Von Meta zum Sperrbildschirm: Brecht die Routinen!

Schon in den nächsten Monaten sollen unsere Sperrbildschirme zur Werbefläche werden. Wie sinnvoll ist es, Routinen mit Kommunikation an dieser Stelle zu brechen?
Statt Familienfoto oder Urlaubserinnerung könnte bald eine Markenbotschaft auf dem Sperrbildschirm auftauchen. (© Unsplash, Pexels (Montage: Julia Fell))

Wann und wie unterbreche ich mit meiner digitalen Markenbotschaft am besten Routinen von Nutzer*innen? Bei einer gemeinsame Suche nach einer Antwort auf die Frage, unterbreche ich zunächst einmal Ihre Routine. Denn anders als gewohnt, haben Sie kein MarTech-Briefing von Karsten Zunke vor sich. Der nämlich bricht mit seinen persönlichen Alltagsroutinen und urlaubt wohlverdient.

Werbung auf den Sperrbildschirm

Wenn Sie ein Android-Smartphone besitzen, könnte Ihnen in naher Zukunft aber eine viel bedeutsamere Routinen-Unterbrechung drohen als meine Kolumne. Bereits innerhalb der nächsten zwei Monate sollen in den USA die Android-Sperrbildschirme mit Werbung gefüllt werden, wie TechCrunch berichtet. Statt Familienfoto, Urlaubserinnerung (oder je nach Narzissmus-Level) Selbstporträt, ist dann auf dem Smartphonescreen eben eine Markenbotschaft zu sehen.

Nun ist die Fixierung auf Werbung womöglich ungerecht. Der Dienstleister Glance, der die Lockscreen-Technologie entwickelt, verspricht viel mehr: Bilder, News, Quiz und Games sind im Portfolio. Womit sich unweigerlich die Frage stellt, wie viel Algorithmus sinnvollerweise im Lockscreen stecken sollte. Schließlich ist der Witz des Sperrbildschirms ja genau, dass keine persönlichen Informationen erfahrbar sind, ohne dass man die Hürde “Entsperrung” überwindet.

Mich erinnert dieses Verlangen jede erreichbare Ecke mit Werbung (und Inhalten) zu zu pflastern ein bisschen an Fußball-Trikots, die mit der Zeit an immer mehr Stellen mit Markenbotschaften bedeckt werden durften. In der österreichischen Bundesliga gibt es teilweise Trikot-Sets, bei denen 15 Markenbotschaften und mehr auf Hose, Trikot und sogar Stutzen platziert sind. Dabei sollte auch dem letzten Marketinghelden klar sein: Nicht jede Entwicklung ist eine Weiterentwicklung. Es ist ziemlich naheliegend, dass sich die wenig ästhetischen Trikots in sinkenden Trikotverkäufen niederschlagen.

Beim Sperrbildschirm stellt sich analog sofort die Frage nach Produkten, die aus einer neuen Technologie wie der Lockscreen-Vermarktung folgen. Sind hier eventuell auch Abo-Modelle denkbar, bei denen für die Werbefreiheit des Sperrbildschirms gezahlt werden muss?

Wenn Marken nun darauf hoffen, direkt erste Werbeflächen zu buchen: Zumindest die Website von Glance ist seit Tagen nicht erreichbar. Versuchen Sie es mal über Twitter. Unweigerlich stellt sich aber die Frage: Wird die Nutzung von Lockscreen-Inhalten vielleicht sogar zur eigenen Routine, weil der Finger gar nicht mehr zu Instagram, TikTok oder anderen Zeitfressern wandern muss?

Elon Musk und die Twitter-Routine

All diejenigen, die mit der Ankündigung Elon Musks, Twitter kaufen zu wollen, eilig nach Alternativen wie Mastodon gesucht haben, können unterdessen beruhigt zu Twitter zurückkehren: Was sich seit Wochen abzeichnete, scheint nun endgültig: Elon Musk will Twitter doch nicht kaufen. Und auch wenn sich das juristische Prozedere noch einige Zeit ziehen dürfte: Auf der Plattform hat sich durch die Kaufankündigung nichts geändert und auch jetzt bleibt alles beim Alten. Wer mit Twitter vorher keine Probleme hatte, der sollte dort nach wie vor glücklich sein. Aber vielleicht ist die Aufregung über die bösen sozialen Netzwerke auch längst Routine.

Eine Eskalation hingegen scheint die irische Datenschutzbehörde im Streit mit Facebook- und Instagram-Mutter Meta zu erzwingen. Dabei hatten sich sämtliche Datenkraken in den vergangene Jahrzehnten routinemäßig ihren EU-Sitz in Irland gesucht – weil dort am wenigsten Regulierung drohte. Doch wie viele Routinen endet auch diese irgendwann. Und so könnte den Plattformen ganz abrupt ein Aus in der EU drohen. Zumindest vorübergehend. Die Datenschutzbehörde will den Betrieb untersagen, solange Daten auf US-Servern rumfliegen. Wenn sich die irischen Datenschützer durchsetzen sollten, bedeutet das aber langfristig wohl vor allem, dass Meta und Co. ihre Serverstrukturen so umbauen, dass Daten nicht mehr in den USA landen.

Für Marken und Werber wäre das also eher ein Warnschuss: Dass US-Networks als primärer Kanal für Markenbotschaften genutzt werden, ist eine allzu große Selbstverständlichkeit geworden. Aber für verlässliche Kommunikation braucht es Plattformdiversität. Und mehr als nur die Routine-Kanäle.

Dem J. Walter Thompson CCO Craig Davis wird das etwas abgedroschene Zitat zugeschrieben “We need to stop interrupting what people are interested in and be what people are interested in.” Ich würde da ein Stück weitergehen: In einer digitalen Welt, in der Disruption Kernelement der Mediennutzung ist, muss Kommunikation mehr schaffen: Menschen bei dem unterbrechen, was sie tun. So interessant sein, dass der nächste Unterbrechungsversuch scheitert. Und damit neue Routinen schaffen.

Damit könnte diese Kolumne eigentlich enden. Aber damit die Unterbrechung nicht ganz so disruptiv ist, habe ich zum Abschluss noch den gewohnt guten Wunsch für Sie:

Bleiben Sie inspiriert!

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.