X hat ein Image-Problem

Mit dem neuen Eigentümer Elon Musk hat sich bei Twitter einiges geändert – nicht nur der Name. „X“, wie sich die Plattform jetzt nennt, wird von Marken vor allem wegen mangelnder Brand Safety kritisiert.
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Elon Musk hat aus Twitter X gemacht. (© Imago)

„Die Bedeutung von Twitter/X war nie sehr hoch in Deutschland und sinkt tendenziell eher“, sagt Wolfgang Thomas, Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur Netzwerkreklame in Hamburg. Überschaubare Reichweite und Relevanz im deutschen Markt in Kombination mit dem schwierigen Image führen dazu, dass es weder Kunden noch Mediaplaner auf die Plattform drängt. „Von dem Status eines Kernmediums wie YouTube, Meta oder zunehmend auch TikTok ist Twitter weit entfernt“, sagt Thomas. Durch die Übernahme von Elon Musk ist die Konzentration von polarisierenden Inhalten in den letzten Monaten eher gestiegen – zumindest in der Außenwahrnehmung. Das treibt nicht nur Advertisern Sorgenfalten auf die Stirn, sondern auch Unternehmen, die X für ihr Content-Marketing und PR nutzen. Auch hierzulande ist dies spürbar. 

Seit der Twitter-Übernahme durch Musk vor rund einem Jahr veröffentlichen 43 Prozent der Unternehmen, die Twitter beziehungsweise X nutzen, weniger Beiträge auf der Plattform oder haben ihre Veröffentlichungen sogar komplett eingestellt. 36 Prozent posten im selben Umfang wie zuvor. Lediglich neun Prozent veröffentlichen mehr Beiträge beziehungsweise haben erst nach der Musk-Übernahme damit begonnen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von mehr als 600 Unternehmen in Deutschland durch den Digitalverband Bitkom. Wie konnte es so weit kommen?  

Viel Unruhe und hektische Änderungen 

Bereits im November 2022, kurz nach der Übernahme durch Musk, wurden bei Twitter im großen Stil Mitarbeiter entlassen. Marken begannen, sich von der Plattform abzuwenden. Das Werbegeschäft brach ein. Vormals gesperrte Accounts, wie der von Ex-US-Präsident Donald Trump, wurden wieder freigeschaltet. So dauerte es nicht lange, bis auch Extremisten und Verschwörungstheoretiker ihre Botschaften wieder auf Twitter verbreiten konnten. Medienberichten zufolge verlor Twitter innerhalb weniger Wochen die Hälfte seiner Top-100-Werbetreibenden. Um wieder Geld in die Kassen zu spülen, wurde Anfang dieses Jahres das Bezahlangebot „Twitter Blue“ eingeführt (jetzt X Premium). Für 84 Euro im Jahr erhält man ein blaues Häkchen, 50 Prozent weniger Werbung und kann Posts mit einer Länge von bis zu 25.000 Zeichen schreiben.  

Doch immer wieder wurde der Plattform vorgeworfen, Marken-Werbung auch in antisemitischen, rassistischen oder neonazistischen Accounts auszuliefern. Ein Problem, das Marken davon abhält, Werbegelder auf der Plattform zu investieren. Im Juli gab Musk bekannt, dass die Werbeeinnahmen um rund 50 Prozent eingebrochen waren. Die X-Betreiber sind sich dessen bewusst und versuchen mit Brand-Safety-Lösungen aktiv dagegen anzugehen. Unter anderem wurde ein so genanntes Pre-Bid Adjacency Controls eingeführt. Dabei handelt es sich um eine Vorab-Gebotskontrolle, die verhindert, das Anzeigen neben Tweets erscheinen, die bestimmte unerwünschte Schlüsselwörter enthalten. Mehr als 1900 Werbetreibende weltweit sollen laut X diese Lösung – die zu mehr als 99 Prozent wirksam sein soll – mittlerweile nutzen. Außerdem schloss man Partnerschaften mit den Brand-Safety-Spezialisten DoubleVerify und Integral Ad Science (IAS). Die Verifizierungslösungen ermöglichen es Werbetreibenden, den Kontext für ihre Anzeigen im Twitter-Feed besser zu beurteilen und nicht-markensichere Platzierungen von vornherein auszuschließen. Diese Zusammenarbeit wurde im Sommer dieses Jahres nochmals erweitert.  

Ebenfalls im Sommer gab es dann das Rebranding. Aus Twitter wurde X. Das Rebranding ist gleichzeitig der Startschuss für eine Neuausrichtung. X soll die neue „Alles App“ werden, eine Super-App mit Paymentfunktion und vielem mehr – ähnlich der chinesischen WeChat-App.  

X kann, muss aber nicht in den Media-Mix 

In Summe war und ist es sehr viel Trubel und Veränderung für eine Plattform, die eigentlich Marken ein sicheres und stabiles Werbeumfeld und Nutzer*innen solide Informationen bieten sollte. Nicht wenigen Werbetreibenden und Unternehmen war dies im wahrsten Sinne des Wortes zu viel. Das legt auch die Bitkom-Umfrage zum nachlassenden Interesse an X nahe. Und unabhängig davon, ob und wie gut die Brand-Safety-Maßnahmen bereits greifen – das Vertrauen der Werbetreibenden scheint erschüttert.  

Den Advertisern stehen jedoch reichlich Alternativen zur Verfügung; in Deutschland spielte Twitter als Werbeplattform bisher ohnehin eine eher untergeordnete Rolle. Aus Sicht des Mediaexperten Thomas kommt es heute stark auf die Marke beziehungsweise das Produkt an, ob X/Twitter eine sinnvolle Ergänzung zum Mediaplan darstellt. „Wenn es um Meinungsführer geht, mag es eine Option sein, für das einfache Bewerben und Verkaufen von Produkten gibt es reichlich Alternativen“, sagt der Fachmann. Die Plattform werde sehr stark von meinungsstarken Intensivnutzern geprägt, die sich als Infoelite empfinden. „Normale“ Verbraucher finde man hier eher selten. Twitter beziehungsweise X hat versucht, das Vertrauen der Werbetreibenden zurückzugewinnen, indem man Advertisern mehr Kontrolle über die Anzeigenplatzierung bietet, aber Bedenken bleiben. „Durch den Einstieg von Elon Musk, seine erratischen Management-Methoden sowie die Fokussierung auf stark polarisierende Inhalte und Beitragende wie Donald Trump haben viele progressive Nutzer die Plattform verlassen oder suchen zumindest Alternativen“, sagt Thomas.  

Sollte X die Transformation zur Super-App gelingen, könnte die Plattform für Nutzer*innen und somit auch für Werbetreibende wieder interessanter werden – vorausgesetzt, die Maßnahmen zur Markensicherheit greifen. Nur so wird sich verlorenes Vertrauen zurückbringen lassen. Eine kürzlich geschlossene Partnerschaft mit Google könnte ebenfalls helfen, den Werbemotor wieder auf Touren zu bringen. In Zukunft sollen Werbetreibende Display-Kampagnen über den Google Ad Manager für das Home-Feed-Inventar auf X schalten können. Die nächsten Monate werden zeigen, ob X sein Image-Problem in den Griff bekommt und abgewanderte Advertiser zur Rückkehr bewegen kann. 

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.