Wie politisch darf Employer Branding sein? 

Haltung war gestern. Heute müssen sich Unternehmen politisch positionieren. Wofür HR dabei Verantwortung übernehmen sollte, und warum Differenzierung essenziell ist. 
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In Unternehmen sind die unterschiedlichsten (politischen) Sichtweisen zu finden. Beim Eployer Branding muss das berücksichtigt werden, sagt Marcus Merheim von Hooman Employer Marketing. (© Unsplash)

Vor zwei Tagen fand in Berlin die Gravity 2024 statt. Ein Kongress, der sich voll und ganz dem Employer Branding widmet. Neben allerlei Trends, Studien und Best Cases hat vor allem eine Podiumsdiskussion meine Aufmerksamkeit geweckt – zu der Frage: Wie politisch dürfen, sollen oder müssen Unternehmen heute sein? Für Melanie Kubin-Hardewig, Vice President Group Corporate Responsibility (CRS) bei der Telekom und eine der Panelteilnehmer*innen, ist die Antwort einfach: „Es ist ganz klar eine Frage des Müssens. Wir haben als Unternehmen die Aufgabe, eine Meinung zu haben. Wir können nicht nachhaltig agieren, ohne eine Haltung zu haben.“ Aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus, Stichwort: Vielfalt und Zuwanderung, – und weil dies schlicht alle Stakeholder und insbesondere auch die Mitarbeitenden und potenziellen Mitarbeitenden vom Konzern erwarten.  

Eine Grenze allerdings zieht Kubin-Hardewig: „Wir müssen parteineutral agieren.“ Konkret heißt das für sie: Die Telekom hat zwar eine politische Meinung und kommuniziert diese auch. „Aber wir beziehen nie Stellung für oder gegen eine konkrete Partei“, so die Managerin. 

Tatsächlich gehen immer mehr Unternehmen politisch aus der Deckung. Das Handelsblatt zählte kürzlich ein paar Unternehmenslenker auf, die sich öffentlich ziemlich deutlich positionieren. Darunter der Familienunternehmer Reinhold Würth, Deutsche Bank-Chef Christian Sewing, Evonik-Chef Christian Kullmann, Bertelsmann CEO Thomas Rabe, Telekom-Chef Timotheus Höttges und Marc Llistosella, Geschäftsführer von Knorr Bremse. In der Werbe- und Marketingbranche wirbt bekanntlich der GWA seit Februar in einer Kampagne für mehr Demokratie und Zusammenhalt. 

Love HR, Hate Racism 

Da ist es nur logisch, dass diese Entwicklung auch enorme Auswirkungen auf Arbeit und Arbeitskultur und somit auf HR-Management und Employer Branding hat. Einer der ersten, der auf diesen Zusammenhang sehr öffentlich und sehr unmissverständlich aufmerksam gemacht hat, war übrigens Gero Hesse. Der Chef der Employer Branding-Agentur Embrace trug schon 2022 auf dem RCC Festival ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Love HR, Hate Racism“. Damals für viele noch eine eher ungewöhnliche Verknüpfung. Heute aber brandaktuell. Auf LinkedIn schrieb Hesse dazu jüngst: „Wir müssen vermeiden, dass Rechtsextremismus schleichend wieder salonfähig wird. Wehret den Anfängen, da kann man sich wohl nicht oft genug und klar positionieren.“ 

Das raten Employer Branding-Expert*innen 

Um der Sache noch genauer auf den Grund zu gehen, habe ich mich bei zwei Menschen umgehört, die sich in Sachen Employer Branding ebenfalls bestens auskennen: Marie Kanellopulos, Managing Partnerin bei der Personalberatung Done!Berlin, und Marcus Merheim, Geschäftsführer Hooman Employer Marketing sowie Vorsitzender des Ressorts „Arbeitswelt der Zukunft“ beim Bundesverband Digitale Wirtschaft. Von beiden wollte ich wissen, wie politisch Employer Branding heute sein sollte. Beiden habe ich die gleichen drei Fragen gestellt. Hier ihre, wie ich finde, überaus erhellenden Einschätzungen: 

Immer mehr Unternehmen positionieren sich klar gegen rechts. Was heißt das fürs Employer Branding, wie politisch sollte oder kann es in diesen Tagen sein – und ab wann wird es gefährlich oder kontraproduktiv für die eigene Arbeitgebermarke? 

