Von Gastautor Fionn Kientzler, Managing Partner bei der Content Marketing Agentur Suxeedo
Einstige Apple-Verehrer sind ernüchtert bei dem Gedanken, dass das Animoji eine der zentralsten Innovationen des neuen Iphone X darstellen soll. Dabei handelt es sich bei der Gesichtserkennungssoftware nicht bloß um ein nettes Gadget, sondern um eine massentaugliche Anwendung dessen, was vor Jahren noch Science Fiction zu sein schien – eine KI-Software, welche menschliche Emotionen erkennen und visuell imitieren kann. Womöglich wird die Technologie schon bald nicht nur zur Imitation, sondern auch zur Interpretation von Mimik eingesetzt. Bereits jetzt sprechen Experten von einer Emotion Economy, welche durch die Technologien des Face Tracking und Voice Recognition erst möglich wird; durch die reine Textanalyse, wie sie von Google bisher geleistet wurde, kann eine Maschine schließlich nicht die auf den Kontext bezogenen Emotionen und Intentionen von Usern erkennen und verstehen.
Emotion Tracking für eine bessere User-Maschine-Interaktion
Die Technologie selbst, welche hinter den Animojis steckt, ist nicht neu. “Die Infrarotlicht-Projektion und das 3D-Scanning werden bereits seit einiger Zeit im B2C-Segment eingesetzt.”, erklärt Dino Paic, Sales-Direktor bei dem Gesichtserkennungs-Software-Anbieter Visage Technologies, im Wired Magazin. Das Prinzip ist der seit Jahren angewandten Technologie von Microsoft Kinect sehr ähnlich. Apple hingegen hat es geschafft, diese Technologie in ein Smartphone zu packen und eine breite Öffentlichkeit auf spielerische Weise mit der Gesichtserkennung vertraut zu machen. Damit wird eine Lücke geschlossen: Was die Maschine nicht leisten kann, nämlich von Texten auf die Emotionen des Lesers zu schließen, wird durch ein umfassendes Emotion Tracking durch den User selbst im alltäglichen Umgang mit der Technologie ermöglicht. Die Tracking-Signale werden erfasst, quantifiziert und interpretiert und als “psychologische Datensätze” Teil des Big Data sein.
Kommunikationsgeräte die Emotionen lesen
Im Gespräch mit dem Online-Magazin inc.com prohezeit Rana el Kaliouby, CEO und Gründerin von Affectiva, einer Agentur zur Messung und Interpretation von Emotionen, dass in drei bis fünf Jahren die meisten elektronischen Kommunikationsgeräte die Emotionen des Nutzers lesen und berücksichtigen können. El Kaliouby hat sich mit ihrem Unternehmen der Verbesserung der Kommunikation in allen Sektoren verschrieben: Von der Werbung und den Medien bis hin zur Bildung und der Pflege bilden die Kommunikation und die Emotionen des Rezipienten einen wechselseitigen Schlüssel zum Erfolg. Eine Emotion-AI würde die Interaktion zwischen Mensch und Maschine in jedem Bereich der Gesellschaft komfortabler und einfacher machen. Dabei muss sie zugeben, dass der eigentliche Kern der Einnahmen über Werbe- und Marketing-Etats reinkommt. Im Gespräch erklärt sie ihre Überzeugung: “Man kann das tun, was offensichtlich und risikoarm erscheint, oder man kann sich für den Weg mit dem größeren Potential entscheiden.” Sie ist fest davon überzeugt, dass alle Geräte in jedem Sektor und somit auch alle Nutzer von einer Emotionserkennung profitieren.
Wie das Emotion Tracking das Marketing verändern wird
Damit das Marketing die Gefühle von Zielgruppen effektiv ansprechen kann, müssen Gefühle messbaren Indikatoren zugeschrieben werden, sodass sie erfasst, analysiert und im letzten Schritt adressiert werden können. Das Iphone X ist dabei bloß ein Vorbote einer breit angelegten Technologie des Emotion Tracking: Überall wo der User mit Inhalten interagiert, auch auf Desktop-Geräten, werden die Emotionen bald ganz alltäglich erfasst, analysiert und die Erkenntnisse zum Zwecke einer besseren User Experience maßgeblich berücksichtigt. Wenn sich User dabei in ihrer Privatsphäre gestört fühlen, werden sie natürlich die Möglichkeiten haben, das Emotion Tracking auszusetzen. Doch die Vorteile einer verbesserten Interaktion und User Experience werden so stark überwiegen, dass die Mehrzahl sich auf die Technologie einlässt.
Emotion Analytics im Digital Marketing
Eine Art Emotion Analytics wird im Digital Marketing bald normal sein. Da Sprache eine zentrale Rolle im Netz spielt, müssen sie Online Marketer richtig interpretieren und spiegeln können, um auf die Bedürfnisse der User zu schließen und diese entsprechend aufzugreifen. Google selbst arbeitet stark mit Sprachwissenschaftlern zusammen. Syntax, die Sprachkonstrukte, und die Semantik, die Bedeutung von Texten, werden von der Suchmaschine exzellent analysiert, wobei die letzten Google Content Updates immer mehr der Verfeinerung der Sprachanalyse galten. Der letzte und wichtigste Schritt ist die Pragmatik – die dritte und komplexeste Ebene in der Linguistik, um Sprache zu verstehen. Hier geht es um die Interpretation von Intentionen, Emotionen und Bedürfnissen, um das “zwischen den Zeilen lesen” – dabei spielen der Kontext von Situation, kulturell bedingte Konnotationen und Beziehungsebenen zwischen Usern eine zentrale Rolle; all diese Dinge sind wahrlich schwer zu bewerten, da sie oft unausgesprochen auf einer emotionalen Ebene stattfinden. Dennoch gibt es Indikatoren, welche nach und nach identifiziert werden und durch ein Emotion Tracking akkurat analysiert werden könnten. Eine Künstliche Intelligenz und Machine Learning reichen allerdings nicht aus, wenn die Ebene der Pragmatik verstanden werden soll – dazu bedarf es einer emotionalen Intelligenz, welche erst durch Face Tracking und Voice Recognition Hand und Fuß haben wird.
Der nächste Schritt: Emotion Analytics
Das Google-AI-System Rankbrain war ein erster Schritt zur algorithmischen Empathie mit dem User, da durch das Analyse-Tool vermehrt natürliche Sprache durch selbstlernende Mechanismen interpretiert und User Signale für den Algorithmus gewichtet werden. Auch IBM Watson kann schon Emotionen und Motive von Usern interpretieren – wenn auch im Vergleich zum Potential noch rudimentär. Der nächste Schritt in der Evolution ist ein Emotion Analytics – und dazu werden nicht mehr nur Texte untersucht, sondern von Elektrogeräten bald auch Körpersprache sowie Stimmlagen erfasst und evaluiert.
Zum Autor: Fionn Kientzler ist Managing Partner bei der auf Seeding und Content-Entwicklung spezialisierten Content Marketing Agentur Suxeedo. Zudem ist er Dozent für Content Marketing an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit Jahren Speaker zum Thema Seeding und Content Marketing auf Konferenzen, wie dem Content World Forum, der CMCX oder der Campixx Week.