Eine Frage der Preise  

Wer auf Online-Marktplätzen, im eigenen Webshop und stationär verkauft, benötigt Preise, die konsistent, wettbewerbsfähig und nachhaltig sind. Der Dreifach-Spagat kann gelingen, wenn die Strategie datenbasiert ist. 
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Auch abseits des Black Fridays muss eine attraktive und wettbewerbsfähige Preisstrategie gewählt werden. (© Unsplash)

Weltweit haben Konsument*innen am Black Friday 2023 stärker für ihr Weihnachtsshopping zugeschlagen als am Black Friday 2022. Durchschnittlich 12,3 Prozent mehr Online-Sales verzeichneten die Händler im Jahresvergleich. Das hat eine Analyse des Commerce-Media-Unternehmens Criteo ergeben, das mehr als 1,5 Milliarden Transaktionen bei über 7200 Retailern und Markenherstellern auswertete. Die Zahlen belegen es: Rabatte und Aktionspreise steigern die Konsumlaune beträchtlich.  

Die hohe Kunst ist aber, auch abseits solcher Aktionstage eine Preisstrategie zu fahren, die für Konsument*innen attraktiv und zudem wettbewerbsfähig ist. Knifflig wird das, wenn Anbieter mehrere Vertriebskanäle nutzen – was immer mehr zur Regel wird. In der heutigen digital vernetzten Welt ist der Omnichannel-Vertrieb zu einem wichtigen Werkzeug des Einzelhandels geworden. Denn diese Vertriebsstrategie bietet nahtlose Einkaufserlebnisse über verschiedene Kanäle hinweg – online und offline.  

Kund*innen können im Onlineshop einkaufen, das Produkt in einem lokalen Geschäft abholen und über soziale Medien mit dem Unternehmen interagieren. Das Pricing spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle. Einerseits müssen die Preise über verschiedene Kanäle hinweg konsistent sein, um die Transparenz gegenüber den Kund*innen und damit deren Vertrauen zu wahren. Andererseits erfordert die unterschiedliche Kostenstruktur und Wettbewerbslage in den verschiedenen Vertriebskanälen eine gewisse Flexibilität. 

Am teuersten Kanal orientieren 

In der Theorie ist es ganz einfach: Die Konsument*innen erwarten einheitliche Preise über alle Kanäle hinweg. Ihre Loyalität sinkt, wenn sie Preisunterschiede feststellen. Kanalspezifische Preise akzeptieren sie allenfalls dann, wenn ihnen kanalspezifische Vorteile geboten werden. „Omnichannel-Händler stehen unter einem besonderen Druck, denn die Preismechanismen im Internet sind viel dynamischer als die Preismechanismen im stationären Handel und die Preisniveaus im Onlinehandel sind häufig niedriger“, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Das Problem: Eine fixierte Preisgleichheit über die Kanäle hinweg sorgt häufig dafür, dass entweder die Preise nicht wettbewerbsfähig sind (zumeist online) oder Marge vernichtet wird (häufig im stationären Handel). „Der Spagat kann schon technisch nicht gelingen, da sich gerade auf Plattformen Preise teilweise täglich zehn- bis zwanzigmal ändern. Dies ist vor Ort selbst bei digitalen Preisauszeichnungen nicht möglich“, so Hudetz. „Dem Omnichannel-Händler bleibt nur, auf Nachfrage den niedrigeren Preis aus einem anderen Kanal zu übernehmen.“ 

Die Problematik ist also durchaus komplex. Und: Branchen und Produkte sind ebenso verschieden wie die Kund*innen mit ihren Bedürfnissen und ihren Preiserwartungen. „Es gibt nicht die eine Musterstrategie, die alles abdeckt“, sagt Maximilian Gruhn, Marktplatzexperte und Online Marketing Consultant bei Warenhaus 23. Statt die eierlegende Wollmilchsau zu suchen, sollten sich Händler dem Experten zufolge mehrere Strategien zurechtlegen: Ein Preis kann – vom Kanalstart bis zum laufenden Geschäft – mehrfach wechseln und sollte es vielleicht auch. „Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, etwa Marktplatzmargen, Käuferverhalten, Retourenquoten und Preissensibilität.“ Hinzu kommen Fragen danach, was auf einem Marktplatz erreicht werden soll und ob der Kanal das Hauptabsatzgeschäft werden oder eher zum Gewinnen von Neukunden dienen soll. „Wenn es das Markenimage verlangt, sollte man überall den gleichen UVP/VK listen und sich Spielraum für kurzweilige Rabatte und Coupons lassen“, so Gruhn. Dabei gelte die Faustregel, sich beim Festlegen dieses Preises immer am teuersten Kanal zu orientieren. Ein konsistentes Pricing über alle Kanäle hinweg schafft Transparenz und Vertrauen. Jedoch ist diese Strategie etwas schwerfällig, insbesondere wenn es darum geht, auf kanalspezifischen Wettbewerb zu reagieren. 

