Die Party ist vorbei!

Niemand hatte wohl daran gezweifelt, dass Aleksander Ruzicka verurteilt wird. Sicher nicht einmal er selbst. Das Strafmaß von mehr als 11 Jahren Haft hat nicht nur viele Marktteilnehmer, sondern auch erfahrene Juristen zunächst sprachlos gemacht.

von Michael Ziesmann

Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, denn Ruzicka hat Revision eingelegt, sorgt die Urteilsbegründung für hitzige Diskussionen. So sprach Richter Jürgen Bonk von völlig fehlender interner und externer Transparenz bei Agentur und Kunden. Er geißelte die Grauzone, in der Kickbacks überhaupt erst stattfinden können. Das System Ruzicka hat wegen dieser Grauzone jahrelang funktioniert. Keiner hat es hinterfragt weil alle profitierten, nur Aegis Media nicht ausreichend. Bis heute ist unklar wo genau Geld fehlt und ob das System Ruzicka das veruntreute Geld erst geschaffen hat, weil Freispots sonst nicht hätten zu Geld gemacht werden können.

Jedoch war das von Ruzicka bereits im September 2007 in der absatzwirtschaft geschilderte System weder transparent noch legal, so das Gericht. Intransparente Strukturen und unwissende Kunden haben das System Ruzicka überhaupt erst möglich gemacht. Erstaunlich, dass sich die richterlich kritisierte Agentur mit dem Urteil in ihrer Vorgehens- und Sichtweise vollumfänglich bestätigt sieht. Das Urteil spricht tatsächlich für sich. Vor allem dann, wenn man sich nicht nur das Strafmaß, sondern die wohl bedachten Worte des Richters angehört hat.

Seit Monaten traf ein genervter Richter auf einen polarisierenden Angeklagten. Der eine kritisierte den angeblich fehlenden Willen nach vollständiger Aufklärung des Gerichts. Der andere wies die Kritik empört zurück, lehnte jedoch mehr als 50 Beweisanträge als irrelevant ab. Aleksander Ruzicka wird ein Schaden von 36 Millionen Euro vorgeworfen. Er beteuert, dass diese Gelder seinem Arbeitgeber zugute gekommen seien. Das Gericht ordnet das als abwegig ein. Warum sollte Ruzicka aber das halbe europäische Agenturmanagement, Kunden- und Medienvertreter privat „bespaßen“ und die Kosten in Millionenhöhe mit seinem Gehalt bezahlen? Das hatte tatsächlich keine gesunde Relation. Weder Konzern- noch Finanzchefs haben ausreichend hinterfragt, warum Firmen wie Camaco oder Watson das bezahlen, was sie konsumieren, warum sie kostenfrei fliegen, jagen oder übernachten. Natürlich berechtigt dies nicht dazu, Firmengelder ungefragt abzuzweigen oder eine stillschweigende Duldung dessen zu unterstellen. Besonders wenn Aleksander Ruzicka nicht ausreichend zwischen privaten und beruflich notwendigen Ausgaben unterschieden hat. Diese Party ist vorbei.

Aleksander Ruzicka argumentierte sehr dreist, dass ihm kein einziger Cent privat zugeflossen sei. Das ist frech weil er weiß, dass er sich selbst das eigene Haus vermietet, sich selbst tilgungsfreie Millionenkredite gab, oder aus den abgeflossenen Mitteln zusätzlich zum Aegis-Dienst-7er-BMW einen Aston Martin an der Spitze einer Luxuswagenflotte gekauft hat. Auch deshalb war das Urteil weniger ein Urteil, sondern eine zweistündige Maßregelung einer Person, die es maßlos übertrieben hatte. Kein Wunder, dass Richter Bonk sämtliche anderen Fakten negativ auslegte und vollständig der Argumentation der Ermittler folgte. Er urteilte gegen den intransparenten und illegalen Umgang mit fremdem Vermögen. Bonk´s Botschaft: die Party ist vorbei!

Statt der Ruzicka-Show hatte es die Verteidigung in 64 Verhandlungstagen nicht geschafft einer Wirtschaftsstrafkammer glaubhaft zu vermitteln, was eine Mediaagentur tut. So unterscheidet die Kammer im Urteil nicht zwischen dem Income der Mediaagentur und den Geldern, die die Kunden der Agentur anvertrauen um damit die Medienrechnungen für ihre Werbekampagnen bei Dritten zu bezahlen. Richter Bonk zeigte sich beeindruckt von einem ortsansässigen Mediaagentur mit zwei Milliarden Euro Umsatz. Jedoch fließen 1,95 Milliarden Euro im Auftrag der Kunden zu den Medien um deren Rechnungen zu bezahlen. Da von diesen Bruttosummen Rabatte bis zu 70 Prozent abgezogen werden, relativiert sich dies zusätzlich. Dann bleibt vom großen Kino wenig übrig.

Ein Urteil fast genau vier Jahre nach der skurrilen Strafanzeige gegen Ruzicka, eineinhalb Jahre Prozess, 64 Verhandlungstage: das hätte man kürzer haben können! Das Urteil unterscheidet sich nicht von der Anzeige von vor vier Jahren. Warum schauten Ermittler und Aegis der Ruzicka-Show zwischen Juli 2005 und September 2006 tatenlos zu? Auch das Gericht brauchte schlußendlich keine anderen Beweise als sie nicht schon im Jahr 2005 den Ermittlern von Aegis „anonym“ in den Nachtbriefkasten gelegt wurden. Den Ermittlern ist es egal wer wen warum anzeigt. Der Öffentlichkeit nicht! Insbesondere dann wenn diese jahrelang wissentlich an der Nase herumgeführt wird.
Richter Jürgen Bonk statuierte in seinem ersten großen Wirtschaftsprozess am Landgericht Wiesbaden ein Exempel.

