Gemischtes Doppel: Constantin Hochwald und Sascha Winkler

Sascha Winkler ist ­Geschäftsführer und ­Constantin Hochwald ­Kreativchef der Berliner Werbeagentur Brain’n’Dead – und beide sind beste ­Freunde seit der Schulzeit. Im Interview erzählen sie von der gemeinsamen Jugend in der ostdeutschen Provinz, wie sie ihren beruf­lichen Traum mitten in der Pandemie verwirklichten und wieso sie ihren ersten ­Shitstorm noch vor dem ­ersten Kunden bekamen.
Die Filmfans und Gründer Constantin Hochwald (l.) und Sascha Winkler haben ihre Werbeagentur Brain’n’Dead ins Schaufenster des b-ware! Ladenkinos in Friedrichshain geschummelt. (© Gene Glover)

Kino. Natürlich. Kaum ein Ort könnte passender sein, um die Gesprächspartner zum Fotoshooting zu bitten. Na gut, ein Tattoo-Studio, eine Bücherei oder eine Konzerthalle hätten auch funktioniert, was zeigt, wie vielfältig interessiert diese jungen Männer sind. Sascha Winkler und Constantin Hochwald sind Freunde seit ihrer Kindheit und Co-Werbeagenturgründer seit anderthalb Jahren. Der Name ihrer Agentur resultiert aus der Verschmelzung ihres Lieblingshorrorfilms mit dem Begriff Rock ’n’ Roll. Und ihr langfristiges Ziel ist es, die Agentur zu einem „Industrie-Spaßpark“ weiterzuentwickeln, mit Musiklabel, Merchandise-Shop für Bands, Grafikwerkstatt und Buch- oder Filmverlag.

Herr Winkler, Herr Hochwald, Sachsen-Anhalt ist vielen Menschen außerhalb Sachsen-Anhalts noch als „Land der Frühaufsteher“ bekannt, weil das im Rahmen einer Imagekampagne jahrelang auf den Autobahnschildern im Land stand. Finden Sie sich in dieser Beschreibung wieder?

Constantin Hochwald (CH): Absolut nicht. Ich fange selten vor zehn Uhr an zu arbeiten. Wie sieht es bei dir aus?

Sascha Winkler (SW): Ich bin vor acht Monaten zum ersten Mal Vater geworden und hab das frühe Aufstehen daher kennen- und mittlerweile sogar lieben gelernt.

CH: Der Slogan hatte den Hintergrund, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt ganze neun (!) Minuten früher als der Durchschnittsdeutsche aufstehen …

… weil sie laut einer Umfrage öfter zur Arbeit pendeln. Auch Sie sind mittlerweile in Berlin gelandet. Wie stark sind Ihre Wurzeln zurück?

CH: Ich besuche regelmäßig meine Familie und habe eine relativ enge Bindung an mein Heimatdorf: Dort leben 43 Menschen, jeder kennt jeden und – entgegen mancher Klischees über die ostdeutsche Provinz – sind diese Leute sehr weltoffen und immer interessiert, wie es denn so läuft. Ich höre dort häufig die Frage: Was macht denn die Werbung in Berlin?

SW: Ich habe schon Heimatgefühle, aber eher familiär als regional. Meine Kindheit und Schulzeit hätten wahrscheinlich in jeder anderen ländlichen Umgebung so ähnlich stattgefunden.

CH: Die Prägung der Zeit, in der wir aufgewachsen sind, lässt mich doch immer noch ein bisschen „ostdeutsch“ fühlen. Erst durch das Verlassen dieser Heimat habe ich gemerkt, was leider nach wie vor schiefläuft: Es könnte dort echt cool sein, weil viele Menschen cool sind. Es fehlt aber wahnsinnig viel Infrastruktur.


Beide gehen in Gräfenhainichen bei Dessau zur Schule. Sie kennen sich, seit Winkler 14 und Hochwald 18 ist, weil sie gemeinsam in einer Death-Metal-Band sind; Hochwald als ­Sänger, Winkler als Drummer. In Proberäumen und auf Konzerten anderer Bands verbringen sie einen großen Teil ihrer Jugend. Die eigene Band löst sich nach umfangreichen Proben und „drei legendären Auftritten“ (Winkler) auf, der gemeinsame Jugendtraum „Rockstar“ (Hochwald) platzt, die Freundschaft besteht bis heute.


Die Region, aus der Sie beide stammen, war früher vom Tagebau geprägt. Eiserne Zeugen dieser Zeit und ein gelungenes Beispiel für Transformation sind drei imposante Tagebaubagger in Ferropolis, die seit über zwanzig Jahren als Kulisse für Musikkonzerte und Festivals dienen. Was verbinden Sie damit?