Balance zwischen Akzeptanz und Profitabilität finden 

Grundsätzlich sind also noch weitere Strategien für ein Omnichannel-Pricing in Betracht zu ziehen. Vor allem auf Marktplätzen wie Amazon ist die dynamische Preisgestaltung sehr verbreitet. Softwaregestützt werden die Preise variiert, was die Verkaufszahlen steigern kann (siehe ab Seite 24). Der große Nachteil besteht darin, Kund*innen zu verunsichern, weil diese ständig andere Preise für das gleiche Produkt beim gleichen Händler sehen.  

Beständiger sind segmentbasierte Pricing-Strategien. Sie beruhen auf der Annahme, dass bestimmte Kundensegmente ein bestimmtes Kaufverhalten und eine bestimmte Preissensibilität zeigen. Aber Achtung: Ist die Datenanalyse hier nicht perfekt, kann dies zur ungerechtfertigten Ausgrenzung von Nutzer*innen führen, die sich dann im schlechtesten Fall den Wettbewerberprodukten zuwenden. 

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Einheitlich statt divers: Preise sollten über alle Kanäle einheitlich sein. (© Unsplash)

Eine Herausforderung aller Omnichannel-Pricing-Strategien ist die Balance zwischen Profitabilität und Kundenakzeptanz. Zudem erfordern dynamische und segmentbasierte Preisstrategien fortschrittliche Technologien und Datenanalysen, was für Unternehmen zusätzliche Investitionen bedeutet. „Grundsätzlich ist das Pricing sehr kontrovers und wird viel diskutiert“, sagt Marktplatzexperte Gruhn. Er selbst ist ein Verfechter des Pricings auf Vertriebskanalebene. Denn egal ob ein Anbieter in unterschiedlichen Ländern oder lediglich auf unterschiedlichen deutschen Plattformen verkaufen möchte: Man habe es immer mit einem eigenen Ökosystem zu tun.  

Dennoch könne es sinnvoll sein, sich im Pricing den unterschiedlichen Umgebungen anzupassen. „Das richtige Pricing zu finden, ist eine komplexe Angelegenheit und lässt sich nicht immer nur mit einem einzigen Preis beantworten“, so Gruhn. So könnten sich etwa Gebühren, versteckte Kosten und auch Retourenquoten stark unterscheiden. „Strategisch kann es daher Sinn machen, im eigenen Shop den höchsten Preis vorzulegen und diese UVP auf allen Kanälen länderspezifisch im Hintergrund abzulegen, inklusive der Option auf Streichpreise.“ Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, den Preis im Shop an den niedrigsten Marktplatzpreis anzugleichen. Im Offline-Pricing sei man hingegen flexibler, da es schwerer ist, digital zu tracken. In diesem Rahmen kann sich Gruhn sogar vorstellen, dass eine Marke je Region oder Stadt Preisvariationen aufrufe.  

Neue Pricing-Dimension: Nachhaltigkeit 

Doch damit nicht genug der Komplexität. Mit wachsenden Wunsch nach Nachhaltigkeit eröffnen Verbraucher*innen eine weitere Pricing-Dimension. Nachhaltigkeit im weitesten Sinne geht über ökologische Aspekte hinaus und umfasst auch soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Im Kontext des Omnichannel-Pricings bedeutet das, eine Preisstrategie zu entwickeln, die langfristig wirtschaftlich tragfähig ist, die Umwelt schont und soziale Verantwortung übernimmt. Die Herausforderung besteht hier darin, die Produkte nicht ins Abseits zu befördern, weil der gewünschte Preis überzogen ist. „Konsument*innen wollen informiert, aber nicht belehrt werden. Für den Händler ist das ein schmaler Grad“, sagt Hudetz. Ein häufig genutzter Weg, um Nachhaltigkeit zu positionieren, sind kostenpflichtige Retouren. „Das muss aber auch zur Marke passen und authentisch wirken, sonst werden Konsument*innen darin weniger ein Bemühen um Nachhaltigkeit sehen, sondern eher eines um Kostensenkung zwecks Profitabilität“, warnt er.  

