Von wegen öko: Energieversorger brechen Versprechen 

Energieversorger täuschen ihre Kundschaft in großem Stil. Globale Konzerne versprechen in puncto Klimaschutz viel und halten wenig. Aber immerhin gibt es ermutigende Lektüre.
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Verbraucher*innen fragen sich, wie „grün” die Energie wirklich ist, die sie beziehen. (© Unsplash)

Es ist schon wieder passiert, und es wird zu einem weiteren Vertrauensverlust und größerer Skepsis gegenüber den Werbebotschaften von Unternehmen führen. Das ist aus vielerlei Gründen für die Marketingbranche keine gute Nachricht. Für unseren Planeten erst recht nicht: Das Recherchenetzwerk Correctiv hat mal wieder ein Glanzstück journalistischen Handwerks abgeliefert und belegt im Artikel Die Ökogas-Lüge, dass hunderttausende Erdgas-Bezieher*innen falschen Produktversprechen geglaubt haben. 

„Insgesamt kann Correctiv 116 deutschen Gasversorgern nachweisen, dass sie in den vergangenen 13 Jahren Gastarife und  -produkte angeboten haben, die weit weniger grün sind als versprochen“, heißt es darin. Die aufwendige Recherche zeigt, dass CO2-Zertifikate, mit denen die untersuchten Energieversorger die Emissionen fürs Erdgas kompensieren, oft wenig oder gar nichts taugen. 

In einer Übersicht führt Correctiv alle betroffenen Energieversorger samt den mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingesparten oder reduzierten CO2-Mengen auf. Darunter finden sich etliche Stadtwerke, aber auch eine Öko-Marke wie Lichtblick. Auf der Lichtblick-Website war am Dienstagabend noch zu lesen: „Wir übernehmen Verantwortung für jede Tonne CO2, die durch die Förderung, den Transport und die Verbrennung unseres Gasproduktes einhergeht. Dafür kaufen wir Klimaschutzzertifikate. So werden Projekte unterstützt, die entsprechend CO2e reduzieren oder binden.“ Letzteres stimmt wohl leider nicht. 

Entweder naiv und leichtgläubig oder gierig 

Der Ursprung des Übels liegt bei den Zertifizierern wie Gold Standard und Verra; Letzterer hat laut Correctiv 98 Prozent der fragwürdigen CO2-Gutschriften ausgegeben. Es ist ein weiterer Skandal in einer langen Reihe. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir in der absatzwirtschaft das Thema Greenwashing, Verra & Co. unter dem Titel Klima-Labels in der Kritik – Prädikat: unglaubwürdig schon einmal am Wickel gehabt.

Es ist erstaunlich, dass Unternehmen trotz der schon lange herrschenden Zweifel noch immer mit Klimaschutzzertifikaten arbeiten. Sind sie naiv und leichtgläubig? Oder gierig? Der Schaden bei den Konsument*innen wiegt jedenfalls schwer: Sie haben sich für ein vermeintlich nachhaltigeres Produkt entschieden und müssen nun erkennen, dass sie damit gegebenenfalls nicht nur ihrem Geldbeutel, sondern auch dem Klima geschadet haben. Es ist zum Haare raufen.

Keine „volle Integrität“ 

Dazu passt der aktuelle Corporate Climate Responsibility Monitor (CCRM), den das Berliner New Climate Institute gemeinsam mit Carbon Market Watch in Brüssel erhebt. Der CCRM analysiert die Klimastrategien von 51 globalen Unternehmen und bewertet die Integrität der Klimaversprechen. Auch dort geht es unter anderem um die Kompensation von Treibhausgas-Emissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten. „Ein Unternehmen, das seine Emissionen überwiegend über den Kauf solcher Zertifikate ausgleicht, aber die eigenen Emissionen nicht senkt, ist nicht wirklich nachhaltig“, stellt Studien-Mitautor Frederic Hans gegenüber der “Süddeutschen Zeitung” klar.  

Er sagt auch: „Die Ziele sind häufig ehrgeizig, aber es hapert an der Umsetzung.“ Keines der untersuchten Unternehmen erzielte die Bestnote „volle Integrität“. Weil die Unternehmen in puncto Klimaschutz zu langsam sind, fordern die Studienautor*innen in einer offiziellen Mitteilung zum Report formelle Rechenschaftspflichten statt freiwilliger Initiativen. Offenbar geht’s nicht ohne eine klare Regulatorik, auch wenn man das als Fan einer liberalen Marktwirtschaft nicht gern hören mag.  

Schluss mit der Endzeitstimmung 

Bevor ich nun gleich meinen Energieversorger wechsele, möchte ich Sie noch schnell auf zwei Bücher hinweisen, von denen ich mir eine tröstlich-positive Lektüre erhoffe: Die britische Datenwissenschaftlerin Hannah Ritchie, Senior Researcher im Programm für globale Entwicklung der Uni Oxford, hat sich für Optimismus entschieden und legt ein Buch mit dem schönen Titel Hoffnung für Verzweifelte. Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen vor. Darin geht es strikt wissenschaftlich und faktenorientiert darum, welche Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit schon erreicht sind und auf welche Klima-Herausforderungen wir uns konzentrieren sollten.  

Auch die Trendforscherin Oona Horx-Strathern präsentiert ein im Wortsinn nettes Zukunftskonzept: In ihrem Buch Kindness Economy – Das neue Wirtschaftswunder beschreibt sie, warum Freundlichkeit ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen ist und warum sich die Orientierung am Dreiklang „People, planet, profit“ letztlich mehr lohnt als die blanke Gewinnmaximierung. Eine Anregung, die sich dieser Tage auch die Marketingspezialisten in der Energiewirtschaft zu Gemüte führen sollten.  

Daher wünsche ich Ihnen sehr freundlich: 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!   

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“