Edeka, Rewe, Aldi und der Bio-Daumen: Was hinter der Nachhaltigkeits-Offensive der Lebensmittelhändler wirklich steckt

Vom Fashionlabel bis hin zum Drogeriemarkt werben heute alle mit Nachhaltigkeit. Bio muss es sein, auch für Lebensmittelhändler, die ihre Leistungen sogar eigens in Berichten präsentieren. Es geht schon lange nicht mehr nur um Plastiktüten und andere Lebensmittelverpackungen. Was steckt wirklich hinter der Strategie von Rewe, Lidl, Aldi & Co? Ernsthafte Umweltsorge oder reine PR? Und wie reagieren deren Kunden auf den Nachhaltigkeits-Rausch?

Aldi reduziert den Verpackungsmüll, Lidl und Edeka auch. Rewe bemüht sich um den Regenwald und bietet Baumwolltaschen an. Und Netto reduziert den Zucker- und Salzgehalt in den Eigenprodukten. Der Trend ist klar zu erkennen: Die großen Lebensmittelhändler in Deutschland zeigen internationales Engagement für Nachhaltigkeit und wollen am liebsten gleich die gesamte Wertschöpfungskette ändern oder anpassen. Bio ist nicht mehr nur etwas für Aussteiger und Hobby-Gärtner, Bio steht in den Regalen der High-Class-Supermärkte und beim Discounter. All das passiert unter dem Schlagwort „Nachhaltigkeit“.

Inflationär werde der Begriff heute gebraucht, sagt Klaus-Dieter Koch, Gründer der Managementberatung BrandTrust: „Nachhaltigkeit ist ein schwammiger Begriff. Er vereint viele Aspekte und Vorstellungen. Der Nachhaltigkeit als Ganzes kann und will kein Händler gerecht werden. Denn das würde alle Stakeholder einschließen, die gesamte Lieferkette und alle Aspekte, die den Kunden direkt oder indirekt schaden könnten.“ Nun hat Aldi vor kurzem den zweiten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, während Lidl dieses Jahr seinen allerersten vorlegte. Die Berichte sollen dem Verbraucher Einblicke in bisher Erreichtes geben, auf soziales und ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln aufmerksam machen.

Wir richten unsere Produkte und Dienstleistungen konsequent an den Wünschen und Erwartungen unserer Kunden aus. Deshalb weiten wir unser Angebot an nachhaltigeren Produkten kontinuierlich aus. Außerdem erfüllen wir ihre zunehmende Nachfrage nach Produkten für besondere Ernährungsbedürfnisse, etwa mit laktose- und glutenfreien sowie vegetarischen und veganen Artikeln. Zugleich verbessern wir unser Sortiment auch in der Breite, indem wir beispielsweise Inhaltsstoffe anpassen, Rohstoffe umstellen und uns für hohe Umwelt- und Sozialstandards in der Non-Food-Lieferkette einsetzen. (Aldi Nord)

Ist das nun reine PR oder steckt mehr hinter solchen Aktivitäten? Jaron Pazi ist Country Manager DACH von Treedom, der laut Eigenangaben weltweit einzigen Plattform, die es ermöglicht, einen Baum auf Distanz zu pflanzen. Seit der Gründung des Unternehmens 2010 in Florenz wurden mehr als 400.000 Bäume in Afrika, Lateinamerika, Asien und Italien gepflanzt. Pazi ist froh über die Aktivitäten des Lebensmittelhandels: „Oft geht die Öffentlichkeit davon aus, dass Unternehmen wie Aldi und Co Nachhaltigkeit als rein marketinggesteuerte Instrumente nutzen. Mit Sicherheit beschäftigen sich Großkonzerne nicht allein aus altruistischen Gründen mit dem Themengebiet und in der Tat ist es schwierig, ein Business-Modell a lá ‚Geiz ist geil‘ mit nachhaltigem Lebensstil in Verbindung zu bringen.“ Dennoch würden sich einige dieser Großkonzerne in die richtige Richtung bewegen, glaubt Pazi. „Aldi beispielsweise unternimmt immer tiefergehende Nachhaltigkeitsinitiativen, die mittlerweile weit entfernt von bloßem gesellschaftlichen Engagement liegen.“ Discounter haben in den vergangenen Jahren diverse Preise für ihre Leistungen erhalten: So ist Aldi für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2019 nominiert und erhielt den ersten Platz beim Fairtrade Award 2018. Lidl erhielt im Mai die Auszeichnung für nachhaltigen Zuchtfisch und Rewe hat eine ganze Liste mit Preisen vorzuweisen.

Schnelle Marktveränderung, um Umsatz zu optimieren?

Doch Auszeichnungen alleine führen nicht zum Erfolg. Aldi baut nicht nur im Bereich nachhaltig erzeugter Produkte das Sortiment um – der Discounter war laut GfK im Jahr 2017 Bio-Marktführer in Deutschland –, sondern setzt auch auf Mehrweg statt Einweg und auf die Stärkung des Tierwohls. Für die Supermarktketten ist der Biomarkt attraktiv und lukrativ. Nach Berechnungen der GfK kaufen besonders junge Familien Bioprodukte ein, und die sind nach Berechnungen im Durchschnitt um 64 Prozent teurer als konventionelle Produkte. Laut dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft wurden im Jahr 2017 mit Bio-Produkten über 10 Milliarden Euro umgesetzt. Die Deutschen gaben für Bio-Lebensmittel und -Getränke satte 5,9 Prozent mehr und insgesamt 10,04 Milliarden Euro aus. Insbesondere die Discounter, aber auch die Vollsortimenter des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) weiteten ihre Sortimente aus.