Manche Händler bieten unterschiedlich umweltfreundliche Formen der Verpackung und des Versands mit unterschiedlichen Bepreisungen. Auch hier kommen wieder beide Aspekte zusammen: „Eine langsamere Lieferung ist tendenziell ökologisch sinnvoller als eine schnelle, da sich Fahrten dann besser bündeln lassen“, so Hudetz. Die Kehrseite ist, dass Kund*innen dann länger auf die Ware warten müssen. Eine Abgabe für die CO2-Kompensation sei vor allem sinnvoll als freiwillige Option (Opt-in). „Dann können die Käufer*innen frei entscheiden, was ihnen Umweltfreundlichkeit wert ist. Leider wird in solchen Fällen von dieser Option nur selten Gebrauch gemacht“, so der Experte. 

Darüber hinaus können Unternehmen umweltfreundlichere Produkte hervorheben durch günstigere Preise oder spezielle Angebote. Dies kann die Kundschaft dazu ermutigen, nachhaltigere Alternativen zu wählen. Nicht zuletzt lässt sich nachhaltiges Verhalten auch fördern durch Belohnungssysteme für Kund*innen, die nachhaltige Produkte kaufen oder auf Plastikverpackungen verzichten – mit dem entsprechenden Preisschild. 

Erst Transparenz, dann Pricing 

Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Zukunft des Omnichannel-Pricings geprägt sein wird von weiteren technologischen Fortschritten und von einem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit. „Als Voraussetzung für eine nachhaltige Preisstrategie ist zunächst Transparenz zu schaffen über die tatsächlichen Auswirkungen der Produkte auf Klima, Umwelt und Soziales“, sagt Immanuel Pahlke, Head of Pricing & Commercial Excellence Practice bei dem europäischen Beratungsunternehmen D-fine. Dem Pricing-Experten zufolge erfordert dies, dass Unternehmen den Einfluss und die tatsächlich entstehenden Kosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette und des Produktlebenszyklus strukturiert analysieren. „Durch Betrachtung der wahren Kosten und des generierten Nutzens lassen sich Optimierungspotentiale identifizieren und Maßnahmen im Pricing ableiten, um den Einfluss auf Klima, Umwelt und Soziales zu verbessern“, sagt er. Eine solches Vorgehen sollte zudem eingebettet sein in mögliche Umstellungen von Geschäftsmodellen oder Änderungen bei Produktpalette, Technologien oder Rohstoffen. Darüber hinaus empfiehlt der Experte, die Preisstrategie mit gezielten Marketing- und Aufklärungskampagnen zu begleiten. 

Es dürfte für die Zukunft also entscheidend sein, eine ausgewogene Preisstrategie zu verfolgen, die sowohl wirtschaftlich als auch nachhaltig ist. Klar ist auch: Eine solche Strategie erfordert von den Unternehmen eine ständige Anpassung und Neubewertung im Einklang mit Marktveränderungen und Kundenbedürfnissen. „Unternehmen müssen eine Balance finden. Sie müssen schrittweise ihre Produkte verbessern hinsichtlich des Einflusses auf Klima/Umwelt/Soziales und sie müssen die Zahlungsbereitschaft ihrer Kund*innen verstehen – beispielsweise für grünere Produkte – und diese monetarisieren“, so Pahlke.  

In der Praxis hat es sich als sinnvoll erwiesen, eine solche Umstellung entlang eines langfristigen Zielbilds mit vorgeschalteten Pilotphasen durchzuführen, zum Beispiel mit Split-Testing-Ansätzen. So lassen sich die Risken zu minimieren und irrationale Marktreaktionen vermeiden. Lösungen zur automatisierten Marktbetrachtung und zur intelligenten Simulation der Marktreaktionen könnten in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewinnen – und nach Einschätzung von Pahlke sogar entscheidend sein. Aber nicht nur die Technologien sind wichtig. Um passende Pricing-Strategien abzuleiten, ist es wichtiger denn je, ein tiefes Verständnis zu entwickeln hinsichtlich der Segmentierung der Kund*innen sowie für deren Bedarfe und Preissensitivitäten. Ein Verständnis, das laut Pahlke unbedingt datenbasiert erschlossen werden sollte, zum Beispiel mithilfe KI-gestützter Methoden. 

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.