Büros, die den Menschen dienen 

Mental Health von Mitarbeiter*innen ist auch eine Frage der Arbeitsumgebung. Die Botschaft: Heute passt sich das Büro den Menschen an, nicht umgekehrt.
© Steelcase
Moderne Büros passen sich an die Menschen an, nicht umgekehrt. (© Steelcase)

Sie heißen „Neue freie Welt“, „Zurück aus der Zukunft“ oder „Individueller Fokus“: Szenarien für das Büro von morgen. Entwickelt hat sie Alina Käfer vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart in der Studie „Beyond Multispace“. So unterschiedlich sie ausfallen, eins haben sie gemeinsam: Gesundheit und Wohlbefinden sind ein zentrales Handlungsfeld. „An diesem Trendthema kommen Unternehmen nicht vorbei“, sagt Käfer. 

Mehr denn je müssen sie sich damit befassen, ob ihre Bürolandschaften noch zeitgemäß sind. Gerade jüngere Beschäftigte erwarten optimale Arbeitsbedingungen, auch und gerade in Hinblick auf ihre mentale Balance. Der Zusammenhang zwischen Arbeitsumgebung und Gesundheit, auch der psychischen, ist gut belegt, selbst wenn Krankheiten wie Depression oder Burn-out meist mehrere Ursachen haben. „Viele Unternehmen versuchen Faktoren auszuschalten, die sie begünstigen“, weiß Käfer. Etwa Stress, Überforderung oder Isolation. Davon profitieren am Ende auch die Arbeitgeber, weil die Produktivität der Beschäftigten steigt. 

Von der Nische zur Erfolgsgeschichte 

Der Einfluss der gebauten Umgebung sei „signifikant“, erklärt Ann-Marie Aguilar, Architektin und Senior Vice President beim New Yorker WELL Building Institute. Es zertifiziert Bürogebäude, die besonders Rücksicht auf die Gesundheit derer nehmen, die in ihnen arbeiten. Was bei der Gründung vor zehn Jahren aussah wie eine Nische, ist mittlerweile eine Erfolgsgeschichte: Weltweit tragen rund 40.000 Gebäude das WELL-Siegel oder bewerben sich darum, davon knapp 200 in Deutschland.

Die Investitionen zum Erreichen des Standards – bei Neubauten etwa ein Prozent der Baukosten – zahlen sich offenbar aus: Aguilar verweist auf eine Befragung von rund 1300 Beschäftigten in sechs US-Unternehmen, die auf den WELL-Standard umgestellt hatten. Dort stieg die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz im Durchschnitt von 42 auf 70 Prozent, die Selbsteinschätzung der mentalen Gesundheit verbesserte sich um zehn Prozentpunkte.  

„Seit der Pandemie steigt das Interesse der Unternehmen, weil sie vor der Aufgabe stehen, die Beschäftigten zurück ins Büro zu holen“, sagt Aguilar. Dass es da mit ein paar neuen Regalen vom Discounter nicht getan ist, zeigt der Kriterienkatalog des Instituts: Die Expert*innen prüfen Gebäude in zehn Kategorien, darunter Licht, Materialqualität, Gemeinschaft, Bewegung und Verpflegung. Raumprogramm und Möblierung beeinflussen nahezu jede dieser Dimensionen: Gibt es Ruhe- und Fitnesszonen? Eine Cafeteria mit Aufenthaltsqualität? Können die Angestellten unkompliziert frische Luft schnappen, dünsten die Möbel keine Schadstoffe aus? „Eine gute Luftqualität wirkt sich auf mentale Gesundheit besonders positiv aus“, berichtet Aguilar.  

Belegschaft gestaltet Büro mit 

Bei Büroeinrichtern wie Vitra und Steelcase beginnen Projekte mit der Belegschaft: In Umfragen und Workshops werden Arbeitsabläufe, Bedürfnisse und Wünsche ermittelt. Der Prozess steigert die Zufriedenheit mit dem Ergebnis und trägt schon für sich genommen zum Wohlbefinden bei – wer seine Umgebung gestalten kann, erlebt sich als kreativ und wirkungsvoll. Die Zeit für die so genannte partizipative Planung sei auch aus Arbeitgebersicht gut investiert, meint Pirjo Kiefer, Global Head of Consulting & Planning Studio bei Vitra: „Wenn ein Bürokonzept nicht authentisch ist, will da keiner rein.“  

Eine „One-Size-Fits-All”-Lösung gibt es also nicht. Selbst innerhalb eines Unternehmens kann die Arbeitsumgebung sehr unterschiedlich ausfallen, wie Houda Badri vorführt, Leiterin Human Resources bei Steelcase. Die Münchner Zentrale des Unternehmens ist als „Learning and Innovation Center“ zugleich Arbeitsfläche und Showroom.

