einzuführen und einzuhalten. Und zwar weltweit. Dadurch optimieren wir die wirtschaftlichen Ergebnisse und erreichen seit Jahren unser Wachstum. Wie geht das weiter, werden Sie fragen…

…Eigentlich detailliert später, aber grundsätzlich gerne auch jetzt …

HERMS: (lacht) Gerne. Wir agieren in einem fragmentierten Gewerbe. Bei aller Aggressivität und Wachstumsdrängen halten wir gerade mal einen Marktanteil von drei Prozent. Gewaltig ist das nicht weltweit. Wir sind kein Automobilhersteller, keine Bahn oder Airline, die eine beherrschende oder monopolistische Stellung hat. Wenn man in unserer Branche die sieben Großen dieser Welt nimmt, ist man bei 18 bis 20 Prozent Marktanteil. In so einem kleinteiligen Markt gibt es andererseits erhebliche Möglichkeiten, in Nachbars Garten neue Geschäfte zu suchen. Oder national operierende Unternehmen zu akquirieren. Solche Unternehmen agieren nicht so aggressiv wie wir. Das ist mit ein Grund, warum wir schneller wachsen als der Markt.

Gleichwohl haben Sie zuletzt nur einen verhaltenen Ausblick auf das laufende Jahr gewagt und eher darauf abgezielt, die Stabilität der Margen weiter zu gewährleisten. Sind diese denn so unter Druck oder in Gefahr?

HERMS: Die Margen sind in unserem Geschäft sehr klein. Wir reden netto von zweieinhalb bis drei Prozent. Da haben Sie keine großen Toleranzen für Fehler. Deshalb ist der verhaltene Ausblick auf einen Markt, der nicht mehr so schnell wächst wie in den Vorjahren, berechtigt. Wir hatten in den vergangenen Jahren ein Welthandelswachstum – und das ist das Ergebnis der Globalisierung und Basis für unser Wachstum – von sieben bis neun Prozent. Ende des vergangenen, Anfang dieses Jahres sank der Wert auf vier, fünf Prozent. Kurzum: ein verlangsamtes Wachstum. Da alle Großen auf Wachstum setzen, müssen wir jetzt aufpassen, dass wir unsere Margen halten können.

Ihr Unternehmen gilt durch die weltweite Präsenz, flexible Strukturen und ein gutes Kostenmanagement als gesichert. Die Logistik zählt zu den Wachstumsbranchen. Welche Prognose sagen Sie dem Wirtschaftszweig, den wichtigsten Logistikstandorten und „Kühne + Nagel“ langfristig voraus?

HERMS: Ich gehe davon aus, dass die weltweite Arbeitsteilung und damit die Globalisierung weiter bestehen bleibt und fortschreitet. Wir werden sicher Kostenschübe in Niedriglohnländern wie Indien und China erleben. Es kann sein, dass dadurch die ein oder andere Produktion wieder nach Europa zurückgeholt wird. Dennoch: Die Arbeitsteilung bleibt und damit das Wachstum im Welthandel. Für Logistiker wie uns bedingt das, weltweit aufgestellt zu sein. Sie können keine Filetstücke herausoperieren, beispielsweise nur Nordasien beackern. Kunden aus Industrie und Handel wollen heute ein globales Angebot. Also dürfen Sie als Anbieter weder geografisch noch von der Produktpalette her eingeschränkt sein. Das heißt, vor und nach der See- und Luftfracht auch die erste und letzte Meile per Lkw abdecken zu können. Zusätzlich ist das Lager- und Verteilungsgeschäft, die Kontraktlogistik, weltweit gefragt. Sie müssen dem Kunden also die gesamte Produktpalette anbieten, damit er nicht auf die Idee kommt, sich in irgendeinem Teil der Welt an die Konkurrenz zu wenden. Ein weltweit gleicher Qualitätsstandard wird zudem vorausgesetzt. Zu den wichtigsten Standorten: Das bleiben diejenigen in den Industrieländern Europas und Nordamerikas sowie in den Produktionsländern Indien, China und Japan. In diesen Ballungszentren müssen Sie dominierend präsent sein, sonst können Sie nicht mitspielen.

