Wie auf einer Anklagebank saßen die Chefs der deutschen Autofirmen vor zwei Tagen der Politik im Innenministerium gegenüber. Das erklärte Ziel des Zusammentreffens: Emissionen reduzieren, die Gesundheit der Bürger schützen, Grenzwerte einhalten und pauschale Fahrverbote in Städten vermeiden. Und natürlich: Das Image der traditionsreichen deutschen Automobilindustrie retten. Denn das ist seit des Dieselskandals und der Kartellvorwürfe gegen die fünf deutschen Hersteller VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz ziemlich angekratzt.
Software-Updates für fünf Millionen Diesel
Herauskam eine Nachrüstungs-Zusage der deutschen Hersteller für rund 5,3 Millionen Dieselfahrzeugen der Schadstoffklassen Euro 5 und 6 – darunter 2,5 Millionen ohnehin nachzurüstende Fahrzeuge des VW-Konzerns – mit Software-Updates zur Reduzierung des Stickoxid-Ausstoßes. Die Hersteller wollen außerdem den Umstieg von alten Diesel-Fahrzeugen auf umweltfreundlichere Fahrzeuge durch Umstiegsprämien attraktiver machen. So bietet BMW seinen Diesel-PkW-Besitzern der Euro-Norm 4 oder älter bis zu 2.000 Euro an, wenn sie einen Elektro-, Hybrid- oder Diesel-Neuwagen kaufen. Bund und Länder einigten sich außerdem darauf, eine umweltfreundlichere Mobilität in Städten zu finanzieren. Und zwar soll es einen Fonds „Nachhaltige Mobilität in der Stadt“ im Gesamtumfang von 500 Millionen Euro geben, in den Bund und Hersteller gleichermaßen einzahlen. Fließen soll das Geld in die 28 Regionen in Deutschland, die am stärksten von Schadstoff-Belastungen in der Luft betroffen sind.
Hardware-Nachrüstungen sind Herstellern zu teuer
Insgesamt konnte sich damit die Autoindustrie durchsetzen, denn die Software-Updates sind eine weitaus kostengünstigere Lösung als es Hardware-Nachrüstungen – also bauliche Veränderungen an den Motoren der Diesel-Autos – gewesen wären. So sprach sich beispielsweise VW-Chef Matthias Müller wegen des Aufwandes sowie der Kosten öffentlich gegen solche baulichen Nachbesserungen aus. Diese würden nach Schätzungen von Experten bei 1.500 Euro pro Fahrzeug liegen, ein Software-Update hingegen bei nur 150 Euro pro Wagen.
Kritik aus Eimern
Seitens der Opposition sowie der Umweltaktivisten hagelte es Kritik: Während Linken-Chef Bernd Riexinger den Gipfel als „eine einzige Farce“ bezeichnete, verwandte Grünen-Chef Cem Özdemir das Wort „mutlos“. Die Deutsche Umwelthilfe spricht sogar von einem „Debakel für die Luftreinhaltepolitik der Bundesrepublik“. So schreibt sie in einem öffentlichen Statement: „Einmal mehr hat sich die Deutsche Automobilindustrie eindrucksvoll gegen die Spitzenpolitiker der Bundesregierung und die Landeschefs durchgesetzt. Als gebe es kein seit 20 Jahren bestehendes betrügerisches Kartell verzichtet die Politik auf klare Vorgaben. So sollen weniger als 20 Prozent der 15 Millionen deutschen Diesel-Pkw ein auch nur im Sommer die Abgase um 25 Prozent reduzierendes Software-Update erhalten.“ Auch nach Ansicht des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) habe die Politik es versäumt, die Verantwortlichen des Abgasskandals „angemessen in die Pflicht zu nehmen“. Die Industrie komme mit „kostengünstigen Updates der Motorsoftware davon, statt wirksame Nachrüstungen der Hardware zu finanzieren“.
„Zu glimpflich davongekommen“
Auch Markenexperte Karsten Kilian findet, dass die Industrie beim Auto-Gipfel zu glimpflich davon gekommen sei: „Die involvierten Politiker haben kurz vor den Bundestagswahlen Samthandschuhe an. Das ist offensichtlich! Bemerkenswert ist alleine schon die Stellungnahme, dass die Hersteller bereit sind, die Kosten für das Softwareupdate zu übernehmen. Hier geht es nicht um die großzügige Bereitschaft, sondern um die schiere Pflicht der Hersteller, den mit böswilligem Vorsatz erwirkten Schaden zu beheben“. Kilian geht davon aus, dass der Spritverbrauch nach dem Softwareupdate steigen wird, weshalb seiner Meinung nach über ein technische Lösung gesprochen werden sollte und/oder darüber, wie die Politik die Fahrzeugbesitzer und die Bevölkerung adäquat entschädigen könnte. „Auch hier zeigt sich die Politik wachsweich im Umgang mit Deutschlands führender Industrie, was ich als Fehler erachte – und der Glaubwürdigkeit des Standorts Deutschland schadet. Es handelt sich um Betrug und deshalb sollten die verantwortlichen Manager und Konzerne auch vollumfänglich zur Rechenschaft gezogen werden – und Schadenersatz leisten!“, so Kilian.
Selbstverschuldeter Imageschaden für die Autohersteller?