CH: Unser beider Heimatdörfer lagen an gegenüberliegenden Ufern des Gremminer Sees (Ferropolissee) und es gibt mindestens noch zwei weitere sehr persönliche Verbindungen: Unser Proberaum war nur drei Kilometer vom Festivalgelände entfernt und das „(With) Full Force“ als Festival, das uns am meisten geprägt hat, ist später dorthin umgezogen.

SW: Natürlich haben wir dort gefeiert und auch gearbeitet. Ich habe dort oft auf- und abgebaut. Einmal habe ich Paul Kalkbrenner das DJ-Pult auf die Bühne geschoben. Ein anderes Mal, als Securitys, haben wir seinen Bruder Fritz nicht erkannt und ihn erst mal nicht aufs Gelände gelassen. Aber meine ältesten Erinnerungen reichen viel weiter zurück: Weil die ersten „Melt“-Festivals um die Jahrtausendwende noch unreguliert laut gewesen sind, konnte ich die Musik bis in mein Kinderzimmer hören.

Welche Rolle spielt Musik in Ihrer beider Leben?

SW: Musik hat uns spätestens ab der Pubertät stark geprägt und verbindet uns bis heute. Es mag klischeehaft klingen, aber Metal ist die Musikrichtung für Leute, die sich fühlen, als würden sie anderswo, sei es in der Schule oder beim Sportverein, nicht so ganz reinpassen. Ich habe vielleicht in meiner Jugend nicht wahnsinnig gelitten, war aber trotzdem froh, in dieser Gemeinschaft Anschluss gefunden zu haben. Das hat bis heute meine Einstellung zu Menschen geprägt, die auf den ersten Blick nonkonform erscheinen. Später stellen sie sich oft als die interessantesten Menschen heraus.

CH: Und als die sympathischsten.


Die Gründer haben schon einmal zweieinhalb Jahre zusammen in einer Berliner WG gewohnt. Mittlerweile lebt Hochwald (34) mit seiner Freundin in Friedrichshain. Winkler (30) ist nach der Geburt seiner Tochter mit seiner Familie nach Köpenick gezogen. Ihr Büro liegt ungefähr auf halber Strecke, im Bezirk Alt-Treptow.


Herr Winkler, in einer Selbstbeschreibung nennen Sie sich „Gründer, Geschäftsführer, ganzkörpertätowiert“: Wie wichtig ist Ihnen das dritte Wort dabei?

SW: Es zieht sich durch mein ganzes Leben. Ich habe als Jugendlicher beschlossen, irgendwann an jeder freien Körperstelle ein Tattoo zu haben. Das hat damals einen bestimmten Typ Mensch verkörpert, der ich gerne sein wollte. Heute habe ich etwas mehr als 40 Tattoos. Die stammen aus der ganzen Welt und sind mit schönen Erinnerungen an die jeweilige Zeit verbunden. Ich bin noch nicht einmal bei der halben Körperfläche angekommen und habe noch eine lange Liste an Motiven und an Künstlern.

Die Motive schlagen auch eine Brücke zu einer anderen Leidenschaft, die Sie beide verbindet: dem Film.

SW: Das stimmt. Einer meiner ersten Horrorfilme war „The Blair Witch Project“. Seitdem bin ich wirklich „Die Hard“-Horrorfilm-Fan. Solche kleinen Wegpunkte meines Lebens packe ich mir gerne unter die Haut.

Obwohl sie auf der Partymeile in Friedrichshain lebten, haben die beiden ganze Wochenenden damit verbracht, Filme zu schauen. Es gibt Parallelen zum Bewegtbild in der Werbung: „Ein guter Spot verkauft nicht nur, er ist auch ein kurzer Blockbuster“, sagt Winkler.  ©Gene Glover

Herr Hochwald, was ist in Ihrem Leben so wichtig wie die Tattoos bei Ihrem Freund und Kollegen?

CH: Die Literatur. Sowohl das Lesen als auch das Schreiben. Ich habe einen guten Teil der Wohnung inzwischen mit Bücherregalen zugestellt. Wie viele Kreative fühle auch ich mich als verkappter Schriftsteller und habe natürlich schon zwanzig Romananfänge in der Schublade liegen. Ein paar kleinere Sachen habe ich auch fertiggeschrieben. Ich verschenke Kurzgeschichten ganz gerne an Freunde zum Geburtstag – vorausgesetzt, sie wünschen es sich.

SW: Ich behaupte mal, er gibt mindestens genauso viel Geld für Bücher aus wie ich für Tattoos.


