Chancen und Risiken von Preiserhöhungen im Zuge der (physischen) Euro-Einführung

Im Januar 2002 ist es soweit. Nach der Euro-Einführung im bargeldlosen Zahlungsverkehr werden in fast allen EU-Ländern die ersten Euro-Noten und -Münzen den Besitzer wechseln. Viele Konsumenten werden infolgedessen vor allem in den ersten Monaten nach der physischen Euro-Einführung in ihrer Preisbeurteilung sehr unsicher sein und diese daher grundsätzlich neu ausrichten müssen.

Genau darin aber liegt für viele Unternehmen eine historisch einmalige und aller Voraussicht nach letztmalige Chance für Preiserhöhungen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß pauschal die Preise angehoben werden können, ohne die Preisakzeptanz der Konsumenten zu beeinträchtigen. Ein Preisanstieg kann durchaus auch zum Rohrkrepierer werden, wenn die Preiserhöhung für die Konsumenten (zu) deutlich spürbar ist und von ihnen als nicht gerechtfertigt angesehen wird, beispielsweise weil die Konkurrenz auf Preiserhöhungen verzichtet hat. Es ist daher für jedes Unternehmen ratsam, die mit der Unsicherheit der Konsumenten verbundenen potentiellen Preiserhöhungsspielräume vorab sorgfältig auszuloten, bevor konkrete Preisaktivitäten durchgeführt werden.

Preise später anheben
Generell liegt das optimale Zeitfenster für potenzielle Preiserhöhungen nicht vor, sondern ein Jahr nach der Euro-Umstellung. In diesem Zeitraum ist die Unsicherheit der Konsumenten am größten, zumal doppelte Preisauszeichnungen in DM und Euro weitgehend entfallen sind. Im Einzelfall kann die Gewöhnung allerdings auch wesentlich schneller eintreten, wie bei schnell drehenden Konsumgütern wie Benzin oder Lebensmitteln. Sie kann aber auch erheblich länger dauern, beispielsweise bei Gebrauchsgütern wie einem Kühlschrank oder einem Kochtopf, deren Kaufzyklen erheblich länger sind.

Kunden besonders sensitiv
Bei der Analyse potentieller Preiserhöhungsspielräume sollten die Unternehmen realistischerweise von einer generell erhöhten Preissensitivität bei ihren Kunden ausgehen. In vielen Fällen werden Nachfrager durch die Medien, word-of-mouth, etc. im Hinblick auf die generelle Preiserhöhungsabsicht von Unternehmen bereits informiert und entsprechend sensibilisiert sein. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu untersuchen, ob für das einzelne Unternehmen im Zuge der physischen Euro-Einführung überhaupt ein Preiserhöhungsspielraum vorliegt.

Dimensionen Produktartinvolvement und Markenloyalität
Bei der Analyse dieser Fragestellung ist das Produktartinvolvement und die Markenloyalität der Kunden genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Stärke des Produktartinvolvements determiniert die Preiswahrnehmung. Sie ist dafür ausschlaggebend, ob Preiserhöhungen überhaupt wahrgenommen werden. Je stärker sich die Kunden gedanklich mit der jeweiligen Produktart auseinandersetzen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Preiserhöhungen einzelner Produkte spürbar werden et vice versa. Die Markenloyalität ist hingegen eine entscheidende Triebfeder der Preistoleranz. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Kunden mit hoher Markenloyalität eine höhere Preistoleranz aufweisen als Kunden mit geringer Markenloyalität. Entsprechend werden Preiserhöhungen von Kunden mit hoher Markenloyalität tendenziell eher akzeptiert.
Aus diesen Überlegungen heraus ist es erforderlich, die Kundensituation anhand des Produktartinvolvements sowie der Markenloyalität zu analysieren, um daraus gezielt Rückschlüsse auf vorliegende Preiserhöhungsspielräume zu ziehen. Grundsätzlich lassen sich vier Konstellationen der Kundensituation unterschieden (vgl. Abbildung 1):

Schaubild 1: Chancen und Risiken von Preiserhöhungen im Zuge der (physischen) Euro-Einführung

Bei niedrigem Produktartinvolvement ist das Risiko gering, daß Preiserhöhungen von den Kunden überhaupt wahrgenommen werden. Liegt gleichzeitig eine hohe Markenloyalität vor, so werden Preiserhöhungen mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Kunden akzeptiert (vgl. Schaubild 1: Feld 2). Denn selbst wenn die Preiserhöhung von Kunden wahrgenommen wird, verhindert die hohe Markenloyalität bei den meisten Kunden die Ablehnung des erhöhten Preises. Bei niedrigem Produktartinvolvement und hoher Markenloyalität, wie dies bei vielen Marken der Konsumgüterindustrie zu beobachten ist, z.B. bei Nivea, Miracoli usw., sind die Chancen zur Preiserhöhung demnach besonders groß.


