Gemischtes Doppel: Alexander Schlaubitz und Clemens Strauss 

Wer hoch hinaus will, muss Risiken eingehen – auch wenn es mal keine Popularität bringt. Alexander Schlaubitz und Clemens Strauss über den Wert von Marketing in einer Welt im Ausnahmezustand.
Marketing Lufthansa
Einst Mentée und Mentor, haben Clemens Strauss (links) und Alexander Schlaubitz heute beide eine Führungsposition inne. Während Schlaubitz das Deutschlandgeschäft der NAX Group verantwortet, ist Strauss inzwischen Geschäftsführer von Oscar Bravo. (© Lara Freiburger)

Mitten in München, genauer gesagt im Central Tower an der Donnersbergerbrücke, kann man einen Airbus A320 steuern. Dafür braucht es keinen Pilotenschein, auch wenn im Flugsimulator von Getonboard hauptsächlich Profis im Cockpit Platz nehmen. 

Clemens Strauss, Geschäftsführer der Lufthansa-Digitaltochter Oscar Bravo, trifft hier auf seinen ehemaligen Mentor Alexander Schlaubitz, damals CMO der Lufthansa und heute Geschäftsführer der NAX Group in Deutschland. Die beiden haben sich während Corona zwar ab und an ausgetauscht, persönlich haben sie sich aber seit ein paar Jahren nicht getroffen. Wenige Tage bevor das Lufthansa FlyingLab wiederbelebt wird, eine hochkarätig besetzte Konferenz über dem Atlantik, gibt es – nach dieser langen Zeit nicht überraschend – ein herzliches Wiedersehen. 

Herr Schlaubitz, haben Sie als ehemaliger Mentor beobachtet, was Clemens Strauss die letzten eineinhalb Jahre bei Oscar Bravo, der Digitalmarketing-Unit der Lufthansa Group, geleistet hat? 

Alexander Schlaubitz: Ja, aus der mittleren Distanz. In einem komplexen Konzern, wie es die Lufthansa ist, prallen zum Teil sehr unterschiedliche Welten aufeinander. Mit Konsequenz den eigenen Weg durch alle Gremien hindurch weiterzuverfolgen, ist schon eine starke Leistung. 

Herr Strauss, hat Ihnen die existenzielle Krise, in der das Traditionsunternehmen während Corona zu verschwinden drohte, bei Ihren Marketingvorhaben geholfen? 

Clemens Strauss: Wir haben sicherlich von der Krise profitiert.  

AS: Klar, aber die Möglichkeiten, die sich einem bieten, muss man auch nutzen. Es ist kein Selbstläufer. 

Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung? 

AS: Die Lufthansa hat nun mal eine sehr heterogene Mitarbeiterstruktur und viele sind eine hierarchische Managementauffassung gewohnt. Schon ich war ein Gegenentwurf dazu. Es war nicht so, dass alle es toll gefunden hätten, Verantwortung abzugeben und Mitarbeitende als self-driven und self-ambitious zu begreifen. Viele fanden diesen Führungsstil auch verwirrend. Clemens war zu diesem Zeitpunkt noch sehr juniorig, hat aber trotzdem schon sehr klare Fragen gestellt. Das hat mir gefallen. 

CS: Als ich meine erste Teamleitung übernehmen durfte, war ich 28 Jahre alt, was für die Lufthansa eine absolute Ausnahme ist. Ich wurde in Meetings mit lauter Senior Vice Presidents akzeptiert, weil Alex mich da reingeschickt hat. Ja, ich musste lernen, welche Punkte man machen und wann man auch mal ruhiger sein muss. Aber all das hätte ich nicht lernen können ohne das Vertrauen von Alex und Benita (Anmerk. d. Red.: Benita Struve, bis Juni 2021 Leiterin der Marketingkommunikation). 

AS: Man ist als Manager weder fertig geformt noch statisch. Ich musste ja auch noch ganz viel lernen. Auseinandersetzungen haben mir schon immer geholfen, meine Position noch mal zu justieren, um sicherzustellen, dass ich dem gesamten Team gerecht werde.  

CS: By the way, die Lernkurve erlebe ich gerade genauso. Mein Team wächst, mein Ziel ist es, die besten Leute reinzubringen. Aber ganz klar, die challengen mich auch und daran wachse ich. 

AS: Ich wollte nie in die Situation kommen, mir meiner Sache sicher zu sein. Ich kann alle nur ermutigen, ihre Vorgesetzten zu challengen. Natürlich inhaltlich und strategisch, nicht einfach nur willkürlich. Mich hat das Hinterfragtwerden jedenfalls immer wahnsinnig bereichert.  

