Abrechnung, Anklage und Aufforderung

Warum die Werbeindustrie mit Schuld an der Klimakrise ist und wie sie Teil der Lösung werden kann.
Die entscheidende Frage für Werbeagenturen und ihre Angestellten muss sein: Verkaufe ich mein Talent an die richtigen Leute? (© Linus Dolder (Montage: Olaf Heß))

Windmühlen, grüne Felder, Solarzellen. Diese Bilder begegnen einem beim Besuch der RWE-Website. Die „neue RWE“, als die sich der Essener Energiekonzern in einer breit angelegten Kampagne inszeniert, gibt einen radikalen Strategieschwenk vor. Ein Bild, das in der Realität schnell zerbricht, wenn man auf aktuelle Entscheidungen des Konzerns schaut. 

RWE ist der größte CO2-Emittent Europas, 2020 stammten lediglich 21 Prozent seines Strommixes aus erneuerbaren Quellen. Über Jahrzehnte hat der fossile Riese die Energiewende in Deutschland blockiert und den Kohleausstieg verschleppt. In diesen Wochen musste Eckert Heukamp, der letzte Bauer in Lützerath, der sich jahrelang gegen RWE zu Wehr gesetzt hatte, sein Grundstück an den Konzern verkaufen. Das Dorf soll den Baggern weichen und ins Loch das Tagebaus Garzweiler verschwinden. Die Kohle unter Lützerath ist energiewirtschaftlich nicht notwendig und klimapolitisch gefährlich, denn ihr Verbrennen allein würde Deutschlands Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze unmöglich machen.

Eine Plakatkampagne mit rauchenden Kraftwerksschloten, abgerissenen Dorfkirchen am Rande von Braunkohlegruben und Hinterzimmer-Gesprächen, um die Energiewende zu blockieren, würde sich vermutlich schlechter verkaufen – aber sie wäre zumindest ehrlich. 

Kreativität ist nicht neutral

Die primären Emissionen von Werbeagenturen sind relativ gering und das recycelte Papier und Holzbesteck im Büro geben wahrscheinlich das Gefühl, einen kleinen Teil zur Lösung der Klimakrise beizutragen. Es ist aber nicht so einfach. Wenn man die Emissionen von Unternehmen messen will, teilt man diese in drei Bereiche oder „Scopes“ ein. Scope 1 sind die direkten Emissionen, Scope 2 die indirekten Emissionen und Scope 3 die indirekten Emissionen, die im Laufe der gesamten Lieferkette freigesetzte werden (bei Autokonzernen sind das die Emissionen, die erst beim Fahren entstehen). 

Bei Scope 3 wird es interessant und unangenehm für die Werbeindustrie. Denn während ihre direkten Treibhausgasemissionen relativ gering sind, sind ihre „Einfluss-Emissionen“ gigantisch. Und deswegen hier in aller Deutlichkeit: Kreativität ist nicht neutral. Fossile Konzerne bauen zwar die Infrastruktur und verbrennen die Kohle, das Öl und das Gas, dass unsere Lebensgrundlagen zerstört – aber Werbeagenturen stellen die Narrative und Bilder bereit, die dies ermöglichen und vorantreiben. Transformativer systemischer Wandel wird durch Kampagnen wie die für RWE verzögert und blockiert – warum etwas ändern, wenn der Status quo in der Werbung schon nach grüner Zukunft aussieht? Zerstörerische Geschäfte werden durch raffinierte Erzählungen zu guten Taten gesponnen. Das Problem dabei ist, dass sich Physik nicht spinnen lässt. 

Imagekampagnen untergraben wissenschaftlichen Konsens

Große Ölkonzerne wissen seit Jahrzehnten nicht nur sehr gut über die Klimakrise Bescheid, sondern haben an ihrer Erforschung selber partizipiert. Der leitende Forscher von Exxon, James Black, teilte dem Managementkomitee des Ölkonzerns 1977 mit, dass „allgemeiner wissenschaftlicher Konsens darüber besteht, dass die wahrscheinlichste Art und Weise, wie die Menschheit das globale Klima beeinflusst, die Freisetzung von Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe ist.“ Das war elf Jahre bevor die globale Klimaerwärmung Thema des öffentlichen Diskurses wurde. Seitdem hat Exxon 30 Millionen Dollar an Thinktanks gesteckt, die Klimawandelleugnung fördern und Hunderte Millionen Dollar für aufwendige Imagekampagnen ausgegeben, die den wissenschaftlichen Konsens über die Klimakrise untergraben.

Alleine die fünf größten Ölkonzerne der Welt haben über die letzten 30 Jahre mehr als 3,6 Milliarden Dollar für rufsteigernde Werbung ausgegeben. Schaut man diese Ausgaben an, schwanken sie allerdings stark über die Jahre. Ein Team der Brown University analysierte dies und stellte fest: Die Ausgaben steigen immer, wenn diese Firmen negative mediale Berichterstattung bekommen oder wenn sie Gesetzgebungsprozesse beeinflussen wollen. Am Beispiel von British Petroleum lässt sich dies gut erkennen: Nachdem der Konzern 2010 Hunderte Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko fließen ließ, verdreifachten sich seine Werbeausgaben im Vergleich zum Jahr vor der Katastrophe. 

Bis 2030 müssen die weltweiten Emissionen mehr als halbiert sein. Dies ist die entscheidende Dekade, die bleibt, um die schlimmsten Katastrophen zu verhindern. Von dieser Lösungsdekade sind schon zwei Jahre vergangen. Neben einer radikalen Energie-, Verkehrs- und Wärmewende braucht es in diesem Jahrzehnt gute Erzählungen, die Leute inspirieren und zum kollektiven Handeln und Organisieren auffordern. Wir brauchen Geschichten, die uns Orientierung geben in einer Welt von eskalierenden und multiplen Krisen.

Werbeindustrie kann öffentliche Meinung beeinflussen

In der Werbeindustrie findet sich eine einzigartige Ansammlung von kreativen Menschen, die die Klimabewegung gut auf ihrer Seite gebrauchen könnte. Die entscheidende Frage für Werbeagenturen und ihre Angestellten muss sein: Verkaufe ich mein Talent an die richten Leute? Der Weltklimaratsvorsitzende Hoesung Lee spricht in Bezug auf den neuesten IPCC-Bericht von einem Scheideweg. Wenn wir jetzt alle existierenden Technologien einsetzten und Emissionen reduzieren, haben wir eine gute Chance, damit unter 1,5 Grad Erderwärmung zu bleiben und die schlimmsten Klimaschäden zu vermeiden. Es wird aber knapp. 

Noch sind die Emissionen auf dem höchsten Stand in der gesamten Menschheitsgeschichte. Wir können uns keine weitere Verzögerung, keine Verantwortungsdiffusion und -verschiebung mehr leisten. Die Werbeindustrie hat die Macht, öffentliche Meinung zu beeinflussen und die Profite ihrer Klienten zu steuern. Jede Agentur muss überlegen, ob sie weiter der Zerstörung dienen will oder ob sie Teil der Lösung wird. Sie muss entscheiden, ob sie weiter die fossile Industrie bewerben oder harte Entscheidungen treffen will, um auf der richtigen Seite zu stehen.

Helena Marschall ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future. In ihrer Kolumne nimmt sie Unternehmen und Marken in die Pflicht, ihrer Verantwortung für das Klima und den Planeten nachzukommen.