Freiheit verkauft! – Ein Appell für mehr Mut im Marketing

China steht wie kaum ein anderes Land für Gegensätze und Komplexität. Wer die Volksrepublik verstehen will, muss hinfahren. Und dann Erkenntnisse mit nach Europa bringen, die uns die Augen öffnen, unser Verständnis erweitern und uns ein Gefühl dafür bekommen lassen, wie das Leben dort läuft und vor allem warum.
Der Platz des Himmlischen Friedens ist mittlerweile eher ein „Platz der maximalen Sicherheit“. Mit Kontrollen wie am Flughafen wird hier für "Ruhe und Ordnung" gesorgt. (© Haas)

Zensur. Reiseeinschränkungen. Staatsbetriebe. Überwachung bis hinein in die Privatsphäre, Menschenrechte nur, wenn’s gerade passt. Der Einzelne ist nichts, der Staat ist alles. Ein Hoch auf die Partei! Worum geht’s hier? DDR? Nein, noch ein paar Tipps: Nike hat sein „House of Innovation Nr. 001“ dort. Dort und nicht zum Beispiel in New York. Aldi ist mit einem Luxusshopping-Konzept am Start, und Starbucks schenkt Heißgetränke in seinem weltgrößten (!) Geschäft aus. 

Die Rede ist von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde: China. Es geht um ein Land, das wohl wie kein anderes für Gegensätze und Komplexität steht. Wer China verstehen will, muss hinfahren. Und dann Erkenntnisse mit nach Europa bringen, die uns die Augen öffnen, die unser Verständnis erweitern und die uns ein Gefühl dafür bekommen lassen, wie das Leben dort läuft und vor allem warum. Solch eine Lernreise – anfangs unter dem Motto „China verstehen, von China lernen“ – wird aber auch ganz schnell eine Lernreise zu sich selbst. Zur eigenen Einstellung, zur Neukalibrierung und ein Augenöffner.

Das Visum gibt’s erst im dritten Anlauf

Das mit dem Hinfahren klingt übrigens einfacher, als es ist. Das Visum erst beim dritten Anlauf im Reisepass und die permanente Angst im Nacken, mit all jenen recherchierten Zeitungsartikeln im Gepäck erwischt zu werden, die einem chinesischen „Offiziellen“ besser niemals zu Gesicht gelangen. Beim Vergleich örtlicher Medienberichte zum Thema Hongkong-Proteste mit denen, die man sich mittels technischer Tricks zeitgleich von zu Hause holen kann, zuckt man schon mal zusammen.

Sofort lernt man den Wert unserer hiesigen Medien extrem zu schätzen, und gleichzeitig landet man unweigerlich in einer Art Selbstzensur – denn wer will schon sich oder seine Gesprächspartner im Gefängnis sehen?

Einheimische bestätigen: Besagte Angst, etwas zu tun, was gegen eine – vielleicht bisher auch unbekannte – Regel verstößt, dominiert das ganze Leben. Das betrifft Individuen genauso wie Unternehmen. Erhobenen Hauptes geht oder radelt da kaum noch einer durch die Stadt, auch wegen der omnipräsenten Videoüberwachung. Zwölf Kameras pro Laternenpfahl sprechen eine deutliche Sprache. Wenn Sie die Suchmaschine Ihrer Wahl mal mit dem Begriff „Hikvision“ bemühen, werden Sie überrascht sein, was schon so alles geht und wie günstig das ist. Dank modernster Technik und jeder Menge künstlicher Intelligenz (wer schickt sich hier noch mal an, Weltmarktführer zu sein?) wird der Mensch zur Nummer, geordnet und sortiert.

Fehlt uns der Mut oder frisst uns die eigene Bequemlichkeit?

Warum erzähle ich Ihnen das alles? 

Weil ich mich frage, ob wir in Europa zu bequem geworden sind, unsere Freiheit auch zu nutzen. Ob es uns egal ist oder wir nicht in der Lage dazu sind, größer und grundlegend neu zu denken. Wer hindert uns denn daran? Fehlt uns der Mut oder frisst uns die eigene Bequemlichkeit? Ist das Marketing nicht in der Lage, sich die Freiheiten auch zu nehmen und aktiv die Produktpolitik zu prägen? Ist unser Markt so eingefahren, dass wir ihn nicht mehr gestalten können und er bald aussieht wie eine Art Heimatmuseum? 

Müssen wir Batterieautos bauen, obwohl jetzt schon klar ist, dass China den Löwenanteil an seltenen Erden dafür beherbergt und wir uns heute schon erpressen lassen? Warum haben wir nicht die Führungsstile, Unternehmenskulturen und Methoden, diesen strategischen Fehler sofort zu korrigieren und (auch) auf Wasserstoff zu setzen? Und dabei jene Entscheider, die mutig umsteuern, nicht zu feuern, sondern zu feiern? Natürlich, wirtschaftlich ist das am Anfang nicht. Aber hey, dort auch nicht! Doch noch sind die Portokassen der Unternehmen voll und der Abstand überschaubar!

Radikal-mutige und geniale Produkte sind gefragt

Was wäre denn, wenn unsere Produkte und Dienstleistungen derartig radikal-mutig und genial wären, dass jeder Chinese, Amerikaner, Türke und Russe sie unbedingt (!) wollte. Unbedingt! Mehr als heute den Gucci-Gürtel, das iPhone und das Milupa-Milchpulver. Wenn die Konsumenten den eigenen Autokraten klarmachen würden, dass sie dieses Produkt benötigen, weil es so einzigartig und unwiderstehlich ist.

Wie das funktionieren soll? Indem wir unsere Freiheit – im positiven Sinne – ans absolute Limit führen, indem wir Regeln brechen, alte Geschäfts-modelle kannibalisieren und bekannte Punkte neu verknüpfen. 

Würden wir wertschätzen, was wir haben, dann würden wir mehr draus machen. Und nicht zusehen, wie wir in Deutschland und Europa langsam in der Bedeutungslosigkeit versinken. In diesem Sinne: Lassen Sie uns sicherstellen, dass unsere Freiheit verkauft, statt unsere Freiheit zu verkaufen! 

Lassen Sie uns rebellisch – mit Freiheit und Vollgas – die Welt prägen!

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