Jede Etage sieht anders aus: Die Produktentwicklung etwa, die eng verzahnt mit Design, Marketing und Vertrieb arbeitet, braucht zahlreiche, unterschiedlich große Teamflächen. Der Bereich der Jurist*innen hingegen ist auf Beratungssituationen ausgelegt – „sie arbeiten ja fast wie Consultants“, sagt Badri. Es gibt Abteilungen, in der jeder einen festen Arbeitsplatz hat, und andere wie Human Resources, denen eine Teilmöblierung genügt, weil die Mitarbeiter*innen viel unterwegs sind.  

Stress durch tägliche Platzsuche im Büro 

Die bei Finanzvorständen beliebten Großraumbüros mit platzsparend gereihten Cubicles ohne jede Zuteilung gelten hingegen als problematisch. „Sich jeden Morgen einen Platz suchen zu müssen, kann emotionalen Stress auslösen“, sagt Aline Käfer vom IAO. Doch auch Einzelbüros alter Prägung, in denen sich manche verkriechen wie in einer Höhle, sind unter dem Gesichtspunkt Mental Health ein Auslaufmodell. „Niemand sollte sich als Solitär fühlen“, findet Vitra-Designerin Kiefer. Houda Badri von Steelcase sieht das genauso: „Menschen brauchen soziale Beziehungen.“

Dass sich Einzelbüros in Umfragen nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen, hat nach Expertenansicht weniger mit dem Raum zu tun als vielmehr mit dem Wunsch nach Kontrolle: Selbst entscheiden zu können, wann die Tür auf ist oder zu.  

Diese Freiheit aber lässt sich auch anders herstellen, etwa durch Arbeitsplatzmodule: offene Bürolandschaften, durchsetzt mit kleinteiligen Rückzugsräumen – ganz oder halb geschlossene Kabinen, abgeteilte Besprechungszimmer oder markisenbeschützte Sofas.

Die Arbeitsumgebung soll eben beides ermöglichen, die konzentrierte Einzelarbeit ebenso wie den Austausch mit Kolleg*innen, das Powern und das Entspannen, das Aufnehmen und das Abgeben. Unbedingt dazu gehören deshalb Bereiche, in denen sich nach Sitzungen neue Energie tanken lässt – manche Unternehmen möblieren sie mit Massagesesseln – oder in denen man sich von anderen inspirieren lassen kann, sei es auf der Dachterrasse oder in der Cafeteria.  

So könnte ein Büro aussehen, das Vitra designt hat. (© Vitra)

Das Büro als Möglichkeitsraum 

„Wir denken uns das Büro als Stadt, mit Plätzen, Rückzugsorten und Nachbarschaften“, sagt Kiefer. Beschäftigte sollen für jede Aufgabe und für jede Stimmung ein optimales Setting vorfinden – oder es mit wenig Aufwand selbst kreieren können, etwa mit Hilfe mobiler Raumteiler. Manche Bürosysteme sind so flexibel, dass sie mit wenigen Handgriffen komplett verändert werden können: Das Regal wird zum Tisch, Einzelarbeitsplätze verschmelzen zur Teamfläche – das Büro als Möglichkeitsraum. 

Mit Blick auf psychische Gesundheit liegt „Biophiles Design“ im Trend, also die Verwendung natürlicher Materialien wie Holz, Filz und Wolle, denen eine entspannende und beruhigende Wirkung zugesprochen wird. Auch Pflanzen gehören zum Konzept oder Wandbilder aus Farnen, Moosen oder Gräsern; selbst virtuelle Fenster, die Landschaften zeigen, können funktionieren.  

Auch Homeoffice-Ausstattung mitdenken 

Klar ist indes, dass zum Ökosystem Büro auch eine gute Führungskultur gehört. „Schöne Möbel reichen nicht“, sagt Steelcase-Personalerin Badri. Sie findet es wichtig, die Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen auch im Alltag ernst zu nehmen, bis hin zu praktischen Hilfen bei Problemen oder Coaching-Angeboten. Auch eine Hotline für psychosoziale Notlagen ist eine Möglichkeit.  

Was aber nutzt all das, wenn die Mitarbeiter*innen die meiste Zeit im Homeoffice verbringen, allein und schlecht möbliert? Einem Bericht der Initiative Gesundheit und Arbeit zufolge, einem Zusammenschluss mehrerer Krankenkassen, halten nur knapp 28 Prozent der Heimarbeiter ihre Ausstattung für ergonomisch optimal, 30 Prozent für völlig unzureichend.

Dabei gibt es auch hierfür beispielhafte Lösungen, angefangen von höhenflexiblen Schreibtischkombinationen bis hin zu Relaxmöbeln für Denkpausen oder kreative Höhenflüge. „Unternehmen, die Beschäftigte auch zuhause hochwertig ausstatten, zeigen ihnen damit Wertschätzung“, sagt Vitra-Designerin Kiefer.  

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.