Marie Kanellopulos: „Meiner Meinung nach hat Employer Branding bereits eine politische Dimension erreicht. Mitarbeitende und Bewerbende erwarten heute, dass Firmen Position zu gesellschaftlichen Themen – wie dem zunehmenden Rechtsextremismus – beziehen. Dabei reicht es nicht aus, Vielfalt und Inklusion nur nach innen zu leben und solche Maßnahmen durch das Employer Branding zu kommunizieren. Die jetzige politische Situation erfordert, dass Unternehmen diese Werte auch nach außen darstellen, sich klar gegen rassistische und ausgrenzende Verhaltensweisen positionieren, um glaubwürdig zu sein. Gleichzeitig gibt es Risiken: Politisches Engagement im Rahmen des Employer Brandings ist dann kontraproduktiv, wenn es an Authentizität mangelt. Beispielsweise wenn Unternehmen Diversität und Inklusion gar nicht konsequent umsetzen oder es an Werten wie Respekt, Toleranz, Gleichberechtigung oder Demokratie in der Firmenkultur fehlt. Oder wenn eine zu starke politische Positionierung zu Polarisierung führt. Kurzum: Nicht holistische Haltungsansätze schaden der Unternehmensmarke.“ 

Marcus Merheim: „Besonders in diesen wilden Zeiten würde ich gerne einen Aspekt gleich zu Beginn nennen: Die im Grundgesetz klar definierte Meinungsfreiheit, die einen der Eckpfeiler unserer Demokratie bildet. Dort wird deutlich gemacht, dass „jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten”. Hinzu kommt, dass Unternehmen und Organisationen immer auch bis zu einem gewissen Punkt ein Abbild der Gesellschaft darstellen – und dadurch sind dort in der Regel auch die unterschiedlichsten (politischen) Sichtweisen zu finden. Sprich: Vom linken bis zum rechten Rand kann alles dabei sein. Extremismus kann nicht nur von rechts, sondern auch von links stattfinden, und selbst Religion wird leider oft genug und gerne für Grundgesetz- oder auch verfassungswidrige Positionen missbraucht. Und auch hier entspinnt sich eine spannende Frage: Sollte es, wenn sich Unternehmen politisch positionieren möchten, immer nur Chef- beziehungsweise Chefinnensache sein? Natürlich sind CEOs die wichtigsten Botschafter ihres Unternehmens, und Politik bedeutet gleichzeitig auch, Haltung zu zeigen und Werte authentisch zu kommunizieren, was oft nur über Menschen funktioniert. Aber es muss strategisch durchdacht sein. Um die Frage jedoch abschließend zu beantworten: Sobald die politische Positionierung (der Organisation oder auch einzelner handelnder Menschen daraus) konträr zu den Werten des Unternehmens laufen, sollte kommunikativ höchste Vorsicht geboten sein.“ 

Wie sollte man es konkret anstellen, wenn man sich im Employer Branding politisch deutlich positionieren will, was sollte man besser lassen? 

Marie Kanellopulos: „HR sollte hierfür Verantwortung übernehmen und aktiv an der Gestaltung einer inklusiven Unternehmenskultur arbeiten, die Vielfalt wertschätzt, sich gegen Diskriminierung ausspricht und Mitarbeitende unabhängig von ihrer Herkunft unterstützt. Dafür ist es wichtig, mit den Mitarbeitenden eine Grundhaltung zu entwickeln. Diese Basis kann durch Umfragen, 1:1-Interviews oder durch Arbeitsgruppen entstehen. Auch können speziell geschulte Diversity-Beauftragte können Personalabteilungen eine Hilfe sein, um Meinungen im Unternehmen zu hören, aufzunehmen und zu diskutieren. Gemeinsam wird dann ein Konsens zu politischen Themen erarbeitet. Hierbei gilt, dass das Unternehmen die Balance zwischen den Markenwerten, dem Betriebsfrieden und dem Eintreten für gesellschaftliche Werte wahren und das Risiko der Polarisierung vermeiden sollte. Zum Schluss fließen die verabschiedeten Werte und Kernaussagen ins Employer Branding, werden nach innen und außen authentisch gelebt und kommuniziert. Dies stärkt nicht nur den Ruf des Unternehmens, sondern wirkt sich auch positiv auf die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften aus.“ 

