Homeoffice statt Gehaltserhöhung

Was McCann CEO Jan Philipp Jahn mit Teleshopping zu tun hat. Und im Kurz-Interview: Was KNSK-Chefin Kim Notz über Loben auf LinkedIn und die Vier-Tage-Woche denkt.
Größter Einsatz: Agenturen geben wirklich alles, um Nachwuchs anzuwerben. (© Stocksy)

Friede. Freude. New Work? Leider nein. Denn was sich in den Wellbeing-Bubbles einschlägiger Fachbeiträge und Social-Media-Posts immer so hübsch easy liest, ist von der Wirklichkeit leider oft noch weit entfernt. So ist beispielsweise immer öfter, aber natürlich immer nur off-the-record davon zu hören, dass Arbeitgebende die neue Job Flexibilität bei Gehaltsverhandlungen für sich nutzen. Frei nach dem Motto: „Du willst mehr Geld? Wir bieten Dir doch jetzt Homeoffice!”  Ob man in Zeiten von Talente-Not auf diese Art gute Leute an sich bindet, darf zumindest bezweifelt werden. Zur Nachahmung ausdrücklich nicht empfohlen. 

Teleshopping mit dem GWA

Apropos. Wer noch immer nicht glauben will, wie verzweifelt insbesondere Agenturen hierzulande mittlerweile neue Leute suchen, kann sich gerne mal den aktuellen GWA Karrierekickstart anschauen (ab Minute 11:35 geht’s los). Am Gründonnerstag lud der GWA bereits zum dritten Mal zum kostenlosen Info-Event auf Youtube ein – und ein klein wenig fühlt sich das an wie beim Teleshopping. Denn immer wieder betont dort Gastgeber Jan-Philipp Jahn, im richtigen Leben immerhin CEO von McCann, „die unglaublich große Bandbreite der Branche“. Ständig sagt er Sätze wie „Die Vielfalt ist fantastisch“ und „Wir sind eine der tollsten Branchen, die es gibt“. 

Ok, der Mann ist Werber. Er muss so sprechen. Doch auch seine Kollegin Steffi Hesse, HR Director bei McCann, ruft mehrfach in die Kamera: „Bitte meldet Euch, wir sind superoffen und wir finden sicher für jeden einzelnen eine individuelle Lösung.“ Das Wording der Protagonist*innen lässt kein Zweifel am nahezu rasenden Begehren nach jungen Leuten. 

Wer die Werbebranche noch aus der alten Zeit kennt, in denen CEOs gerne physisch und verbal möglichst breitbeinig daherkamen, reibt sich verwundert die Augen. Alle anderen können sich angesichts Jahns Performance freuen, dass sich die Kultur in den Agenturen offenbar tatsächlich zum Guten wendet. Und wer in die Branche einsteigen will, findet in dem neuen Karrierekickstart-Format viele wertvolle Insights. Denn es wird nicht nur recht deutlich für die Branche geworben. Referierende Youngster machen mit ihrem ansteckenden Enthusiasmus tatsächlich Lust aufs Arbeiten in Agenturen. Und darauf kommt es ja an.

Wegloben im wahrsten Sinne?

Aufmerken lässt in diesem Kontext auch ein LinkedIn-Post von Kim Notz. Die CEO der Hamburger Agentur KNSK und Macherin des Podcasts „Whats next Agencies?“ beschreibt darin kürzlich, warum sie „fast aufgehört hätte, meine Teammitglieder auf LinkedIn namentlich zu erwähnen“. Ein Kollege habe sie gewarnt, dass sie damit „Recruiter*innen anderer Agenturen unsere Talente auf dem goldenen Tablett servieren“ würde. Da bekommt das gute alte Wegloben eine völlig neue Bedeutung. Aber im Ernst: Ist die Konkurrenz inzwischen so groß, dass sich Führungskräfte nicht mehr trauen, ihre Talente hin und wieder ins Rampenlicht zu stellen? Wir haben Kim Notz einfach mal selbst gefragt – und da wir schon dabei waren, gleich noch ein paar Dinge mehr. 

Frau Notz, auf LinkedIn haben Sie kürzlich einen bemerkenswerten Post veröffentlicht. Ist das Hauen und Stechen um Talente tatsächlich schon so groß, dass man Angst vor öffentlichem Lob haben muss? 
Es vergeht wohl kaum eine Woche, in der Mitarbeitende nicht von anderen Agenturen über LinkedIn angeschrieben werden. Anstatt uns gegenseitig die Talente weiter abzujagen, sollten wir uns darauf konzentrieren die Anziehungskraft der Agenturbranche massiv zu erhöhen. 

Also kein öffentliches Loben mehr? 

Wir sollten unsere Leute unbedingt weiterhin loben, gern auch öffentlich, denn es ist eine wichtige Wertschätzung für ihre herausragende Leistung. 

In den Sozialen Medien gewinnt man schnell den Eindruck: In Sachen New Work ist unsere Branche vorbildlich. Stecken wir in einer realitätsfernen Wellbeing-Bubble? 
In einem bestimmten Bereich von Diversity hat unsere Branche Vorbildcharakter: Teams mit unterschiedlichen Hintergründen, Interessen, Ansichten und Orientierungen sind selbstverständlich. 

In vielen anderen Bereichen nehmen wir nach wie vor keine Vorreiterrolle ein: Unseren Teams fehlt es an Internationalität, es gibt noch immer zu wenig Frauen in obersten Führungspositionen, das Gender-Pay-Gap ist nicht konsequent geschlossen und es herrscht eine gewisse Form von Altersdiskriminierung – die über 55-jährigen sucht man meist vergeblich in den Agenturen. 

Viel diskutiert wird gerade auch die Vier-Tage-Woche. Ist das die Lösung? 
Eine Vier-Tage-Woche kann diverse Vorteile bringen, unter anderem eine verbesserte Work-Life-Balance, gegebenenfalls eine erhöhte Produktivität und eine erhöhte Anziehungskraft als Arbeitgeber. Allerdings sehe ich auch potenzielle Risiken. 

Welche Risiken sehen Sie? 
Sinkende Wettbewerbsfähigkeit durch geringere Ressourcen bei gleichbleibenden Personalkosten, verlängerte Arbeitszeiten an den vier Tagen und dadurch ein erhöhtes Stresslevel bei den eigenen Leuten. Statt in ein Vier-Tage-Setup zu springen, würde ich eher darauf setzen, eine möglichst flexible Struktur zu schaffen, in der Menschen Freude an der Arbeit haben, gesund bleiben, Zeit für persönliche und fachliche Weiterentwicklung, frische Impulse, kreative Experimente und gemeinsame Events haben. 

Mein Gefühl: All das könnte bei einer Vier-Tage-Woche, in der aus wirtschaftlichem Druck ein hohes Maß an Produktivität zählt, zu kurz kommen. 

Das war’s für dieses Mal. Und falls Sie sich gewundert haben: Work & Culture erscheint diese Woche wegen Ostern ausnahmsweise am Dienstag. 

In diesem Sinne: Einen flexiblen Start in die Woche und bleiben Sie gut drauf! 

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.