Marketingprofessor Karsten Kilian sieht die Marktveränderung kritisch: „Die meisten Deutschen sind nicht bereit, für nachhaltige Lebensmittel deutlich mehr zu bezahlen. Ein paar Cent vielleicht, aber ein deutlicher Preisunterschied wird von den meisten nicht akzeptiert. Die Verbraucher sind auf Nachfrage nachhaltig, beim faktischen Kauf sind sie es dann aber häufig nicht.“ Letztlich sei entscheidend, was im Einkaufswagen landet und das sei häufig nicht nachhaltig oder zumindest nur auf den ersten Blick, sagt der Marketing-Experte.

Skepsis bei eigens kreierten Siegeln

Die Siegelflut gibt es in fast allen Läden, denn jede Marke hat ein eigenes. Ab September gibt es bei Rewe auf Milch ein neues Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes. Dieses Label signalisiert, dass sich diese Bauern an das Verbot der Anbindehaltung, des Enthornens ohne lokale Betäubung und Schmerzmittelgabe sowie des Schlachtens trächtiger Kühe halten. Dazu klebt auf der Weidemilch zusätzlich das „Pro Weideland“-Siegel. Daran erkennt man, dass Kühe unter anderem mindestens 120 Tage im Jahr sechs Stunden pro Tag auf der Weide verbringen. Beide Label setzen somit auf ein höheres Tierwohl.

Im Dschungel der Siegel blickt aber leider mancher Konsument nicht mehr durch. So ergab der „Gütesiegel Monitor 2018″ unter 1223 Bundesbürgern des Marktforschungsinstituts Splendid Research, dass Verbraucher ihr Vertrauen eher staatlichen Siegeln oder ihren Kontrollstellen schenken. Spitzenreiter hinsichtlich Bekanntheit ist nach wie vor die Stiftung Warentest sowie das deutsche staatliche Bio-Siegel. Private Testinstitute und Hersteller-Unternehmen, die ihre Siegel selbst vergeben, betrachten die Deutschen hingegen mit großer Skepsis. „Es ist besonders absurd, wenn Unternehmen ihre eigenen Nachhaltigkeitssiegel einführen und damit auch gleich die Regeln selbst festlegen. Der Verbraucher sieht das Siegel, ohne genau zu wissen, was dafür erfüllt sein muss. Fallweise grenzt das an Verbrauchertäuschung“, erklärt Karsten Kilian. „Hier müsste dringend eine Vorschrift erlassen werden, dass nur von einer staatlichen Stelle nach festen Vorgaben geprüfte Siegel verwendet werden dürfen, ähnlich wie es schon seit der Health Claims-Verordnung auf EU-Ebene funktioniert.“

Nachhaltigkeit, ein Thema der Gegenwart und Zukunft

Aktuell reduzieren die großen Marken massiv ihre Plastikverpackungen. So wird Lidl in seinen rund 3.200 Filialen bis Ende 2019 Plastikartikel wie Trinkhalme, Einwegbecher und -gläser, Teller, Besteck und Wattestäbchen mit Plastikschaft komplett entfernen. Aldi testet, ob noch mehr Obst- und Gemüsesorten offen angeboten werden könnten. Ab dem zweiten Quartal dieses Jahres will der Discounter außerdem bei Bio-Tomaten Graspapier- und Zuckerrohrschalen als Verpackungsalternativen testen. Auch Edeka betonte auf dpa-Anfrage, die Reduzierung von Verpackungen sei ein Schwerpunktthema bei den Nachhaltigkeitsbemühungen des Unternehmens.

Für Jaron Pazi ist es ein Schritt in die richtige Richtung: „Eine ehrliche Wechselbeziehung zwischen Marketing und Nachhaltigkeit sowie eine glaubhafte Kommunikation können in eine Win-Win-Situation sowohl für Unternehmen, als auch für unsere Gesellschaft, resultieren. Wie in vielen Bereichen ist es jedoch von äußerster Wichtigkeit, dies mit beständiger Glaubwürdigkeit, echter Verantwortung und möglichst hoher Transparenz zu unternehmen.“ Marketingprofessor Kilian kritisiert die vorgegaukelte Nachhaltigkeit: „Weil man sich beim Lebensmitteleinkauf nachhaltig verhält, darf man mit dem SUV täglich ins Eigenheim in der Vorstadt fahren und mit dem Flieger nach Übersee reisen. Was an der einen Stelle gespart wird, wird an anderer Stelle freudig verkonsumiert. In Summe ist das alles, nur nicht nachhaltig. Aber es beruhigt das eigene Gewissen und man fühlt sich besser.“

Für die Lebensmittelhändler steigt der Druck, nicht nur durch die Politik, sondern auch durch Medien, Verbraucherschützer, Medizin und die Forschung. „Somit bietet es Differenzierungspotenzial und einen Nährboden für passende Botschaften. Am Anfang ist das sicher nur Marketingoberfläche, aber je länger und substanzieller der Druck anhält, desto tiefer wird der Nachhaltigkeitsgedanke die Wertschöpfungskette durchdringen“, meint Koch von BrandTrust. Egal ob es nun reine PR- oder Marketing-Maßnahmen sind. Es kommt darauf an, dass  Verbraucher und  Unternehmen etwas für eine nachhaltigere Wirtschaft tun.