Zeiterfassung in Agenturen spaltet die Gemüter

Ohne Zeiterfassung geht es nicht – das war die Perspektive einiger Kommentare zu einem absatzwirtschaft-Artikel über die Abschaffung der Zeiterfassung. Aber auch der Verzicht findet weitere Argumente, gerade im Hinblick auf KI.
Zeiterfassung Agenturen: Zeittafel
Nervig oder sinnvoll? Zeiterfassung ist ein heiß diskutiertes Thema. (© Unsplash)

Der Verzicht auf Zeiterfassung funktioniert für manche Agenturen – das zeigte ein absatzwirtschafts-Beitrag aus dem Februar. Die Frage, die sich stellt: Sollten alle Unternehmen und vor allem Agenturen auf Zeiterfassung verzichten? Das Echo in den sozialen Medien war vielfältig. Einige Stimmen machten sich für die Zeiterfassung stark. Andere hielten beispielsweise eine KPI-basierte Leistungserfassung für sinnvoller – wer Leistung erbracht hat, sollte im Zweifel mehr Freizeit haben. Auch, dass Zeiterfassung als Druckmittel genutzt werde, meinte eine Kommentatorin: „Egal, wie kompliziert ein Thema war, wie anspruchsvoll. Immer lautete das Urteil der Controller*innen: zu viel Zeit gebraucht. Das tötet jede Motivation und Kreativität.” 

Gemeldet hat sich auch Markus Hartmann, der seit Jahren Seminare zu Preismodellen für Agenturen anbietet und dabei für die Abschaffung der Zeiterfassung wirbt. Im Gespräch mit der absatzwirtschaft ist ihm vor allem wichtig, dass Wertschöpfung durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Menschen entsteht. Außerdem können Einzelpersonen nie genau vorhersagen, wie lange eine Tätigkeit tatsächlich dauert. Ein Beispiel aus seinen Seminaren: „Ich lasse die Teilnehmer schätzen, wie lange sie brauchen werden, ein winziges Lego-Modell mit rund 80 Teilen zu bauen. Anschließend müssen sie es tatsächlich zusammenbauen – immer ihre Zeitaufwandsschätzung vor Augen. Noch nie hat jemand diese Schätzung getroffen, sie liegen oft teils dramatisch weit weg davon.” 

Preis eines Projekts nicht am Zeitaufwand messen 

Viel elementarer ist aus Hartmanns Perspektive aber ein anderes Problem: Die Zeitschätzung führt seiner Meinung nach häufig zu einer Verzögerung der gesamten Arbeit: „Nehmen wir an, du bekommst einen Zeitaufwand von drei Stunden für eine Aufgabe zugeteilt, brauchst aber aufgrund deiner Erfahrung und deines Könnens nur eine Stunde dafür. Wann fängst du mit der Tätigkeit an? Vermutlich eine Stunde vor dem Abgabezeitpunkt.” Die Fertigstellung ist also um zwei Stunden nach hinten geschoben. 

Besser wäre es aus Hartmanns Sicht, wenn die Gesamtfertigstellung Bezugspunkt wird, also das große Ganze. Eine grundlegende Erkenntnis daraus: „Der Preis ergibt sich nicht mehr über die Summe der Zeitaufwände der einzelnen Personen, sondern darüber, welchen Wert der Kunde dem fertigen Ergebnis beimisst.” Die Preise sind laut Hartmann dann oft sogar deutlich höher als bei zeitorientierten Preismodellen. „Sie werden aber dennoch bereitwillig vom Kunden gezahlt”, sagt der Experte. 

Experte sieht Vertrauensproblem  

Dass es Zeiterfassung gibt, ist dabei nicht immer Wunsch der Geschäftsführung, wie ein Kommentar von ITV-CEO Stefanie Bindzus zeigt: „Bei uns wurde Zeiterfassung von den Mitarbeitenden gewünscht, um auch die Möglichkeit zu haben, selbstständig die Zeit einteilen zu können, ohne dass es unfair wird.” Es gehe also nicht um Leistung, sondern um Zeitverteilung, und das klappe gut. 

Markus Hartmann sieht bei solchen Fällen oft ein Vertrauensproblem im Hintergrund: „Zusammenarbeit bedeutet, dass nicht jeder zu gleichen Teilen ausgelastet ist, sondern, dass jeder im Arbeitsfluss mal mehr und mal weniger gefordert ist. Die Lösung liegt darin, die begrenzte Kapazität des Teams als Ganzes zu würdigen und damit in einer bewussten Begrenzung der gleichzeitig zu bearbeitenden Projekte.” 

KI macht zeitbasierte Abrechnung unattraktiv 

Ein anderer Kommentar hält Zeiterfassung für wichtig, damit Kostentreiber identifiziert werden können. Hartmann warnt aber vor einem zu starken Fokus auf die Kosten: Wer nur darauf schaue, übersehe, dass die Gewinne prinzipiell nach oben offen sind. Das sei insbesondere im KI-Zeitalter von großer Bedeutung.  

Während KI uns schneller mache, müsse das bei einer zeitbasierten Abrechnung zu sinkenden Preisen führen: „Nehmen wir an, eine Tätigkeit hat bislang drei Stunden gebraucht, die nun durch die Verwendung von KI nur noch eine Stunde dauert: Wer bislang drei Stunden abgerechnet hat, braucht um die gleichbleibenden Ausgaben zu decken, nun nicht mehr ein, sondern drei Projekte, um dort jeweils eine Stunde abrechnen zu können.” Die Alternative: Der Verzicht auf Zeiterfassung und eine Abrechnung basierend auf dem Wert für den Kunden. Hartmann zufolge ist das die Zukunft für Agentur-Geschäftsmodelle. 

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.