Social-Media-Phänomen Hitschies: Die Realität ist nicht ganz so süß 

Über Social Media sind die Süßigkeiten der Marke Hitschies zum viralen Phänomen geworden. Doch der Blick hinter die Zuckerfassade zeigt: Wenn es kritisch wird, schmeckt das dem Influencer-CEO gar nicht. 
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Philip Hitschler-Becker ist auf Social Media eine Marke geworden. (© TikTok)

Die gute Laune springt einem förmlich ins Gesicht, wenn man Philip Hitschler-Beckers Accounts bei Instagram und TikTok anschaut. Hitschler-Becker ist aufgedreht, man könnte auch behaupten: überdreht. Damit passt er als Persönlichkeit ganz wunderbar zu Instagram und TikTok, wo Lautstärke ganz oft gewinnt. Mal shoppt er sich durch US-amerikanische Süßwarenabteilungen, mal springt er ins büroeigene Bällebad, um dort das neueste Hitschies-Produkt auszugraben. Hitschler-Becker nennt sich selbst in seinem LinkedIn-Profil „Feel Good Manager“ – neben seinem offiziellen Titel als CEO des Süßwarenherstellers Hitschler. 

Hitschies: Social-Media-taugliche Markentransformation 

„Bisschen lauter, bisschen frecher, bisschen anders. Auffallen.“ Das sagt Hitschler-Becker über das Motto für die Produkte seines Unternehmens. Er selbst folgt diesem Motto ebenfalls. Und hat anscheinend Erfolg damit. Als Hitschler-Becker 2017 das Familienunternehmen übernahm, wurde es von Fremdmanagern geführt. Er wurde damals gerade 30 Jahre alt und hatte ein Unternehmen mit großen Problemen vor sich. 2017 und 2018 schrieb es rote Zahlen. Mittlerweile sind die Produkte nicht mehr unter dem Namen Hitschler zu finden, sondern unter der Marke Hitschies – wohl auch, weil man besonders für internationale Märkte die phonetische Nähe zu Hitler umgehen wollte. 

Der Name Hitschler ist auf Social Media dennoch präsent: Hitschler-Becker ist zur eigenen Marke geworden, hat mehr als 60.000 Follower*innen bei Instagram. Die Hitschies-Accounts sind noch größer: Über 100.000 Menschen folgen der Marke bei Instagram, fast 150.000 bei TikTok. Viralität erzeugt das Unternehmen aber auch stark über firmenfremde Accounts. Ein viraler Trend bestand beispielsweise darin, saure Drachenzungen einzufrieren. Hitschler reagierte darauf, indem es ein zusätzliches Drachenzungen-Wassereis auf den Markt brachte. Im eigenen Shop wirbt man sogar mit dem Produkt als TikTok-Trend. Der Markenclaim „Nasch dein Ding“ wird umgetextet zum doppeldeutigen „Lutsch dein Ding“. Auch das Social-Media-tauglich: In einem Clip ist Hitschler-Becker zu sehen, wie er kichernd an einer Supermarktkasse sitzt, um dort den Slogan via Mikrofon durch den Laden zu rufen. 

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150.000 Menschen folgen Hitschler-Becker bei TikTok. (© TikTok)

Kumpeligkeit gehört zum Markenkern von Hitschies: Hitschler-Becker präsentiert sich als Hoodie-Träger, im Unternehmen wird sich geduzt. Follower*innen und Website-Besucher*innen werden allesamt als „Friends“ bezeichnet. Doch wenn die Nachfragen etwas kritischer werden, scheint es mit der Lockerheit von Hitschler-Becker nicht ganz so weit her zu sein. 

More Nutrition: Keine Antworten auf kritische Fragen 

Für diesen Text wollten wir eigentlich mit Hitschler-Becker reden. Über eine Sprecherin hieß es, er sei gerne bereit, und man bot mehrere Termine an. Doch nachdem das Unternehmen einen groben Fragenkatalog bekommen hatte, der auch kritischen Fragen enthielt, kam plötzlich die Kehrtwende: „Philip steht nicht zum Gespräch zur Verfügung und wird auch keine Fragen beantworten“, so die knappe Mitteilung. Woher der Sinneswandel kam? Unklar. 