CS: Heute weiß ich, warum manche Entscheidung so und nicht anders getroffen wurde. Manchmal kommt das Puzzle eben erst ein paar Jahre später zusammen. Wenn es im Team einen ehrlichen, transparenten Austausch gibt, führt es dazu, dass du über deinen Vorgesetzten anders reflektierst. Ein guter Leader ist nicht über Popularität definiert, sondern über Vertrauen. 


2014 treffen die beiden erstmals aufeinander. Strauss macht zu dieser Zeit ein Praktikum im Bereich Corporate Publishing und Content Creation, Schlaubitz ist seit kurzem Chief Marketing Officer der Lufthansa. Im Meeting geht es um die Zukunft der Lufthansa-Magazine. Die Vision von Schlaubitz beeindruckt Strauss nachhaltig: „Er wollte ein Magazin für Vielflieger, das im Wettbewerb mit anderen Titeln am Kiosk bestehen könnte.“ 

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Clemens Strauss und Alexander Schlaubitz kennen sich schon seit fast 10 Jahren. (Foto © Lara Freiburger)

Braucht es mehr Intrapreneure in der Wirtschaft und ganz speziell im Marketing? 

AS: Gerade in großen Konzernen braucht man zwei ausgewogene Kräfte. Das eine sind die stabilisierenden Kräfte. Aber damit das Konzept der dualen Geschwindigkeitsorganisation greift, brauchst du immer auch ein paar, die das durchbrechen. Nach dem Riesenerfolg unserer WM-Kampagne durften wir im Marketing der Lufthansa mehr machen, als jemals zuvor möglich war. Mit dieser Narrenfreiheit mussten wir sehr offensiv umgehen. Aber wir mussten auch sicherstellen, dass wir die Organisation hinter uns nicht verlieren. Man kann in großen Konzernen nicht komplett gegen den Strom schwimmen. 

CS: Wenn wir zu weit vorpreschen, verlieren wir das Buy-in der Stakeholder. Du kannst dir keine Insel schaffen und andauernd versuchen, dein Ding allein durchzuziehen. Das funktioniert nicht. Trotzdem glaube ich, dass es viel mehr Entrepreneurship und Intrapreneurship in Unternehmen braucht.  

AS: Auf diesen Punkt möchte ich aufsetzen. Kreation ist kein Selbstzweck. Kreation ist die Möglichkeit, überproportional Aufmerksamkeit zu bekommen. Innovation funktioniert ähnlich. In etablierten Wachstumsfeldern gibt es oft rückläufige Tendenzen, wenn man sich den Umsatz und insbesondere den Gewinn anschaut. Weil sich die Lebenszyklen von Geschäftsmodellen radikal verkürzen, ist es zukünftig noch wichtiger, Neues zu entdecken und Strategien zu entwickeln. Kurz gesagt: Innovation ist unumgänglich. 


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„Ein guter Leader ist nicht über Popularität definiert, sondern über Vertrauen.“ (Foto © Lara Freiburger)

Clemens Strauss blickt trotz seines jungen Alters bereits auf eine Dekade in der Luftfahrtindustrie zurück. Im November 2021 wird der frühere Head of Content & Digital Marketing der Lufthansa zum Geschäftsführer von Oscar Bravo. Das Ziel der neu ausgerichteten Unit: eine Umgebung für digitale und kreative Intrapreneure schaffen, um die Lufthansa Group führend im digitalen Marketing zu machen und außergewöhnliche Kundenerlebnisse zu kreieren.  


AS: Entwicklungen in den Themen ESG und KI können dazu führen, dass Unternehmen nicht mehr nur in Abhängigkeitsverhältnissen zu etablierten Strukturen und Plänen existieren, sondern diese Strukturen selbst schaffen. Aber das muss man sich auch trauen. 

CS: Das sehe ich genauso. Marketer haben sehr oft blinde Flecken für andere Bereiche und suchen mal in der Kreation, mal in Marketing-Sprech einen Ausweg. Dabei ist dieser Kundenblick, den du als Marketer inhärent hast, total wertvoll. Aber eben nur, wenn du ihn mit dem Geschäftssinn verknüpfst. Und dafür braucht es Unternehmergeist. 

AS: Wenn wir mit dem CEO oder CFO im Unternehmen ein ernstzunehmendes Gespräch führen und darauf basierend die entsprechenden Ressourcen bekommen wollen, müssen wir es schaffen, Marketingmaßnahmen messbar und quantifizierbar zu machen. 


