Bundeskartellamt stellt Vertriebspläne von RTL und Pro Sieben Sat.1 infrage

Das Bundeskartellamt durchkreuzt erneut Vertriebspläne der Mediengruppe RTL Deutschland und der Pro Sieben Sat.1 Media AG. Beide Sendergruppen wollen unabhängiger vom Werbemarkt agieren und ihre Erlösmodelle umstellen. Dazu soll auch eine Verschlüsselung der Free-TV-Programme gehören, die künftig über Kabel und Satellit nur noch gegen ein zusätzliches Entgelt angeboten werden sollen. Bei der Umsetzung dessen sollen sich beide TV-Konzerne abgesprochen haben. Auch die Einführung von Kopierschutz, Aufzeichnungs- und Anti-Werbeblockern für Free-TV-Programme stellt das Bundeskartellamt infrage.

von Michael Ziesmann

Pro Sieben Sat.1 Media AG-CEO Thomas Ebeling sagte dem Handelsblatt anlässlich der Münchner Medientage 2009: „Wir müssen vom Werbemarkt unabhängiger werden.“ Das Handelsblatt berichtete, dass der Konzern plane, für bisher frei empfangbare Sender wie Pro Sieben, Sat.1 oder Kabel 1 von den Zuschauern eine Nutzungsgebühr zu verlangen. Ebeling damals: „Für die Zukunftsfähigkeit des Konzerns ist es enorm wichtig, dass wir Beziehungen zu den Endkunden aufbauen, etwa über Pay-TV, Video-on-Demand oder andere Geschäftsmodelle.“ Ziel von Ebeling sei es, bis zum Jahr 2014 rund dreißig Prozent seiner Einnahmen außerhalb der Werbung zu erzielen. Auch Anke Schäferkordt, CEO der Mediengruppe RTL Deutschland, stellte in Aussicht, dass die unverschlüsselte Ausstrahlung ihrer Sender RTL, RTL2, Super RTL oder VOX im Jahr 2015 enden soll. Dies würde die Free-TV-Programme betreffen, die durch eine digitale verschlüsselte Ausstrahlung in High Defintion (HD) ersetzt werden.

Auch zu diesem Zweck wurde im November 2009 gemeinsam mit dem europäischen Marktführer für Satellitenfernsehen Astra die Plattform HD Plus in Betrieb genommen. Über diese Plattform vertreiben RTL und Pro Sieben Sat.1 gemeinsam die verschlüsselten HD-Versionen ihrer Free-TV-Programme. Ab November 2010 soll eine „Servicepauschale“ von 50 Euro pro Jahr erhoben werden. Bis dahin wird die HD Plus Smartcard kostenfrei abgegeben. Die Formulierung „programmbezogenes Entgelt“ vermeiden die Anbieter. Beide TV-Konzerne argumentieren dabei mit einem Mehrwert, den sie mit der Ausstrahlung ihrer Programmsignale in HD anbieten würden. Ein Abschalten des SD-Programmsignals (Standard-Auflösung) würde Zuschauer jedoch dazu zwingen, für diesen Mehrwert – aber denselben Programminhalt – eine monatliche Gebühr zu bezahlen.

Diese Pläne, Free-TV nur noch gegen Gebühr anzubieten, stellt das Bundeskartellamt infrage. Die Wettbewerbshüter gehen dem Verdacht nach, wonach sich die Mediengruppe RTL Deutschland und die Pro Sieben Sat.1 Media AG bei der Umsetzung dieser Pläne abgesprochen haben sollen. Wie ein Sprecher des Bundeskartellamtes bestätigt, wurden am Mittwoch auf Basis eines Beschlusses des Amtsgerichtes Bonn zeitgleiche Hausdurchsuchungen zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführt. Dies betrifft zunächst die Geschäftsräume der Mediengruppe RTL Deutschland in Köln als auch der Pro Sieben Sat.1 Media AG beziehungsweise der German Free-TV Group in Unterföhring.

Wie der Sprecher mitteilte, besteht der Verdacht, dass beide TV-Konzerne die eigenen Free-TV-Programme verschlüsseln und gemeinsam gegen ein zusätzliches Entgelt anbieten. Diese Kosten würden den Betreibern der Übertragungswege und in weiterer Folge den Zuschauern berechnet. Zudem bestehe der Verdacht, dass beide Konzerne gemeinsam technische Maßnahmen zur Beschränkung der Nutzung der Programmsignale ihrer Free-TV-Programme gesetzt haben. So zum Beispiel Kopierschutz, Aufzeichnungs- und Anti-Werbeblocker. Dies betreffe gerade nicht die Pay-TV-Programme der TV-Konzerne. Programme wie RTL Crime, RTL Living oder Sat.1 Comedy und Kabel 1 Classics, die heute beispielsweise über die Programmplattform Sky oder Kabelnetze vertrieben werden, seien nicht Gegenstand der Untersuchungen. Es gehe ausschließlich um die Übertragungswege, die die TV-Konzerne für die Verbreitung ihrer Free-TV-Programme nutzen.

Sowohl Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland als auch der Pro Sieben Sat.1 Media AG beziehungsweise der German Free-TV-Group bestätigten auf Anfrage von absatzwirtschaft-Online die Durchsuchungen. Zum Gegenstand des laufenden Verfahrens wollten sich die Sprecher nicht äußern. Bei den Unternehmen, die die Programmsignale der beiden Konzerne an die Zuschauer vertreiben, fand keine Beweissicherung statt. Dies bestätigten übereinstimmend die Betreiber der Satellitenplattform HD Plus ebenso wie die Kabelnetzbetreiber Unity Media und Kabel Deutschland.

Bereits im Jahr 2007 wurde ein ähnliches Projekt namens Entavio vom Satellitenbetreiber Astra gestartet. Auf dieser digitalen Vertriebsplattform für Satellitenfernsehen hatten sich RTL, Viacom und Pro Sieben Sat.1 gemeinsam über eine verschlüsselte Ausstrahlung ihrer Free-TV-Programme verständigt. Bereits damals ging das Bundeskartellamt dem Verdacht der gegenseitigen Absprachen unter den beteiligten TV-Konzernen nach. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens verließ die Pro Sieben Sat.1 Media AG das Projekt Entavio. Am 30.September 2009 wurde Entavio eingestellt. Die neue digitale Vertriebsplattform HD Plus wurde im Mai 2009 gegründet und nahm am 1.November 2009 ihren Betrieb auf. Das Bundeskartellamt überprüft nun, ob Zuschauer zu dieser „Servicepauschale“ gezwungen werden könnten, wenn die Ausstrahlung der Free-TV-Programme in analoger Standard-Defintion (SD) endet – und ob diese „Servicepauschale“ ein verstecktes Programmentgelt ist, von dem RTL und Pro Sieben Sat.1 unerlaubt profitieren. Gleiches gilt für den Einsatz eines eigenen HD Plus Receivers, der die Nutzung der Free-TV-Programmsignale einschränkt, so zum Beispiel mit Kopier- und Aufzeichnungsschutz oder Anti-Werbeblockern. Denn heute ist es nicht möglich, über diese Plattform HD-Programminhalte der Free-TV-Sender auf der internen Festplatte des HD Plus Receivers noch auf externen Medien wie DVD oder Blu-Ray-Disc zu speichern. mz

www.hd-plus.de,
www.handelsblatt.com