Büßen die Automobilkonzerne insgesamt also ihre Glaubwürdigkeit ein? Haben sie ihrem Image mit dem Gipfel eher geschadet als es aufzupolieren? Ja, meint Kilian: „Drei auf zahlreichen Fotos lachende Autochefs wirken alles andere als seriös. Die Glaubwürdigkeit wurde durch den Auto-Gipfel jedenfalls nicht wieder hergestellt. Im Gegenteil: Man hat den Eindruck, Zeuge eins abgekarteten Spiels zu sein. Die Leidtragenden sind zunächst die Dieselfahrer, die das auch spüren und in zweiter Linie wir alle, die wir in einer Umwelt leben müssen, die auf böswillige Art mehr als notwendig verschmutzt wurde.“ Ein Softwareupdate kann seines Erachtens nicht die alleinige Lösung sein. Eine Milliardenstrafe von Seiten des Staates und eine Schadenersatzzahlung an die Autobesitzer wäre für Kilian das Mindeste. Außerdem sollten die verantwortlichen Top-Manager ihres Amtes enthoben werden: „Dass sie nichts davon gewusst haben, nehme ich insbesondere Ingenieuren nicht ab. Ingenieure wollen aufgrund ihrer technischen Neugierde immer genau wissen, wie etwas funktioniert. Mit Floskeln abspeisen lassen sich Top-Automanager nicht!“, so Kilian.
Verpasste Chance
Auch Andreas Hesse, Dozent für BWL an der Hochschule Koblenz, ist überzeugt, dass weder Politik noch Automobilbranche die Chance genutzt hätten, aus dem Diesel-Desaster einen Wendepunkt oder einen Startpunkt für eine neue Ära zu machen: „Es war klar, dass man aus wirtschaftlicher Sicht Dieselmotoren retten muss, auch um Arbeitsplätze zu sichern. Dennoch hätte ich mir erhofft, dass es eine klare Verbindung zu „Connected Cars“ oder elektronischem Antrieb und anderen Innovation geben wird. Das heißt, wenn schon die Software von Dieselmotoren updaten, dann nur bis zum Tausch Diesel gegen Elektro – oder ähnlich.“ Darüber hinaus habe Hesse erwartet, dass die Automobilkonzerne sich von selbst verpflichten, die Umwelt weniger zu belasten als bislang. Schließlich müssten die Automobilkonzerne doch wissen, dass Konsumenten immer gebildeter werden und sich immer schneller informieren. „Nachhaltigkeit, Transparenz in der Produktion, Ehrlichkeit in der Kommunikation sind immer bedeutendere Faktoren. Erst recht, nachdem Dieselskandal und Kartellverdacht die Glaubwürdigkeit bereits massiv belasten haben. Ich glaube, die Automobilkonzerne haben die Chance, jetzt einen Neuanfang zu starten – der ist gestern aber nicht gelungen und sie haben weiter an Glaubwürdigkeit verloren“, so Hesse.
Kartellverdacht stößt bei Bürgern auf Abneigung
Und was sagt die breite Masse, die Bevölkerung, zu den Machenschaften der Autohersteller? Laut einer aktuelle Studie* des Nürnberger Marktforschungsinstitus Puls hat das Image auch aus Sicht der Bürger einen ordentlichen Kratzer erlitten. Besonders der Verdacht auf verbotene kartellrechtliche Absprachen zwischen VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz wirkt sich negativ auf ihre Wahrnehmung der deutschen Autoindustrie aus.
Für 34 Prozent der rund 650 Befragten* wirkt sich der Kartellverdacht negativ auf das Image der Autoindustrie aus. Insbesondere die Älteren, über 50-Jährigen, scheinen bestürzt: Knapp die Hälfte von ihnen befürchtet einen negativen Image-Einfluss. Weniger eng sehen es die unter 30-Jährigen, von denen nur 24 Prozent das Image der Hersteller beschädigt sehen. Dennoch erwartet Konrad Weßner, Geschäftsführer von Puls, keine einschneidenden Konsequenzen: „Weil sich die Diskussion um umweltfreundliche Automobilantriebe versachlichen wird, erwarte ich keine langfristigen Imageverluste der deutschen Automobilindustrie, wohl aber mehr Handlungsdruck in Richtung Elektromobilität.“
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Das sieht Markenexperte Kilian etwas anders. Er glaubt, dass das letzte Wort noch lange nicht gesprochen sei – und die deutschen Premiummarken weiter unter verschärfter Beobachtung bleiben würden. „Möglicherweise findet sich noch ein Politiker mit Rückgrat, der für eine schonungslose Aufklärung sorgt. Besitzer von Dieselfahrzeugen deutschen Fabrikats und potenzielle Neukunden haben Anspruch auf eine hundertprozentige Lösung und nicht nur auf ein bescheidenes Softwareupdate, dessen Wirksamkeit noch unklar ist. Wir alle haben Anspruch auf eine Strafzahlung an den Staat, auf Schadenersatz für die unnötige, auf Gierigkeit beruhende Umweltschädigung durch die weltweit führenden Autohersteller, die sich bei Diesel-Gate von ihrer ganz schlechten Seite gezeigt haben. Vorbildliche Marken verhalten sich anders!“
* Für die Puls-Studie wurden rund 650 Personen zwischen dem 27. und 31. Juli online über Qualitätspanels befragt, die aktuell ein Auto fahren und in den nächsten zwölf Monaten einen Autokauf planen oder in den vergangenen 12 Monaten ein Auto gekauft haben.