Alexander Schlaubitz ist seit Januar 2020 bei der NAX Group im Beirat, seit Mai 2022 ist er der Managing Director des Software- und Finanzspezialisten in Deutschland. In seiner Rolle verantwortet er die Weiterentwicklung des Partner-Portfolios und die Gründung neuer Ventures. Und: Er soll Talente für die Gruppe rekrutieren. 

Bekannt ist Schlaubitz als früherer CEO der Lemon Group und DDB sowie als CMO der Lufthansa, für die er den ersten Marken-Relaunch nach 29 Jahren initiiert und umgesetzt hat. 

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„Man ist als Manager weder fertig geformt noch statisch.“ (Foto © Lara Freiburger)

Die NAX Group ist ein sehr junges Konstrukt, das viel mit neuen Technologien experimentiert. Worauf müssen wir uns hier auch im Marketing einstellen? 

AS: Wir sind mithilfe von KI in der Lage, binnen 48 Stunden Ergebnisse herzustellen, für die Programmierer früher sechs Monate gebraucht haben. Die Tiefe an Insights und die Fähigkeit, Prototypen zu bauen, die wir dann testen und weiter optimieren können, sind unfassbar. Eins meiner Lieblingsbeispiele: Wir haben für einen potenziellen Kunden in den USA herausgearbeitet, dass es eine Riesen-Konvergenz gibt zwischen Leuten, die gerne in Casinos gehen, und K-Pop. Wenn ich mich sechs oder neun Monate zurückversetze, hätte ich gar nicht gewusst, wie ich die Frage formulieren sollte, um auf diese Kombination zu kommen. Heute agieren wir mit einer Vielzahl von Fragestellungen und Hypothesen gleichzeitig, sodass wir Antworten auf Fragen bekommen, die wir bisher gar nicht zu stellen wussten. 

Bei der Vielzahl an Antworten braucht man dann natürlich noch jemanden, der das Ganze für einen filtert. 

AS: Voll, es ist nicht so, dass alles nur auf Knopfdruck passiert. Du musst immer noch in der Lage sein, die entsprechenden Inputs zu liefern und die Outputs strategisch einzuordnen. Das Ganze findet in keinem Vakuum statt, sondern wird immer wieder mit den Beobachtungen abgeglichen. Die KI liefert nur Entscheidungsoptionen.  

CS: Wir nutzen KI bei den Airlines sehr anwendungsorientiert. Ein Beispiel ist die Flugroutenoptimierung. Du brauchst nicht überall echte Menschen. Aber wenn du sie dort einsetzt, wo sie ihre Stärken haben, kannst du die Servicequalität erhöhen. 


Um Innovation, Thought Leadership, Co-Creation und Community geht es auch beim Revival des Lufthansa FlyingLab, einer exklusiven Konferenz über den Wolken. Mitte September wird die Idee nach einer coronabedingten Pause neu aufgelegt. Ins Leben gerufen noch unter der Führung von Alexander Schlaubitz, darf Clemens Strauss nun den ersten Flug von München nach Los Angeles zur APEX begleiten, einer industriespezifischen Messe in Los Angeles. Zwölf Speaker zum Thema Virtual Reality sind an Bord. Der Flug ist ausgebucht – und soll nicht der letzte seiner Art bleiben. 


Sie haben sich beide als Innovationstreiber bei der Lufthansa hervorgetan, Stichwort: Lufthansa FlyingLab. Das geht jetzt in die nächste Runde. 

AS: Es gab immer zwei Gründe dafür. Wir wollten dafür sorgen, dass die Lufthansa als innovativ in den entsprechenden Zielgruppen wahrgenommen wird. Und wir wollten intern die Innovationslust befeuern. Das hat auch kulturell ganz gut funktioniert. Ich glaube, wir haben damit Initiativen getriggert, die sonst vielleicht nicht zustande gekommen wären. Und wir haben darüber das Ökosystem der Ideen erweitert, zu denen wir Zugang bekommen konnten. 

CS: Die Grundgedanken sind immer noch gleich. Die Idee ist, die Marke FlyingLab, die bei uns in der Digital Customer Experience Unit liegt, dem Lufthansa Group Digital Hangar, auf ein neues Level zu katapultieren. Hier kann eine echt starke Marke entstehen, welche die Lufthansa Group als Innovator und Plattform für Thought Leader positioniert und Leute zusammenbringt, die tolle Ideen und Gedanken haben zu Airline, Aviation, aber auch zu Mobilität. 

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie für die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.