Videokonferenz: Kurs voll auf Barrierefreiheit

Videokonferenzen machen Veranstaltungen besser zugänglich als je zuvor. Überraschend: Auch Menschen mit Einschränkungen werden dabei mitgedacht. Doch was ist zu tun, damit wirklich alle die Tools nutzen können? Und wieso funktioniert Barrierefreiheit bei Videokonferenzen besser als in anderen Bereichen?
Gute Software und gute Vorbereitung sind sehr wichtig, damit barrierefreie Videokonferenzen erfolgreich funktionieren. (© Shutterstock)

„vielleicht genauer sagen teil boni dass ein bisschen abgekühlt”: Wer schon einmal die automatischen Untertitel bei YouTube oder Facebook genutzt hat, kennt die Schwierigkeiten der Software bei der Übersetzung des gesprochenen Worts. Für hörgeschädigte Menschen ist das besser als Nichts. Die meisten Videokonferenzanbieter bieten auch automatisierte Live-Untertitelungen, zum Beispiel Webex oder Microsoft Teams.  

Zoom bietet diese Funktion nach eigenen Angaben seit Neuestem auch an, zuvor gab es automatische Untertitel nur auf Englisch. Die Möglichkeit, (hoffentlich) sprachlich saubere Untertitel selbst hinzuzufügen, gibt es auch; bei Teams ist das nach eigenen Angaben seit Herbst 2021 möglich. Doch über die Untertitelung hinaus gibt es eine ganze Reihe von Aspekten, die Videokonferenzen für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen nutzbar machen. 

Dieser Artikel ist auch als Audio verfügbar:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von w.soundcloud.com zu laden.

Inhalt laden

absatzwirtschaft · Videokonferenz: Kurs voll auf Barrierefreiheit

Corona: Anbieter haben nachgerüstet 

Videokonferenzsysteme stehen diesbezüglich ziemlich gut da, seit sie während der Pandemie allgemein an Bedeutung gewonnen haben: „Wenn man irgendetwas aus der Corona-Zeit ziehen kann, dann dass sich alle von heute auf morgen in Videokonferenzen wiedergefunden haben – und die Anbieter nachjustieren, was Barrierefreiheit anbelangt”, sagt Simone Miesner, stellvertretende Leiterin der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. “Durch die Pandemie ist da ein Druck entstanden. Im  E-Commerce gibt es diesen Druck nicht“. Logisch: Niemand war darauf angewiesen, Mehl und Klopapier im Onlineshop zu kaufen. Hier also regelt der Markt die Barrierefreiheit weitgehend selber. Muss er auch – gesetzliche Pflichten gibt es nicht. 

Auf Anfrage macht Teams-Hersteller Microsoft klar, dass Barrierefreiheit eine Haltung ist. Ziel sei es, „moderne Technologie allen Menschen zugänglich zu machen. Barrierefreiheit habe ‚höchste Priorität’. Auch bei Zoom klingt das kaum anders. Barrierefreiheit sei „ein Herzstück” der Arbeit. Interessant allerdings im Fall von Microsoft: Die Optimierungen für Barrierefreiheit bei Teams sind beim zweiten Microsoft-Videokonferenzprogramm Skype nur eingeschränkt vorhanden. Die Frage, ob für Skype Verbesserungen geplant sind, beantwortet Microsoft nicht. 

Login ist eine hohe Hürde 

Neben der Untertitelung ist wichtig, dass die Tools von Menschen mit Seheinschränkung und deren Screenreader genutzt werden können. Hilfreich ist, wenn die Tools keinen Login haben – gerade für blinde Menschen ist das eine Hürde. Nicht, weil sie prinzipiell Logins nicht nutzen können, sondern weil die meisten komplex gebaut sind. Hilfreich ist daher zusätzlich, wenn sich Betroffene via Telefon in die Konferenz schalten können. 

Problematisch ist für viele Systeme, wenn Menschen den Bildschirm in einer Konferenz teilen. Dann nämlich können häufig Nutzende von Screenreadern diese Inhalte nicht ansteuern, um sie sich vorlesen zu lassen. Teams ist eine Ausnahme: Zumindest PowerPoint-Präsentationen können angesteuert und selbstständig navigiert werden, sodass man sich Inhalte im eigenen Tempo vorlesen lassen kann. PDFs oder andere Programme fallen allerdings auch hier unter den Tisch. Zumindest noch. Microsoft teilt ohne genauere Infos mit, weitere Formate in Zukunft nutzbar zu machen.  

Zoom hingegen hat diese Funktion nicht. Das Unternehmen empfiehlt, relevante Dateien mit den Gesprächsteilnehmer*innen zu teilen, also die Dateien beispielsweise per Chat zu verschicken. Das allerdings ist nicht besonders datensparsam, eher unflexibel und zwingt Betroffene das Videokonferenzprogramm zu verlassen, um Dateien ansteuern zu können. 

Besonders gut schneiden in der Überprüfung der Bundesfachstelle Barrierefreiheit dennoch Teams und Zoom ab. Sie haben an verhältnismäßig wenigen Stellen Probleme. Neben den bereits genannten, ist es bei Teams beispielsweise nicht möglich, weitere Tonspuren zuzuschalten. Somit sind weder andere Sprachversionen noch Audiodeskription möglich. Alle weiteren Anforderungen der Bundesfachstelle werden jedoch erfüllt. 

Software alleine bringt nichts 

Zur Wahrheit gehört aber zugleich: Gute Software ist für barrierefreie Videokonferenzen nur der halbe Weg zu mehr Barrierefreiheit. Damit eine Veranstaltung erfolgreich abläuft, braucht es Vorbereitung und People Power: „Wenn wir eine Veranstaltung haben, schicken wir vorab immer Anleitungen für die Systeme, möglichst in einer Sprache, die jede Person versteht”, so Miesner.  

Während der Veranstaltung hätte man immer Ansprechpartner für Chat und Telefon sowie einen Technik-Support an der Hand, die stets erreichbar seien. “Aber klar ist: Sie brauchen dafür zwei, drei Mitarbeitende, bei großen Veranstaltungen teilweise auch mehr”. Wenn es zusätzlich noch Audiodeskription, Gebärdensprache oder Live-Untertitel geben soll, erhöht sich der Aufwand. Doch wenn es das gibt, muss sich immerhin niemand mit automatisiertem Untertitel-Kauderwelsch begnügen. 

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.