Ein früher Berufswunsch Hochwalds ist Lektor. Er studiert Altorientalistik, will später ein Studium der Religionswissenschaften anschließen, bricht aber nach drei Jahren kurz vor dem Bachelor-Abschluss ab. Sein Einstieg in die Werbebranche ist eine Ausbildung zum Mediengestalter in einer kleinen Agentur namens Abiszet. In dieser Zeit, Winkler geht noch zur Schule, gründen die beiden zum ersten Mal die Agentur Brain’n’Dead – der Name lehnt sich an den Horrorfilm „Braindead“ an. Sie organisieren Metal-Konzerte, verkaufen „hässliche T-Shirts“ (Hochwald) und produzieren Musik-CDs. Die Firma wird beim Gewerbeamt an- und wieder abgemeldet, die Idee der Selbstständigkeit landet in der Schublade, bleibt aber präsent und ein gemeinsames Ziel.


Herr Winkler, verlief Ihr Weg in die Werbebranche ähnlich kurvenreich?

SW: Eigentlich nicht, ich wollte direkt nach dem Abitur eine Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation machen. In ganz Sachsen-Anhalt gab es exakt einmal diese Ausbildungsstelle bei einem zudem noch wenig spannenden Unternehmen. Weil zahlreiche Bewerbungen in Erfurt, Leipzig und Dresden auch nicht erfolgreich waren, habe ich mich erst mal für BWL eingeschrieben. Ein Jahr später habe ich dann meine Ausbildung bei Scholz & Friends in Berlin angefangen. Zuvor hatte ich beim Schreiben von über 300 Bewerbungen und in rund 70 Vorstellungsgesprächen viel über die Branche und über mich herausgefunden. Von da an ist es aber ein Vorzeigelebenslauf, also zumindest bei mir (lacht).

CH: Unsere Wege haben sich seitdem immer wieder überschnitten. Sascha begann bei Scholz & Friends die Ausbildung, ich kam als Praktikant nach. Nach der Ausbildung ging Sascha zu Heimat und ich ging zu Brandyourlife, wurde dort Kreativdirektor und Sascha kam nach. Dann ging Sascha zu TryNoAgency und holte mich wiederum hinterher. Sascha hat sich dann ein Jahr eher selbstständig gemacht und noch ein Jahr als Freelancer für DDB gearbeitet, bevor wir B’n’D gegründet haben.

Constantin Hochwald: „Wir sind eine seltsame Kombination, weil wir ein analytisch denkender Kreativer und ein Nach-Bauchgefühl-Kaufmann sind.“ ©Gene Glover

SW: Meine gesamte Karriere war auf diese Gründung ausgerichtet. Ich habe immer die Unternehmen danach ausgesucht, ob ich wirklich noch etwas lernen kann und wo es mich am meisten weiterbringt. Deswegen bin ich neben den Branchengrößen auch zu den kleinen Agenturen gegangen, wo du mehr Verantwortung bekommst und mehr improvisieren musst. Bei Constantin war es ähnlich. Wir haben die Türen dieser Agenturen betreten mit dem Wissen, irgendwann sitzen wir in unserer eigenen Agentur.

CH: Das war ganz häufig Inhalt unserer Gespräche, gerade in Phasen, in denen es mal weniger gut lief. Wir haben dann gesagt: Wir ärgern uns jetzt einmal kurz drüber, notieren uns aber im Geiste, wie wir das irgendwann anders machen werden. Das war die größte Motivation.

SW: Wir mögen Menschen nicht, die sich nur aufregen, aber nichts daraus machen.

Dann stand die (Neu-)Gründung von Brain’n’Dead an und es kam Corona …

SW: Den Entschluss zur Gründung haben wir im Januar 2020 – kurz vor Corona – getroffen. Ziemlich genau ein Jahr später, zum 4. Januar 2021, sind wir schließlich mit der Agentur gestartet. Auf dem Peak des zweiten Corona-Lockdowns, als alle Menschen mehr oder weniger zu Hause saßen. Das kam uns wiederum entgegen, wir haben erst mal kein Büro angemietet, sondern mein altes WG-Zimmer freigeräumt und zwei Schreibtische reingestellt.

Haben Sie nicht drüber nachgedacht, den Start zu verschieben?

SW: Wir haben uns in die Augen geguckt und gesagt: Wir wollen das schon so lange und sind so überzeugt von der Sache, wenn es nicht während einer solchen Krise funktioniert, dann soll es nicht sein.

