Facebook-Werbeboykott: Frage der Haltung oder Sparmaßnahme?

Im Zuge der Protestwelle gegen Rassismus und Polizeigewalt sind diese seit langem schwelenden Vorwürfe gegen Facebook neu entflammt. Sicher meinen es einige Werbetreibende ernst mit ihrem Boykott. Doch manche sind nur auf den Zug aufgesprungen, um relevanten Content für PR zu generieren – und nebenbei Marketinggelder in Post-Corona-Zeiten einzusparen.
Facebook verliert derzeit in großem Umfang Werbeeinnahmen und an Börsenwert. (© Alex Haney / Unsplash)

Scheinheilige Unternehmenspolitik im Umgang mit Bürgerrechten und nachlässiger Umgang mit Fake News und Hasskommentaren – im Zuge der Protestwelle gegen Rassismus und Polizeigewalt sind diese seit langem schwelenden Vorwürfe gegen Facebook neu entflammt. Die Aufrufe von US-Bürgerrechtsorganisationen, Facebook zu boykottieren, die vor knapp zwei Wochen unter dem Hashtag #StopHateforProfit begonnen haben, zeigen Wirkung. 243 Unternehmen (Stand: Mittwoch 9 Uhr) haben ihre Werbespendings gestrichen. Mark Zuckerberg und seine Plattformen geraten unter enormen Druck. Bislang verlor Facebook rund 56 Milliarden US-Dollar Börsenwert.

Menschen delegieren Verantwortung an Marken

Kunden haben längst umfassende Pflichten und Lasten ihres Alltags an Marken ausgelagert: Marken recyceln, Marken sorgen für soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Marken verurteilen und bestrafen, wenn auf Kosten anderer Profite gemacht werden. Es ist viel komfortabler, die Entwicklung schadstofffreier Autos an Automobilmarken zu delegieren, statt auf die Nutzung des Autos zu verzichten, und es ist viel bequemer den Boykott gegen Facebook zu liken, statt sich selbst und persönlich gegen Hass und Diskriminierung im Netz einzusetzen. 

Genau diese Entwicklung nutzen viele Marken aktuell, um Fans an sich zu binden. Sie boykottieren Facebook als Werbemedium.

Gleichzeitig steigt aber auch die Verantwortung der Marken, dieser von den Kunden zugewiesenen Aufgabe gerecht zu werden, denn Pseudo-Versprechen werden enttarnt. Marken müssen sich ihres Einflusses auf Gesellschaft und Umwelt bewusst sein und diesen im Idealfall zum Wohle der Menschen, der Gesellschaft und des Planeten einsetzen.

Haltung zu zeigen ist einfacher, wenn sie massenfähig ist

Wieso fällt den Unternehmen erst jetzt auf, dass sie gegenüber Facebook eine klare Haltung zeigen müssen? Der laxe Umgang der Plattform mit Hass-Postings, Falschmeldungen und Menschenrechtsverletzungen ist kein neues Thema.

Die BlackLifeMatters-Bewegung hat eine globale Aktionswelle angestoßen – und damit auch ein neues Schlaglicht auf Facebook und deren ungenügende Kontrollen geworfen. So wie es schick war, mit Greta zu sympathisieren, ist es nun en vogue gegen Facebook aufzubegehren, könnte man provokant behaupten.

Den Anfang machten unter anderem die couragierten Outdoor-Brands The North Face und Patagonia, beide bekannt für ihr seriöses, nachhaltiges und soziales Engagement. Höchste Glaubwürdigkeit für diese Maßnahme wurde ihnen zuteil! Das gilt auch für Vaude, das sich in dieser Woche als erste deutsche Marke der Bewegung anschloß. Coca-Cola, Starbucks, Unilever, Honda und viele weitere folgte, darunter zuletzt auch mehrere Dax-Konzerne. Wie glaubwürdig ist deren Entscheidung?

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Zielt der Boykott dieser Marken tatsächlich auf das inakzeptable Verhalten von Facebook oder haben die Werbetreibenden auch eine Möglichkeiten erkannt, um relevanten Content für PR zu generieren – und nebenbei Marketinggelder in Post-Corona-Zeiten einzusparen?

Boykott sollte Ausdruck der eigenen Haltung sein

Haltung wird immer als etwas Moralisches gesehen, das Korrekte wird unterstellt. Haltung ist vielmehr eine innere (Grund)-Einstellung, die jegliches Denken und insbesondere das Handeln prägt.

Das Vertrauen der Menschen in Marken wird heute stark durch das unternehmerische, ethische Verhalten wie Verlässlichkeit und Integrität beeinflusst. In der aktuellen „Impact Brand“-Studie von BrandTrust geben 71 Prozent der Befragten in den DACH-Staaten an, dass es ihnen wichtig ist, dass Marken mit ihren Angeboten weder der Umwelt noch Menschen schaden. Und 87 Prozent erwarten, dass Marken ihren Einfluss hierfür nutzen. CSR-Verantwortliche wird dies freuen. Kunden werden Marken nicht mehr kaufen, wenn sie sich nicht mit deren Haltung identifizieren können.

Spiegelt die Marketingentscheidung tatsächlich die Haltung des gesamten Unternehmens wider?

Noch immer findet in zahlreichen Unternehmen eine Entkopplung des Marketings vom Management statt. Wenn die Marketingabteilung ein Werbemedium boykottiert, dann muss das nicht zwangsläufig etwas mit einem Grundwert des Unternehmens zu tun haben. Zu häufig konnte man schon Widersprüche bei Kommunikation und Umgang mit Mitarbeitern oder Stakeholdern erleben – beispielsweise bei Adidas und den Mietkürzungen in der Corona-Krise.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Definition der eigenen Haltung, des Zwecks, der Positionierung und des Zukunftsbildes der Marke mit allen relevanten Anspruchsgruppen erarbeitet und in allen Markenkontaktpunkten nach innen sowie außerhalb des Unternehmens gelebt wird. Denn keine dieser Gruppierungen, seien es Mitarbeiter, Kunden, Eigentümer oder Lieferanten, kann isoliert betrachtet werden. Die Welt ist vernetzt und die Kommunikationskanäle sind transparent.

Der Boykott selbst bleibt zunächst eine Aktion, die vom Marketing ausgelöst und verantwortet wird. Zu klären bleibt, welchen Einfluss diese Handlung auf andere Bereiche der Unternehmen haben wird. Welche Maßnahmen das Team von Mark Zuckerberg aufgrund der aktuell fehlenden Werbeeinnahmen und des (temporären) Börsenwert-Sturzes ergreifen wird, werden wir in Kürze – vermutlich mit Erstaunen – erfahren.