Am gefährlichsten: niedriges Produktartinvolvement bei geringer Markenloyalität

Ist hingegen bei niedrigem Produktartinvolvement gleichzeitig eine geringe Markenloyalität zu beobachten, wie dies typischerweise bei Neukunden von Konsumgütermarken der Fall ist, sind mit einer Preiserhöhung Chancen und Risiken verbunden (vgl. Schaubild 1: Feld 1). Das Risiko, im Zuge von Preiserhöhungen Kunden zu verlieren, ist am größten, wenn bei niedriger Markenloyalität gleichzeitig ein hohes Produktartinvolvement vorliegt (vgl. Schaubild 1: Feld 3). Einer derartigen Kundenkonstellation sehen sich beispielsweise viele Veranstalter von Pauschalreisen, wie TUI, FTI, Neckermann, etc., gegenüber. Die Kunden sind hoch involviert, da es um die eigenen Ferien geht. Gleichzeitig ist es für sie jedoch von untergeordneter Bedeutung, bei welchem Reiseveranstalter gebucht wird. In diesem Fall werden die Kunden Preiserhöhungen mit hoher Wahrscheinlichkeit wahrnehmen und infolge ihrer geringen Markenloyalität sofort die Marke, in diesem Fall den Reiseveranstalter wechseln.

Die Analyse des preisbezogenen Kundenverhaltens anhand von Produktartinvolvement und Markenloyalität muß unter Berücksichtigung der erwarteten Preisreaktionen der Konkurrenz erfolgen. Für das einzelne Unternehmen geht es also in erster Linie darum, die Chancen und Risiken relativer Preiserhöhungen auszuloten. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Konkurrenz auf eigene Preiserhöhungen entweder nicht reagiert, die Preise senkt oder in geringerem Maße als das betreffende Unternehmen erhöht.

Kommunikation fallweise einsetzen
Sollte sich ein Unternehmen nach Analyse des Kundenverhaltens dazu entschließen, im Zuge der physischen Euro-Einführung Preisveränderungen vorzunehmen, ist dem Einsatz der Unternehmenskommunikation besonderer Stellenwert einzuräumen. Es sollte aber unbedingt auf die Kommunikation der relativen Preiserhöhung verzichtet werden, wenn insbesondere bei niedrigem Produktartinvolvement die Möglichkeit besteht, daß ein höherer Preis überhaupt nicht wahrgenommen wird. Vielen Nachfragern wird es bei einigen Produktarten schlicht zu aufwendig sein, die DM-Beträge in Euro umzurechnen. Im Rahmen der Preiskommunikation wird es daher vor allem darum gehen, den neuen (erhöhten) Preis in Euro aktiv zu kommunizieren und im Gedächtnis der Kunden zu verankern. Damit kann die Neuausrichtung der Preiserwartung direkt beeinflußt werden. Es kommt zu einer Erhöhung von Preiserwartungen, wodurch Nachfrager quasi automatisch preistoleranter werden und Preiserhöhungen akzeptieren.

Preiserhöhungen werden wahrgenommen

Neben der Preiskommunikation ist bei relativen Preiserhöhungen in erster Linie die Value-Kommunikation verstärkt zu beachten. Denn vor allem bei hohem Produktartinvolvement ist davon auszugehen, daß relative Preiserhöhungen trotz Euro-Umstellung in jedem Fall wahrgenommen werden. Dieser erhöhte Preis muß daher im Rahmen der Value-Kommunikation gerechtfertigt werden. Ansonsten wird der neue Preis insbesondere von wenig loyalen bzw. wechselbereiten Kunden in keinem Fall akzeptiert. Bei relativen Preiserhöhungen gilt es also, Produkt- und/oder Servicevorteile gegenüber der Konkurrenz konsequent in den Mittelpunkt sämtlicher Kommunikationsaktivitäten zu stellen. Dies gilt vor allem für Vorteile bezüglich jener Produkt- und/oder Servicemerkmale, die von den Kunden als besonders wichtig wahrgenommen werden.

Fazit
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Unternehmen mit der physischen Euro-Umstellung keinesfalls ein Freibrief für Preiserhöhungen ausgestellt wird. Es gilt vielmehr, die Chancen und Risiken potentieller Preiserhöhungen sorgfältig auszuloten, indem das Kundenverhalten insbesondere anhand der Kriterien Produktartinvolvement und Markenloyalität untersucht wird. Hierbei sind die erwarteten Preisreaktionen der Konkurrenz in jedem Fall einzubeziehen, um vor allem die Preistoleranz der Kunden beurteilen zu können. Auf Basis dieser Ergebnisse läßt sich weitgehend realitätsgetreu einschätzen, ob relative Preiserhöhungen erfolgsversprechend sind oder nicht. Hat man sich für relative Preiserhöhungen entschieden, kann das Erfolgspotential jedoch nur dann vollständig ausgeschöpft werden, wenn mit der Preis- und Value-Kommunikation die entsprechenden flankierenden Maßnahmen ergriffen werden.

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Autor: Von Dr. Volker Janßen, Senior Consultant Simon-Kucher & Partners
eingestellt am 27. August 2001