CH: Wir hatten auch bewusst keine Kunden von unseren früheren Arbeitgebern mitgebracht, obwohl das in der Branche üblich ist. Unserer Meinung nach gehört sich das nicht. So saßen wir am ersten Tag ohne Kunden da und sind erst mal spazieren gegangen.

Das war im Januar 2021 auch eine der wenigen möglichen Beschäftigungen.

SW: Um uns beide zum Spazieren zu bekommen, hätte es keine Pandemie gebraucht. Das tun wir regelmäßig, um uns zu inspirieren.

CH: Ich würde eher sagen, wir bewegen uns sehr langsam irgendwohin – egal wohin –, denken nach und sprechen über tausend Dinge, zum Beispiel wie wir jetzt eigentlich an Kunden kommen. Aber dann hat uns noch ein ganz anderes Thema gepackt.


Die Impfkampagne „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“, die die Bundesregierung beim ehemaligen Arbeitgeber der beiden, Scholz & Friends, in Auftrag gibt, enttäuscht Hochwald und Winkler. Trotz ihrer Wertschätzung für die früheren Kollegen empfinden sie die Kampagne als nichtssagend und wenig motivierend. Sie beschließen, die Werbewelt aufzurütteln.


Eine der ersten Ideen als Gründer brachte Ihnen noch vor dem ersten Kunden den ersten Shitstorm und sogar Morddrohungen ein. Wie kam es zur provokanten Guerilla-Kampagne „Alle müssen sterben“?

CH: „Ärmel hochkrempeln“ war keine Überzeugungs-, sondern eine Informationskampagne nach dem Motto: „Hey, der Impfstoff ist jetzt da.“ Diese Botschaft stand damals schon in allen Zeitungen. Wir wollten eine Botschaft an die Werbebranche senden, die sich stets selbstbewusst brüstet, für alle kommunikativen Probleme kreative Lösungen zu finden – für das Impfen aber bis dahin nichts zustande gebracht hatte. Dazu haben wir provokativ überzeichnet. Irgendwo zwischen „Ärmel hochkrempeln“ und unserer Kampagne liegt nach unserem Empfinden die Wahrheit. So haben wir das kommuniziert und so wurde es auch von der Fachpresse aufgegriffen.

Wie ist die Kampagne entstanden?

CH: Ich saß also eine Nacht lang stark rauchend in meiner Küche und habe die Idee entwickelt, die neun Tage später auf 1000 Plakaten in ganz Berlin hing. Dabei gab es drei unterschiedliche Motive mit den Slogans: „Alle müssen sterben. Querdenker/AfD-Wähler/Tätowierte müssen sterben! … Aber nicht an Corona. Lass dich impfen. Bleib am Leben.“

Was geschah dann?

CH: Die ersten zwei Tage blieb es ruhig, dann brach ein Shitstorm los: Wir bekamen unzählige Anrufe, Mails und Briefe. Anfangs noch konstruktiv, dann gab es zahlreiche mehr oder weniger konkrete Morddrohungen. Das ging so weit, dass Zettel mit unseren Gesichtern bei Sascha an die Haustür plakatiert wurden, auf denen stand: „Sascha Winkler und Constantin Hochwald müssen sterben!“ Dazu kam, dass wir durch einschlägige Telegram-Gruppen geisterten. Prominente Personen aus dieser Szene haben sogar bei Sascha geklingelt. Er bekam seine eigene Polizeistreife vor die Tür gestellt. Nach etwa zwei Wochen ebbte der Sturm zum Glück wieder ab.

Hatten Sie die aufgeheizte politische und gesellschaftliche Atmosphäre unterschätzt?

CH: Wir haben schon mit einem großen Echo gerechnet, aber nicht damit, was das mit uns selbst macht. Wie persönlich man sich plötzlich angegriffen fühlt und wie ernst man eine E-Mail nimmt, die einem irgendjemand Fremdes schreibt.

SW: Wir hatten uns schon darauf eingestellt, dass der Diskurs die Blase der Werbebranche verlässt. Wir waren auch bereit, mit jedem, der sich angegriffen fühlt, zu reden. Allerdings hatten wir die Radikalität der Reaktionen unterschätzt.

Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

SW: Die Kampagne war kein Fehler, aber wir würden sie heute nicht in der gleichen Form wiederholen. Wir wollten radikal in unserer Botschaft sein, aber wenn uns bewusst gewesen wäre, wie radikal die Querdenker-Szene ist, hätten wir sie rausgelassen.

CH: Damit die Botschaft klarer wird, hätten wir selbst von Anfang an ein Plakatmotiv mit unseren Gesichtern und Namen machen sollen.