Insbesondere zum Thema More Nutrition möchten sich Hitschler-Becker und sein Unternehmen anscheinend nicht äußern. Im August hatte das Unternehmen ein gemeinsames Produkt mit der Marke gelauncht, die unter anderem von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ kritisiert wurde für ihr Marketing mit fragwürdigen Gesundheitsversprechungen. Noch zum Launch war Hitschler-Becker voller Enthusiasmus, bezeichnete beide Marken als coole, gehypte Brands und erklärte stolz, dass zum Verkaufsstart 65.000 Fans gewartet hätten und nach neun Minuten bereits 75 Prozent der Ware ausverkauft gewesen seien. Wobei Verknappung ohnehin zum Marketingprinzip von More Nutrition gehört. Damals teaste Hitschler-Becker eine weitere Zusammenarbeit an: „Es könnte vielleicht noch etwas kommen mit Folgen von More x Hitschies“, erklärte er in einem Video. Darum ist es nun still geworden. Eine öffentliche Distanzierung von More Nutrition ist aber auch nicht zu vernehmen. 

Der ehemalige „Stern“-Journalist Tibor Martini hat seinerseits zum Thema More Nutrition via Social Media bei Hitschler-Becker nachgefragt. Martini sagt, dass sein Kommentar dazu gelöscht worden sei. Auch bei YouTube meldet sich unter einem Video zum Thema „More x Hitschies“ ein Account und schreibt von gelöschten Kommentaren. Auch hier entsteht der Eindruck, dass Kritik unerwünscht ist. Ob wirklich Kommentare gelöscht wurden und warum das passiert sein könnte, dazu gibt es von Hitschler ebenfalls keine Stellungnahme. Generell stellt sich Hitschler-Becker Kritik eher nicht: Während er häufig auf Kommentare reagiert, bleiben kritische Kommentare fast immer unbeantwortet. 

Ein weiteres Beispiel der selektiven Kommunikationsstrategie: Hitschler hat versprochen, dass bis 2023 alle Produkte vegetarisch sein sollen. Zum Ende des Jahres finden sich aber immer noch Produkte im Onlineshop, die Rinder-Gelatine enthalten. Was aus dem Versprechen geworden ist, dazu wird Hitschler dann leise. 

Vermarktung fast nur über Social Media 

Das Produkt Hitschies vermarktet sich fast ausschließlich via Social Media. Selten setzt die Firma Hitschler auf Out-of-Home, macht auch keine TV-Werbung. Wer sich bei Social Media alles zu Hitschler und Hitschies anschaut, der bekommt den Eindruck, dass bei dem Unternehmen alles bestens läuft. Auch die Berichterstattung in den Medien ist sehr positiv, teilweise fast jubelnd. Die Erfolgsgeschichte des Familienunternehmers, der das Unternehmen zurück in Familienhände und auf den richtigen Weg führt, erzählt sich gut. Wie sich die Zahlen tatsächlich entwickelt haben, ist nicht klar. Hitschler-Becker gibt an, dass das Unternehmen stabilisiert sei. Aktuelle Geschäftsberichte liegen im Unternehmensregister nicht vor. 

Zumindest für manche Mitarbeitende ist die Erfolgsgeschichte womöglich gar nicht so erfolgreich. In einem Podcast von 2021 sprach Hitschler-Becker von knapp 200 Mitarbeitenden, zwei Jahre später noch von etwa 150. Ob tatsächlich fast ein Viertel der Belegschaft gegangen ist und in welchen Bereichen Hitschler gegebenenfalls Stellen abgebaut hat, kommentiert das Unternehmen nicht.  

Philip Hitschler-Becker bemerkt in unterschiedlichen Kontexten, wie wichtig ihm gute Kommunikation und Transparenz seien. Allein: Von dieser Transparenz bleibt offenbar wenig übrig, wenn die Themen etwas kritischer werden. Die Realität also, sie ist wohl nicht ganz so süß, wie Hitschler-Becker via Social Media vorgibt. 

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.