Zu Ihren Gegenspielern gehören große, ehemalige Staatsunternehmen wie die „Deutsche Post“-Tochter DHL und die Deutsche Bahn mit Schenker. Wie beurteilen sie die Wettbewerbssituation?

HERMS: Die Präsenz der Staatsunternehmen in der überwiegend mittelständisch geprägten Branche ist bedauerlich, nicht notwendig, aber nun mal so. Inwieweit ein weltweites Netzwerk förderlich für die Deutsche Bahn ist, weiß ich nicht. Schenker war stark gewachsen, nachdem die Bahn vor vielen Jahren Schenker an Stinnes verkauft hatte; vor einigen Jahren erfolgte dann der Rückkauf. Wie sich Schenker jetzt innerhalb der Bahnproduktpalette zurechtfindet, wird man erst noch sehen. Der Abgang vieler guter Mitarbeiter deutet an, dass es vielleicht nicht so optimal gelöst ist. Ist es bei der Deutschen Post sinnvoll, dass Kurier, Express- und Paketdienste zusammengeführt werden mit dem Speditionsgeschäft? Ich bezweifele das. Wenn man alles in der Welt der Logistik unter ein Dach fasst, kann man in einzelnen Bereichen schon mal leicht vom Standard abkommen, und damit vom Pfad des Optimierens; das beobachten wir dort. Den Luxus leistet sich auch nur die Bundesrepublik Deutschland, dass sie zwei Staatsunternehmen gleichzeitig beauftragt hat, auch noch die Logistik enger zu bearbeiten. Auch wenn Post und Bahn zum Teil oder bald privatisiert sind.

Zum Teil steigen sogar Hersteller wie Hella als Spediteur oder Voith Industrial Services als Kontraktlogistiker in Ihre Geschäftsfelder ein.

HERMS: Dazu sage ich grundsätzlich folgendes: Die Kontraktlogistik, also das Lager- und Verteilungsgeschäft, lag schon immer bei der Industrie. Aber wir haben eine Wachstumsrate im Outsourcing von sechs, sieben Prozent pro Jahr. Meist wird das Geschäft verlagert zu reinen Logistikern, weil die globalen Anforderungen hoch sind. Ich gehe davon aus, dass dieser Trend anhält. Dass Unternehmen wie Voith diese Services erst für sich selber und dann für Dritte wie Lieferanten und Kunden anbieten, liegt nahe. Und es ist für ein produzierendes Unternehmen sicher auch wichtig zu wissen, wie Logistik funktioniert, und deshalb normal, es selber machen zu wollen. Wer sich aber im zweiten Schritt verleiten lässt, es auch für andere anzubieten, wird nicht immer glücklich damit. Vereinzelt mag das gelingen. Man muss sich konsequent aufs Kerngeschäft konzentrieren. Wir selbst haben uns aus dem Reisebürogeschäft und Hafenbetrieben in Hamburg und Rotterdam verabschiedet. Mit dem Aufbau der Kontraktlogistik haben wir vor zehn Jahren begonnen: von damals 800.000 Quadratmetern Lagerfläche auf heute fast sieben Millionen Quadratmeter unter unserem Management. Unsere großen Schübe kamen entweder durch Akquisitionen oder durch Outsourcing wie zuletzt von Beiersdorf und Airbus. Mittlerweile sind wir weltweit Drittgrößter in der Kontraktlogistik. Das Gespräch führte Thorsten Garber

Klaus Herms über…

… Güterflussketten, Services und Zukäufe (2): „Wir brauchen die erste und letzte Meile wieder“

… Qualitätssicherung, Transparenz und Preise (3): „Anbieter mit halben Strecken werden aus dem Markt verschwinden“

… Markenbekanntheit, Kommunikation und Standortwahl (4): „Werbung zu betreiben wie ein Kurierdienst ist für uns nicht angebracht“