Mittlerweile arbeiten vier Festangestellte und eine Reihe freier Mitarbeiter*innen bei B’n’D, die nächsten Einstellungen sind geplant. Die Gründer bieten allen Mitarbeitenden eine Vier-Tage-Woche bei vollen Bezügen an und vermeiden Überstunden weitgehend. Zu ihren Kunden gehören junge Unternehmen wie das Balkonpflanzen-Start-up The Plant Box und die Sharing-App für Elektroroller Emmy.


Hat die Aufmerksamkeit rund um die Corona-Kampa­gne Ihrer Agentur etwas gebracht?

CH: Mir ist wichtig festzuhalten, dass es kein PR-Gag war. Wir haben auf persönlicher Ebene viel positives Feedback bekommen. Aber beruflich hat kaum jemand mit uns gesprochen. Ich glaube nicht, dass es uns genützt hat.

SW: Ich bin sogar überzeugt, dass es mehr Kunden abgeschreckt als zu uns getrieben hat.

CH: Das stimmt, ein späterer Kunde war zum Beispiel zunächst davon ausgegangen, dass wir nur solche „krawalligen“ Sachen machen. Aber wir können alle Tonalitäten.

Sie wollen sich also nicht als Agentur der provokanten Kampagnen positionieren?

CH: Wir haben uns darauf geeinigt, nur ein Shitstorm pro Quartal (lacht).

Das Timing schien günstig: Sie hatten eine eigene Agentur, Zeit und noch keine Kunden, auf die Sie Rücksicht nehmen mussten. War das der Plan?

SW: Es war unsere Überzeugung, einen Diskurs anzustoßen. Negative Reaktionen haben wir erwartet und bewusst in Kauf genommen. Wir wollten uns nicht schon einschränken, bevor wir überhaupt einen Kunden haben.

Und wofür wollen Sie heute mit Ihrer Agentur stehen?

CH: Wir wollen nicht für jeden Kunden die perfekte Agentur sein und umgekehrt ist auch nicht jeder Kunde der perfekte Kunde für uns. Wir lehnen Aufträge ab, bei denen unser eigener moralischer Kompass in die falsche Richtung ausschlägt. Unser Motto ist hier: Keine Kippen, Waffen oder Ölkonzerne. Damit ist es aber noch nicht getan.

SW: Uns gibt es jetzt seit anderthalb Jahren und wir haben finanziell keinen Riesenpuffer, aber auch wir haben bereits zahlungskräftigen Kunden einen Korb gegeben …

CH: … zuletzt etwa einem großen Onlineversand. Wir wollen uns nicht hinter irgendwelchen Phrasen und Fachbegriffen verstecken, sondern unseren Kunden klar sagen, was wir für sie tun können und was nicht. Wir sitzen seit mehr als zehn Jahren in Meetings, in denen sich vermeintlich wichtige Menschen vermeintlich wichtige Worte um die Ohren hauen, um zum Schluss nichts anderes zu sagen als: „Wir drehen einen Werbespot.“ Manchmal muss man bei einem Thema in die Tiefe gehen, aber oft ist es nur Phrasen-Gedresche, mit dem die Branche sich extrem aufbläst. Das geht uns als „ostdeutschen Jungs vom Dorf“ nach all den Jahren immer noch ziemlich auf die Nerven.

Sascha Winkler: „Unsere Freundschaft ist älter als alles andere und nicht von dieser Agentur zu trennen.“ ©Gene Glover

Lassen Sie uns noch mal auf Ihrer beider Verbindung zurückkommen. Wie gelingt es, Freundschaft und Geschäft miteinander zu verbinden?

SW: Unsere Freundschaft ist älter als alles andere und nicht von dieser Agentur zu trennen und umgekehrt. Der gesamte Spirit von B’n’D entspringt dieser langen Verbindung.

CH: Wir sehen uns im Job, wir sehen uns privat. Die Netto-Zeit, die wir miteinander verbringen, ist absurd hoch. Die Familien sind entweder dabei oder sie sind dabei (lacht). Unsere Partnerinnen verstehen sich zum Glück auch gut.

SW: Unser Realitätscheck ist immer: Wie happy wären unsere 16-jährigen Ichs mit unserer aktuellen Situation. Vieles, was wir jetzt machen, liegt in der Zeit begründet, in der wir als Jugendliche im Proberaum oder am Baggersee rumgehangen haben.

Gibt es ein Leben nach Brain’n’Dead?

CH: Nein, es wird ein Leben nach der Agentur geben. Aber „Brain’n’Dead“ wird es in irgendeiner Form immer geben.

SW: Das kann ich vorbehaltlos unterschreiben.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.