Preisträger Heribert Meffert redet auf dem Marketing Tag über „seinen Oscar“

Und schon wieder liegt der 42. Marketing Tag hinter uns. Berührt und zum Nachdenken angeregt hat vor allem Preisträger Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Heribert Meffert mit seiner Rede. Diese wollten wir Ihnen nicht vorenthalten
Heribert Meffert erhält eine Auszeichnung für sein Lebenswerk vom Deutschen Marketing Verband

„Es ist heute hier in Stuttgart auf dem 42. Deutschen Marketingtag mit der Verleihung des Lifetime Awards ein großer Tag für mich. Die Auszeichnung durch den Deutschen Marketingverband und die Zeitschrift absatzwirtschaft bedeutet mir viel und stimmt mich glücklich. Dies nicht nur deshalb, weil mir die Entwicklung unserer Disziplin im Brückenschlag zur Praxis als Marketingwissenschaftler immer besonders am Herzen lag. Vielmehr auch, weil der Deutsche Marketingverband – damals noch Marketingvereinigung – und die absatzwirtschaft beim erfolgreichen Start des ersten deutschen Marketinginstituts mir als Pate im Jahre 1969 hilfreich zur Seite standen und mich im konstruktiven Dialog kritisch begleitet haben.

Als meine Kinder von der heutigen Auszeichnung erfuhren, schickten sie mir eine Mail: „Glückwunsch zum Marketing-Oscar!“ Für eine solche, auch von mir so verstandene Ehrung meines Lebenswerkes danke ich dem Präsidium des Marketingverbandes und der Geschäftsführung der absatzwirtschaft, vor allem Ihnen, lieber Herr Kollege Strauss, als Laudator für Ihre lobenden Worte, sowie den Herren Thunig und Felser für deren journalistische Arbeit bei der Aufdeckung meiner mehr oder weniger guten Taten für die Marketingdisziplin. Mehr noch möchte ich an dieser Stelle im Rückblick allen danken, die mich auf der langen Zeitreise im Marketing begleitet und unterstützt haben. Es waren dies zu Beginn der verstorbene Geschäftsführer der Handelsblattgruppe, Wilhelm Zundler, als Ratgeber bei der Gründung des Instituts für Marketing, meine Kollegen an der Universität Münster und mehr als acht (!) Generationen wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studierende, von denen viele als Hochschullehrer und in verantwortlichen Führungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft wirken. Last but not least danke ich meiner Frau Helga, die in dem mehr als fünf Jahrzehnte währenden Marketingmarathon eine wichtige Schrittmacherin und Begleiterin für die gemeinsam erreichten Ziele war.

Gestatten Sie mir in einem kurzen Rückblick einige grundsätzliche Anmerkungen zur Entwicklung, zum Status und den Perspektiven des Marketing als marktorientierter Führungsaufgabe. Inhalt und Ausgestaltung unserer Disziplin wurden maßgeblich von den sich ändernden Rahmenbedingungen und Märkten geprägt. So folgten, nach einer Phase der Übernahme des Marketing aus den USA, im deutschsprachigen Bereich mit der konsequenten Ausrichtung absatzwirtschaftlicher Aktivitäten auf Kundenbedürfnisse, eine Phase der Etablierung und in den letzten Jahrzehnten mit mehr als 140 Lehrstühlen an den Hochschulen eine erhebliche Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Marketing. Mein Mitarbeiter, Philipp Sepehr, hat mit seinem von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung geförderten Forschungsprojekt eindrucksvoll die Treiber dieses Wandels der marktorientierten Unternehmensführung aufgezeigt. Sie reichen vom klassischen Hersteller- und Handelsmarketing mit dem auf Zielgruppen ausgerichteten kreativen und effizienten Einsatz der Marketing-Instrumente (4 P) über strategisches, auf das Management von Wettbewerbsvorteilen und Umweltfragen ausgerichtetes Marketing bis hin zum individuellen, multioptionalen Netzwerk, Internet- und Onlinemarketing. Das Programm des heutigen Marketingtages legt von der letztgenannten Entwicklung ein beredtes Zeugnis ab.

