Mental Health: Gegen die Scheißgefühle

Shit happens! Es kommt darauf an, was man draus macht. Die Agentur Shitshow unterstützt Organisationen dabei, psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern. Wir haben mit den Gründerinnen gesprochen. Folge 1 unserer Serie.
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Die Agentur Shit happens! wurde vor vier Jahren gegründet. (© iStock)

Mutig sein und die Dinge beim Namen nennen – das möchten die Gründerinnen der Agentur für psychische Gesundheit mit der auffälligen Bezeichnung „Shitshow“. Der Name ist Programm: Es geht um Scheißgefühle. Die hat jeder mal, manche aber mehr als andere. Und darüber muss man sprechen.  

Als die Agentur vor vier Jahren gegründet wurde – zunächst als Ausstellung, mit der Nele Groeger, Luisa Weyrich und Johanna Dreyer sensibilisieren und aufklären wollten – sei über psychische Erkrankungen kaum offen gesprochen worden, sagt Groeger. Doch auch heute sei die Stigmatisierung, insbesondere am Arbeitsplatz, noch groß: „Kaum jemand traut sich, sich offen zu outen, wenn er oder sie psychisch belastet oder erkrankt ist.“ Schließlich besteht gerade dort die Gefahr, dass psychische Erkrankungen als Mangel an Leistungsfähigkeit gelten könnten. 

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Das Team der Agentur „Shitshow“, die sich um mentale Gesundheit kümmert. Mitgründerin Nele Groeger vorne in der Mitte (© Anne Freitag)

Der Ansatz der Agentur: „Arbeit und die Art, wie sie gestaltet ist, hat einen großen Einfluss darauf, wie es uns geht und wie es um unsere Gesundheit bestellt ist“, erklärt Groeger. „Nicht nur die Mitarbeitenden selbst tragen die Verantwortung für ihre Gesundheit – Mental Health ist auch abhängig von Aspekten wie etwa der Führungsqualität, der Art der Zusammenarbeit und der Arbeitsorganisation.“ Mit dem systemisch-integralen Beratungsansatz „Common Care“ unterstützen die Shitshow-Macherinnen Organisationen dabei, eben nicht nur auf Selbstfürsorge zu setzen, sondern gegenseitige Fürsorge in Bezug auf die Gesundheit aller Mitarbeitenden zu stärken. „Das ist auch weitaus wirksamer und nachhaltiger, als sich nur auf das Individuum zu fokussieren.“ 

Perspektive psychisch Erkrankter einnehmen 

Das heißt konkret: Zunächst wird eine Analyse, etwa in Form einer psychischen Gefährdungsbeurteilung, durchgeführt und gezeigt, wo es Herausforderungen gibt. Für Unternehmen, die weniger tief graben wollen und erst mal nur dem Thema Aufmerksamkeit schenken, Führungskräfte sensibilisieren oder Teams resilienter aufstellen möchten, gibt es Trainings, Workshops und Talks. So können etwa 60-minütige Vorträge zu Themen wie Burn-out, Einsamkeit oder dem Umgang mit belasteten Kolleg*innen gebucht werden, Workshops für Psychohygiene, Stressmanagement oder Vertrauenspersonen oder Coachings, die individuell zugeschnitten sind. 

Neben einer immersiven Audio-Ausstellung, die die Hörer*innen an verschiedenen Stationen in einem Unternehmen mit der Perspektive psychisch erkrankter Kolleg*innen vertraut macht und Awareness fördert, gibt es Guides, Workbooks und sogar „Moodsuits“ zum Ausleihen: Designobjekte, die unsichtbare psychosomatische Empfindungen sichtbar machen, etwa eine „Glocke“ mit durchsichtigem Äußeren, unter der es sich anfühlt, wie in einer Depression, oder der „Würger“, der schwer um den Hals lastet wie eine dauerhafte Angst. 

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Bei den Workshops von „Shitshow“ geht es um „Scheißgefühle am Arbeitsplatz“. (© Anne Freitag)

Alle müssen sich mitgenommen fühlen 

Doch wie schaffen es Unternehmen, in das sensible Thema überhaupt einzusteigen? „Fragt eure Leute“, rät Groeger ganz salopp. Viel zu oft würden Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip umgesetzt, ohne zu wissen, wo überhaupt Bedarf besteht. „Wir erleben nicht selten, dass Unternehmen es zwar gut meinen und einen Resilienz-Workshop nach dem anderen planen – aber die Mitarbeiter*innen haben gar keine Zeit, diese wahrzunehmen.“  

Am wichtigsten sei es, dass alle sich mitgenommen fühlen. „Zum Start bietet es sich an, eine Arbeitsgruppe zu gründen, die – gegebenenfalls mit Unterstützung von externen Expert*innen – die weiteren Schritte und Maßnahmen plant.“ 

Mangelnde Wertschätzung in Werbe- und Medienbranche 

Ob hippes Start-up, klassischer Mittelständler oder Großkonzern: In Bezug auf Unternehmen oder Branchen erkennt das Shitshow-Team keine Unterschiede, was die Stigmatisierung betrifft. „Tatsächlich gibt es Unternehmen in eher traditionellen Branchen oder Geschäftsbereichen, die uns mit ihrer Offenheit und Progressivität überraschen. Andersherum kann in erstmal sehr jung wirkenden Unternehmen eine Kultur des Schweigens und der Scham herrschen“, erzählt Groeger.  

Gemeinsam mit Kooperationspartner DearEmployee haben die Expertinnen eine Studie durchgeführt, inwieweit sich branchenspezifische Risikofaktoren in Bezug auf arbeitsbedingte psychische Belastungen zeigen. In der Werbe- und Medienbranche ist demnach etwa der Risikofaktor ‘mangelnde Wertschätzung’ besonders häufig zu finden.  

Übrigens: Wer von Nele Groeger eine E-mail bekommt, erhält auch einen wichtigen Hinweis unter ihrer Signatur: „You might not be working when I am and that’s ok! Please make sure to only reply when it suits you. Mails can wait – eating, resting and sleeping can not.“ Gegen die Scheißgefühle können manchmal schon die kleinen Dinge helfen. 

(jag, Jahrgang 1980) ist freie Autorin und in der Marketingwelt zuhause. Seit ihrem Studium begeistert sie das Thema, denn es steht einfach nie still! Was heute ein Trend ist, kann übermorgen Standard sein – oder wieder weg vom Fenster. Als waschechte Münchnerin ist sie ihrer Heimat natürlich (mit Ausnahmen in Frankreich und Regensburg) treu geblieben: #schönstestadtderwelt!