Marcus Merheim: „Die Bedeutung von ‘politischer Positionierung’ muss dringend differenziert betrachtet werden: Denn die Frage sollte für Unternehmen auch darin bestehen, welche politischen Aspekte kommentiert werden sollen: Laut einer Umfrage der internationalen Kommunikationsberatung APCO Worldwide ist die Auseinandersetzung mit Aspekten aus der Wirtschaftspolitik, ökologische Themen und Digitalisierung eher ok. Hingegen sollten Themen wie die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, Migration oder auch Rassismus und Antisemitismus eher nicht kommentiert werden. Die erwähnten, unterschiedlichen Ausrichtungen und Denkweisen machen es für Arbeitgeber schwer, Stellung zu beziehen. Es gibt jedoch auch kein ‘richtig oder falsch’. Was aber mit Blick auf die Arbeitgebermarke deutlich betont werden sollte, ist, dass ein ‘gegen etwas’ (Zuwanderung, Hass, Fremdenfeindlichkeit) meist weniger wirkungsvoll ist als ein ‘für etwas’ (Diversität, Internationalität, Kooperation). Unternehmen sollten sich also dort positionieren, wofür sie eindeutig stehen, indem sie aktiv von ‘für’-Beispielen sprechen – und das mit ihren Werten verbinden. So befähigen sich die Organisationen dazu, ‘aus sich selbst heraus’ zu sprechen und bei Bedarf auch klar die Meinung sagen und Stellung beziehen zu können.“ 

Welche guten Beispiele für politisches Employer Branding finden Sie besonders gelungen? 

Marie Kanellopulos: „Ein herausragendes Beispiel für politisches Employer Branding, das mich beeindruckt hat, ist die Kampagne von Edeka, die vor einigen Jahren veröffentlicht wurde. Sie ist eine bemerkenswerte Visualisierung der Bedeutung von Diversität. Das macht beispielsweise der Online-Film #Vielfalt besonders deutlich: Edeka steht mit seinem Claim „Wir 💛 Vielfalt“ normalerweise für ein großes Produktsortiment. Aber in diesem Video sind die Edeka-Regale leer. Denn der Lebensmittelhändler hat ausländische Produkte wie Schokolade, Tee oder Kaffee aus dem Geschäft entfernt.
Diese drastische und so offensichtliche Maßnahme macht die Kund*innen betroffen, regt vor Ort zur Diskussion und Reflektion an. Ihnen wird bewusst, wie sehr ihnen die Produktvielfalt fehlt und wie wertvoll ein diverses Angebot ist. Darüber hinaus finde ich bei dieser Kampagne auch die differenzierte Betrachtung des Themas Rassismus aus verschiedenen Perspektiven und Rollen wertvoll. Solche Kampagnen demonstrieren, wie Unternehmen durch politisches Employer Branding eine führende Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion einnehmen und gleichzeitig ihre Marke stärken können.“ 

Marcus Merheim: „Gefühlt gibt es momentan mehr negative als positive Beispiele, etwa das der Mitarbeitendenbefragung der Böttcher AG, die Avancen des Molkereimoguls Theo Müller oder auch die Vorkommnisse rund um den Burgerbräter Hans im Glück, wobei die letztgenannten Fälle gleichzeitig auch gute Beispiele für die Kollision von Unternehmenswerten mit den persönlichen Sichtweisen der handelnden Personen darstellen. Zusätzlich muss beachtet werden, dass es sich bei diesen Beispielen nicht originär um Employer Branding handelt. Jedoch sollte sich inzwischen auch die starke Strahlkraft der Unternehmenskommunikation auf die Sichtweise von Unternehmen herumgesprochen haben. Idealerweise sollte sich die ‘Positionierungsfreudigkeit’ von Unternehmen entlang der eigenen Wertschöpfung erstrecken.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Kommunikation des Outdoorbekleidungsherstellers Patagonia, der klar für die nachhaltige Produktion einsteht und dies dann wiederum 2018 in der ‘Responsible Recruitment’-Verpflichtung der Fair Labor Association hat einfließen lassen. Schöne Beispiele für politische Unternehmens- beziehungsweise Arbeitgeberkommunikation in Deutschland liefern auch fritz-kulturgüter und Comspace. Der Hersteller von Fritz-Kola hat sich schon oft genug politisch engagiert und Comspace spricht unter anderem im Unternehmensblog sehr deutlich von der eigenen ‘Corporate Political Responsibility’ und deren eigenem Credo #wirfürdemokratie. Und dass eine solch klare Positionierung auch bei Nicht-Wirtschaftsunternehmen gelingen kann, beweist der FC St. Pauli immer wieder eindrucksvoll aufs Neue.“ 

In diesem Sinne: Eine wertvolle Woche und bleiben Sie gut drauf. 

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.