Er zeigte sich als Hardliner, der mit 11 Jahren Haft ein abschreckendes Zeichen gegen Kickbacks in der Grauzone der Werbewirtschaft setzen wollte. Das ist ihm gelungen. Mehr aber auch nicht. Richterin Verena Benzler-Herz hat am Landgericht München einem Kunden Recht gegeben und ist dabei vom Gegenteil ausgegangen: Mediaagenturen sind vermittelnd tätig. In Wiesbaden gelten Mediaagenturen als eigene Wirtschaftstufe, die über eigene Werbeplätze verfügen. Wurde der Inhalt der Kundenverträge in Wiesbaden als irrelevant eingestuft, müssen in München sämtliche Rabatte auf Basis derselben Verträge den Kunden zugute kommen. Beide Urteile werden sich beim Bundesgerichtshof treffen. Rechtssicherheit? Fehlanzeige!

Kann man die Exzesse, den Mißbrauch der Marktmacht durch Einfluss auf die redaktionellen Inhalte der Medien, und das Wirken der Werbebranche in einer Grauzone auf eine Person projezieren? Man kann wenn man abschrecken will. Dieses Urteil zeigt, dass auch die Akteure bei Agenturen, Medien und Kunden nicht im rechtsfreien Raum eines großen Kindergeburtstages arbeiten. Eine schicke Dauerparty, bei der jeder jeden „bespaßt“. Diese Party ist vorbei! 11 Jahre Haft sind ein deutliches Signal gegen intransparenten Umgang mit fremdem Vermögen, Bargeldschiebereien oder Drittfirmen, die Kunden und Medien „bei Laune halten“ – bezahlt mit Erlösen aus Freispots. Ebenso vorbei ist es den Mund zu halten, solange dieser mit Barem gestopft wird. Auch das ist kriminell und wird verfolgt. Und das ist gut so! Nicht nur die Wiesbadener Ermittler sind im Jagdfieber nach allen, die die Hand aufgehalten haben. Wegen ähnlicher Delikte laufen bundesweit mehr als sechzig Strafverfahren, die Vertreter von Medien, Agenturen und Kunden betreffen. Ruzicka als Einzelfall? Wohl eher die schillernde Spitze des Eisberges.

Der Fehler hat System und liegt im System. Das zeigt sogar die Berichterstattung über das Ruzicka-Urteil. DPA schrieb von Mediaagenturen als Werbezeitenvermarkter. ARD-Fernsehen ordnete Mediaagenturen als Händler von Werbezeiten ein. Im ARD-Hörfunk waren es Vermittler von Werbezeiten. Der Spiegel schrieb von einer TV-Werbeagentur, die Werbezeiten vermittelt. F.A.Z, Handelsblatt und Manager Magazin schrieben: Aegis vermittelt Fernsehwerbezeiten. Die Süddeutsche meinte Aegis als Werbezeitenvermarkter erkannt zu haben, schrieb jedoch schon im nächsten Absatz von Vermittlungsgeschäften im Aufrag der Kunden. In Hessen Händler mit eigenen Werbezeiten. In Bayern Treuhänder im Auftrag der Kunden. Gegenüber Kunden geben sich Mediaagenturen als devote Dienstleister. Bei den Medien treten sie als fordernde Händler auf. Beides wird jeweils in Verträgen fixiert. Gleichzeitig. Was gilt nun?

Schaut man in ratlose Gesichter und hört schmallippige Statements überforderter Marktteilnehmer: die Akteure wissen selbst nicht was sie wollen. Das jahrelange Leugnen von Agenturrabatten und diskrete Aufteilen der „Beute“ mit „kreativen und originellen“ Partizipationsmodellen entpuppt sich als Katastrophe. Staatsanwälte und Kunden blasen zur Jagd: die einen um Bestechung, Betrug und Untreue zu verfolgen. Die anderen um alle Rabatte für sich zu bekommen und ihre Agentur faktisch einkommensfrei an der kurzen Leine zu halten. Solange Kunden ganze Agenturlager in basar-ähnlichen Pitches gegeneinander ausspielen, und ihren Agenturen sagen, seht selbst zu woher ihr euer Geld bekommt, muss sich niemand über irrwitzige 70 Prozent Rabatt oder einen Fall Ruzicka wundern!

Vor allem dann nicht wenn sich die „Bespaßung“ als knallhart berechnend entpuppt, und das Fordern von Transparenz endet, solange über dubiose Drittfirmen Erlöse aus Naturalrabatten das eigene Honorar wieder ausgleichen – das man auch nur vielleicht irgendwann zahlt. Ist Transparenz lästig, solange Werbekunden selbst vom „Perpetuum Mobile Media“ profitieren, die Hand aufhalten und sich bei Jagd, Golf und Safari „bespaßen“ lassen? Auch diese Party ist vorbei!

Das Jahr 2002 unterscheidet sich kaum von der Werbekrise im Jahr 2009. Auch damals wurde bei zurückgehenden Werbebudgets nach neuen Erlösquellen gesucht. Das System Ruzicka begann. Die aktuelle Rabattschlacht und der noch größere Druck auf die Honorare drängt die Frage auf: was beginnt im Jahr 2009? Das Aussitzen von Problemen ist beendet. Dieses Urteil zwingt alle Akteure zum handeln. Denn jahrelanges Aussitzen hat seit dem Ruzicka Urteil eine neue Bedeutung.