Ganz Ohr – Mit Social Listening gegen den Shitstorm

Wer wissen will, wie die eigene Marke oder die der Konkurrenz in den sozialen Medien diskutiert wird, kommt um das Instrument Social Listening nicht herum. Das beugt auch dem nächsten Shitstorm vor.
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Durch aktives Zuhören gewinnen Unternehmen wertvolle Einblicke, um ihre Kund*innen besser zu verstehen und ihre Markenreputation zu schützen. (© Unsplash)

Manchmal liegen Shitstorm und Lobeshymne ganz dicht beieinander. Der Vermietungsplattform Airbnb ist es in einem Fall geschickt gelungen, das eine zu vermeiden und das andere zu erhalten: Eine Gruppe von reichweitenstarken Influencerinnen um Alix Earle hatte bei TikTok gepostet, dass ihr über Airbnb gemietetes italienisches Ferienhaus nicht existierte. Das Social-Media-Team der Plattform bemerkte das Video schnell, kommentierte es und sorgte für Ersatz: Innerhalb von 24 Stunden wurde die Reisegruppe in einer Luxusvilla mit Meerblick untergebracht. Statt gegenüber ihren rund sechs Millionen Follower*innen ihren Urlaubsfrust zu beklagen, präsentierten die Influencerinnen ihnen die Villa und lobten Airbnb für die schnelle Hilfe. Für die Plattform hatte sich das Hineinhören ins Netz gelohnt.

In diesem Netz herrscht gerade im Social-Media-Zeitalter ein allgemeines Grundrauschen, das in Zahlen nur schwer auszudrücken ist. Wer als Unternehmen und Marke in der täglichen Flut von Posts, Kommentaren, Produktbewertungen, Foren- und Blogeinträgen die relevanten Informationen herausfiltern und auswerten will, der kommt nicht herum um Instrumente wie Social Media Monitoring oder wie Social Listening als Teil, Ergänzung oder Vertiefung des Monitorings.

Aktiv in die sozialen Medien hineinhorchen

Social Listening steht für das aktive Zuhören in sozialen Medien und anderen Online-Plattformen. Anbieter wie Talkwalker, Ubermetrics, Facelift, Meltwater oder Hootsuite offerieren unterschiedliche Tools dafür. Vor der Suche werden bestimmte Stichwörter und Phrasen festgelegt. Dies können sein: Marken-, Produkt- und Unternehmensnamen, aber auch die Namen von Manager*innen und Kampagnen, Werbeclaims sowie typische Schlüsselbegriffe einer Branche. Auf Basis dieser Begriffe suchen Crawler im Internet nach öffentlich verfügbaren Erwähnungen.

Die Ergebnisse kann ein Unternehmen für unterschiedliche Zwecke nutzen. Der naheliegende Zweck ist es, zu erspüren, wie Menschen das eigene Unternehmen, dessen Marken, Produkte und Dienstleistungen wahrnehmen. Gefällt das neue Produkt? Stehen die User der Marke positiv gegenüber? Zündet die Kampagne? – So lassen sich (potenzielle) Kundinnen besser verstehen und die Marketingstrategien optimieren. Nützlich sind die Werkzeuge auch, um den Markt zu beobachten und Trends frühzeitig zu erkennen. Unternehmen können zudem Wettbewerbsanalysen betreiben, indem sie Meinungen über Konkurrenten und deren Produkte auskundschaften, denn schließlich sind diese Einträge frei zugänglich. Social Listening hilft auch bei der Suche nach Influencerinnen für Partnerschaften und beim Krisenmanagement respektive um heraufziehende Krisen zu vermeiden, wie im Airbnb-Fall.

BVG provoziert und stellt sich auf Reaktionen ein

Setzen Unternehmen in ihrer Kommunikation auf provokante Inhalte, sollten sie besonders genau auf das Echo im Netz hören, um rasch auf mögliche Reaktionen eingehen zu können. Das weiß man bei der BVG, den Berliner Verkehrsbetrieben, nur zu gut. Die BVG hat sich 2015 mit dem Claim #weilwirdichlieben und den zugehörigen Kampagnen ein frisches Markenimage verpasst – Humor, Selbstironie und Lust an der Provokation inklusive. „Social Listening hilft uns, zu verstehen, welche Themen unsere User aktuell beschäftigen. Wir können darüber Stimmungsbilder einholen, die wir wiederum nutzen, um die eigenen Themen zu platzieren und somit unser Image zu stärken“, sagt Christine Wolburg, Leiterin Vertrieb und Marketing bei der BVG, auf eine Nachfrage der absatzwirtschaft.

Außer auf das eigene Social-Media-Team und die Abteilung Strategie und Marktforschung setzt die BVG auch auf das Automatisierungs-Tool Talkwalker. „Es bietet uns die Möglichkeit, Markenattribute sowohl offline als auch online zu messen sowie die Channel- und Kampagnen-Performance auszuwerten. Und es beinhaltet für das Krisenmonitoring ein Echtzeit-Frühwarnsystem“, so Wolburg. Dieses Frühwarnsystem kommt zum Einsatz, wenn eine neue Kampagne mit Aufreger-Potenzial gelauncht wird. Als Beispiel nennt die Marketingverantwortliche die „Hanfticket“-Kampagne aus der Vorweihnachtszeit 2021 („Den besten Stoff Berlins gibt’s jetzt von der BVG“): Mit dem limitierten Verkauf essbarer Hanftickets „wollten wir dafür sorgen, dass die Berliner*innen nach zwei Corona-Jahren wieder einmal etwas entspannter auf Weihnachten zusteuern und nicht nur nach Hause, sondern auch runterkommen“, so die Idee.

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Um die Reaktionen auf ihr Hanfticket zu verfolgen, hat die BVG vor Weihnachten 2021 genau ins Netz hineingehört. (© dpa picture-alliance)

Die Social-Media-Kampagnenbeiträge sorgten schnell für Aufmerksamkeit. Doch das Unternehmen war vorbereitet. „Dass ein derart kontroverses Thema für Polarisierung sorgen würde, hatten wir erwartet, weshalb eine Reihe von Auswertungsmechanismen die Kampagne begleitete“, sagt Wolburg. Ein eingerichtetes Dashboard zeigte in Echtzeit die Sentiment-Analyse dazu, wie sich die Stimmung zu diesem Thema entwickelte. Das erlaubte der BVG eine schnelle Interaktion. Größere Wellen der Empörung seien allerdings ausgeblieben. Offenbar hatten sich die Kund*innen bereits an den speziellen BVG-Humor gewöhnt.

KI unterstützt bei Auswertung der Daten

Unternehmen sammeln beim Social Listening Unmengen an Daten. Wie sie die Auswertung bewältigen und welche Entwicklung ihnen dabei in die Karten spielt, erklärt Jason Modemann, Gründer der Performance-Marketing-Agentur Mawave: „Die Bewertung von Beiträgen, Kommentaren, Nachrichten und Interaktionen, die User auf Social Media veröffentlichen, macht Social Listening sehr zeitaufwendig – insbesondere wenn es darum geht, das Sentiment der Community zu analysieren.“ Zwar gebe es die Tools, die mithilfe von Keywords dabei helfen, die Daten zu bewerten. Allerdings würden subtile Nuancen in der Sprache oder der Kontext vernachlässigt.

Hier komme KI-Technologie ins Spiel: „KI kann das komplett automatisieren“, sagt Modemann. Vor allem bei großen Datensätzen sei das eine enorme Hilfe. „So können wir schnell und genau verstehen, wie die Community auf bestimmte Themen reagiert und entsprechende Tipps an unsere Kunden weitergeben.“

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.