Investorin: „Deutsche CEOs müssten sich mehr trauen“

Wie europäische Innovatoren gegenüber den USA aufholen können – dazu hat Eileen Burbidge viele Ideen. Die Londoner Risikokapitalgeberin gründete 2011 die Firma Passion Capital und berät die britische Regierung in Innovationsfragen. Mit der absatzwirtschaft sprach sie in München anlässlich des Innovationstages der Agenturgruppe Serviceplan.
Investorin Burbidge: "Wichtig ist, empathisch zu sein. Darin sind wir Europäer sehr gut, wir reden nur zu selten darüber."

Frau Burbidge, amerikanische Unternehmen sind auf dem Tech-Sektor erfolgreicher als europäische – Sie konstatieren eine „Innovation Gap“. Der Rückstand sei aber nicht auf einen Mangel an Ideen zurückzuführen. Worauf denn dann?

EILEEN BURBIDGE: Europa, speziell auch Deutschland, hat viele bahnbrechende Erfindungen hervorgebracht, die aber woanders kommerzialisiert wurden. Es mangelt also nicht an Kreativität, auch nicht an Neugier oder Ehrgeiz, sondern an der Fähigkeit, Innovation in eine erfolgreiche Verkaufsstrategie umzusetzen.

Wie kann Marketing helfen, diese Lücke zu schließen?

Viel läuft über die Persönlichkeit, ob es um die Marke geht oder um das Unternehmen. In Europa ist es für viele Menschen ungewohnt, sich ins Rampenlicht zu stellen. Kulturell und historisch bedingt, betreiben wir nicht so viel Eigenwerbung. Das ist okay, deshalb sind die Leute hier sehr angenehm. Aber wer seinen Markenwert steigern will, muss trotzdem mehr tun.

So, wie es amerikanische Innovatoren vormachen?

Weltweit weiß heute fast jeder, wer der CEO von Tesla ist. Vermutlich könnten von denen aber nicht einmal zehn Prozent sagen, wer zurzeit Volkswagen führt. Zugegeben, ich bin nicht gerade ein Fan von Elon Musk. Aber selbst wer ihn nicht mag, kriegt es mit, wenn er etwas Kontroverses sagt oder ihm eine Strafe aufgebrummt wird. Das heißt nicht, dass der Chef von Volkswagen ebenso provokant auftreten muss. Ich würde sogar hoffen, dass er ein freundlicher, vernünftiger und empathischer Mensch ist. Aber auch solche Leute müssen mehr in der Öffentlichkeit präsent sein. Traut euch!

Welchen Rat geben Sie Gründern, um sich besser zu verkaufen?

Ach, die sind darin oft schon ganz gut, vielleicht, weil sie sich an Amerika orientieren. Nehmen Sie die Gründer von N26, der deutschen Digitalbank. Die sind überhaupt nicht scheu. Auch Spotify-Gründer Daniel Ek ist sehr bekannt. Ich sage ihnen trotzdem: Macht noch mehr, versucht so bekannt zu werden wie möglich! Wichtig ist außerdem, gegenüber Kunden und Mitarbeitern empathisch zu sein. Darin sind wir Europäer sehr gut, wir reden nur zu selten darüber. Dabei könnte das ein schöne Differenzierung gegenüber Amerika sein.

Start-ups fällt es oft schwer, in Marketing-Kategorien zu denken. Gibt es für sie ausreichend Unterstützung?

Anlaufstellen gibt es viele. Die Frage ist, ob sie erschwinglich und zugänglich sind. Professionelle Marketing-Agenturen gehören zur Spitzenklasse und sind für Firmen von einer gewissen Größe an das Beste. Aber selbst ganz junge Start-ups können einiges tun, etwa andere Gründer oder Investoren ansprechen. Es gibt überdies jede Menge Fallstudien, an denen man sich orientieren kann. Das wichtigste ist, dass die Gründer authentisch bleiben. Sie müssen Marketing begreifen als einen Weg, mit ihren Stakeholdern zu kommunizieren, und wissen, welche Botschaften zu ihnen passen.

Wer mit amerikanischen Investoren spricht, hört oft, dass Deutsche zu sehr die technische Funktionalität ihrer Produkte in den Vordergrund stellen. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Deutsche haben oft die Einstellung „Worte zählen nicht – der Nutzen erweist sich bei der Anwendung“. Amerikaner hingegen verkaufen dir ein Produkt schon im Ideenstadium. Zwischen diesen beiden Extremen ist aber jede Menge Platz.

Wie stark wirkt sich Covid-19 auf die Start-up-Szene aus?

Es wird spannend sein zu sehen, welche Produkte und Dienstleistungen die Unternehmen entwickeln. Ich glaube, in Europa kümmern sie sich traditionell stärker als in den USA darum, was die Kunden davon haben; es geht bei uns weniger darum, einfach nur Geld zu verdienen. Auf diese Botschaft sollten sich Gründer konzentrieren: Weshalb in einer Zeit großer Unsicherheit, Gesundheitsrisiken und Wirtschaftskrisen ihr Produkt wichtig für die Kunden ist. Das zählt mehr als das Argument „Wir sind besser als die Konkurrenz“.

Persönliche Treffen zwischen Gründern und Geldgebern sind nur noch eingeschränkt möglich, Messen und Festivals abgesagt. Wie lernen Sie Ihre Schützlinge kennen?

Alles per Videokonferenz. Investoren wie ich, die häufig in Firmen außerhalb des eigenen Landes investieren, haben schon früher damit gearbeitet. Andere Kapitalgeber mussten sich daran erst gewöhnen.

Und wie ist es für die Gründer?

Die sind ohnehin geübter als die meisten Investoren. Sie kennen das aus ihrem Privatleben und oft auch aus der eigenen Firma. Allerdings müssen sie jetzt lernen, wie man Videotechnik in Verkaufsgesprächen einsetzt oder bei einem Pitch.

Wie beurteilen Sie insgesamt die Chancen europäischer Start-ups?

Ich bin zuversichtlich, schließlich bin ich Investorin (lacht). Die jungen Leute werden mutiger und risikobereiter, wir sehen mehr Innovationen und Vorbilder. Keine Frage, Europa wird besser. Die Frage bleibt allerdings, wie lange wir brauchen, um gegenüber den USA aufzuholen. Wollen wir überhaupt aufholen, oder einen anderen Weg gehen? Und wie lange brauchen wir dann dafür?

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.