Damals, Ende der 1960er Jahre, in einer Situation wachsender Einkommen und Ansprüche der Konsumenten und zunehmendem Wettbewerbsdruck, war die die Zeit für den Wandel zu kundenorientierten Führungsaufgaben nicht nur in der Praxis mit der Gründung neuer Marketingclubs sondern auch für neue Aktivitäten an den deutschen Hochschulen in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre reif. So bot sich mir als in moderner angelsächsischer Managementlehre ausgebildeter Nachwuchswissenschaftler nach meiner Berufung ein „strategisches Fenster“ zur Gründung eines Instituts für Marketing an der Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster. Die Unterstützung der, einer praktisch-angewandten Forschung und Lehre verpflichteten, Fachkollegen war bei der Durchsetzung dieses Change Prozesses an einer traditionsreichen Fakultät ebenso wichtig wie die Aktivitäten der Marketingclubs und die mediale Berichterstattung der absatzwirtschaft. So konnte ich mit dem Konzept einer praktisch-angewandten, interdisziplinär ausgerichteten Forschung und Lehre den Brückenschlag zur Marketingpraxis glaubhaft und wirksam verbinden. Mein in der absatzwirtschaft abgedrucktes Credo „Wir sind auf die Praxis angewiesen“ fand jedenfalls weithin Beachtung und große Resonanz.

Mit dem Blick zurück in die Zukunft zeigt sich, dass sich das Marketing mit der Entwicklung neuer Medien, der Globalisierung der Märkte und den Herausforderungen der Nachhaltigkeit in Wissenschaft und Praxis verändert hat. Diese Tatsache ist nicht neu. Neu sind jedoch die von der Digitalisierung mit hoher Geschwindigkeit, wachsender Komplexität und Volatilität verbundenen Markt- und Anpassungsprozesse. Die marktorientierte Führung steht dabei vielfach unter Problemdruck in der Defensive. So belegt eine aktuelle repräsentative Studie der GfK über alle Branchen, dass es unter wachsendem Wettbewerbsdruck schwieriger wird, online Zugang zu den Kunden zu finden. Hinzu kommt, dass die Marketingabteilungen zunehmend in operative und unterstützende Aufgaben in den Bereich der Werbung und Kommunikation gedrängt werden. Führungskräfte auf allen Ebenen stöhnen in vielen Unternehmen unter der Last der digitalen Transformation.

Damit stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise wir Marketing als markt- und kundengerichtete Unternehmensführung neu denken und weiterentwickeln müssen. Ich gehe davon aus, dass die Grundprinzipien der marktorientierten Führung auch im Zeitalter der Digitalisierung ihre Gültigkeit behalten jedoch an die neuen Gegebenheiten und Potenziale angepasst werden. Lassen Sie mich dies an den folgenden zentralen Orientierungsgrößen für erfolgreiches marktorientiertes Verhalten thesenartig aufzeigen:

  1. Philosophieaspekt: In der digitalen Welt hat auch das Prinzip der Kundenorientierung nach wie vor Gültigkeit. Mehr noch sind die Aktivitäten auch im Sinne einer Kundenzentrierung auf die Bedürfnisse auf Individuen auszurichten. Einer „gelebten Kundennähe“ durch wirksames Customer-Relationship- und Customer-Experience-Management kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
  2. Informationsaspekt: Über die klassische Marktforschung hinaus sind die über den individuellen Konsumenten in zunehmenden Maße als Big Data verfügbaren Informationen unter dem Aspekt eines erfolgreichen Relationship-Management auszuwerten und zu verdichten. Dem Einsatz anspruchsvoller Methoden des Data-Sensing und -Mining kommt dabei eine wachsende Bedeutung zu.
  3. Strategieaspekt: Mehrperiodige, langfristige Verhaltenspläne zur strategischen Positionierung und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle verlieren in permanentem Wandel auf den Märkten an Bedeutung. An die Stelle langfristiger Strategien sind flexible Handlungsmuster zur Anpassung an den Wandel in Arena und Spielregeln des Marketing gefragt. Die Steuerung von Wertschöpfungsprozessen findet zunehmend im Spannungsfeld von Wettbewerb und Kooperationen in Partner-Netzwerken statt.
  4. Aktionsaspekt: Die operative Steuerung des Marketingmix nach dem Konzept der 4 P erscheint in der digitalen Welt überholt. Dabei ist es weniger wichtig, ob zwischen 3 P´s (Produkt, Marke, Kunde) oder 7 P´s (Product, Price, Promotion, Place, Position, Presence, Proximity) unterschieden wird. Wichtiger erscheint mir die Einbeziehung des Kunden als Co-Creator in Kauf- und Innovationsprozesse. Voraussetzung hierfür ist dabei allerdings ein entsprechend ausgerichtetes Organsiationskonzept.
  5. Organisationsaspekt: Anstelle des Abteilungs- und Silodenkens erfordert die digitale Transformation funktionsübergreifende Teams, Standardisierung von Prozessen und eine integrierte, adaptive Koordination. Idealerweise also selbstorganisierende Prozesse, die in einer am Markenleitbild ausgerichteten gelebten Unternehmenskultur verankert sind.
  6. Verantwortungsaspekt: Aktuelle Entwicklungen wie der VW-Skandal zeigen, dass gesellschaftliche Verantwortung, ehrliches und integres Marktverhalten für die Reputation und den langfristigen Unternehmenserfolg wichtig sind. Auch hier kommt bei wachsender Transparenz und Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu r Sicherung der Reputation und des Vertrauens der marktorientierten Unternehmensführung eine Schlüsselrolle zu.

Mit diesem Blick zurück in die Zukunft wollte ich deutlich machen, dass Marketing als marktorientierte Unternehmensführung in einer Welt der Digitalisierung mehr beinhaltet als Anpassungsmaßnahmen im Marketingmix mit besonderer Ausrichtung auf Werbung oder Kommunikation (z.B. Marketingtouchpoints oder Marketingcontent). Vielmehr muss eine zukunftsgerichtete, leistungswirksame marktorientierte Führung den Ansprüchen der vier I´s folgen:

  • Innovation: Das heißt Mut zu mit Bedacht gewählten innovativen Lösungen.
  • Individualität: Das heißt auf die Bedürfnisse des einzelnen Menschen ausgerichtete Lösungen.
  • Integration: Das heißt Einsatz abgestimmter und orchestrierter Marketinginstrumente.
  • Integrität: Das heißt gesellschaftlich verantwortungsvolles ehrliches und ethisches Verhalten.

Eine so verstandene und praktizierte marktorientierte Führung kann in Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit auf den Märkten mit einer konsequenten Ausrichtung auf Kundenbedürfnisse eine wichtige Deutungs- und Orientierungsfunktion übernehmen. Wir sollten deshalb diese marktorientierten Führungsaufgaben nicht einem IT-Management überlassen, einer Marketingabteilung überantworten oder gar mit Werbung gleichsetzen. Vielmehr kommt es darauf an, dass wir auch künftig im Dialog von Wissenschaft und Praxis in einer sozialen Marktwirtschaft das richtige Marketingverständnis vertreten als Management von Wettbewerbsvorteilen die aus Kundensicht wichtig sind und wahrgenommen werden und aus der Anbieterperspektive wirtschaftlich und vertretbar sind. Dabei sollten im digitalen Zeitalter nicht die Technologien, sondern die Bedürfnisse der Menschen – Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen – sowie die soziale Verantwortung für die Gesellschaft im Mittelpunkt stehen.

Mit dieser Zielsetzung hat die von mir gegründete Wissenschaftliche Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung seit 1981 im Dialog zwischen Wissenschaftlern und Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich zur Weiterentwicklung der Disziplin beigetragen. Dies gilt auch und insbesondere für die Bündelung der Kräfte von drei Lehrstühlen und fast 50 Mitarbeitern im Marketing Center Münster. Dabei ist uns die Aus- und Weiterbildung qualifizierten Führungsnachwuchses durch zeitgemäße Vermittlung fachlicher, sozialer und interkultureller Kompetenzen mit einem entsprechenden Ranking ein besonderes Anliegen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen bei der Bewältigung der spannenden und herausfordernden Führungsaufgaben unserer Disziplin viel Freude, Glück und Erfolg.“