Ravensburger: Sag’s digital, Sami

Ravensburger stellt sich für die Zukunft auf. Der Spielehersteller profitiert dabei unter anderem von einer stärkeren Digitalisierung. Sami, eine WLAN-fähige Konsole im Körper eines kleinen Plastik-Eisbären, ist das beste Beispiel dafür.
Ravensburger hat sich neu strukturiert und in den Bereichen Marketing und Vertrieb deutlich stärker digitalisiert. (© Ravensburger)

Gut möglich, dass in diesem Jahr ziemlich häufig Sami unter deutschen Weihnachtsbäumen liegen wird und Kinderherzen höherschlagen lässt. Denn Sami ist nicht irgendein Spielzeug, sondern eine digitale, WLAN-fähige Konsole im Körper eines kleinen Plastik-Eisbären. Sami kann Kinderbuchtexte downloaden und unermüdlich vorlesen, er lässt sich nicht durch Vor- und Zurückblättern stören und seine Lautstärke kann via Ohrendrücken gesteuert werden. Das Starterset kostet 69,99 Euro und ist seit September im Handel.

Sami ist die neueste Innovation aus dem Hause Ravensburger – und ein weiteres Produkt, in dem die Spieleentwickler digitale und analoge Welten ziemlich smart miteinander verbinden. Doch nicht nur bei den Produkten selbst spielt die Digitalisierung für den 1883 gegründeten Buch- und Spieleverlag eine immer größere Rolle. Auch in Marketing und Vertrieb hat sich das Traditionsunternehmen in den vergangenen Jahren deutlich stärker digitalisiert – und zählt auch deshalb zu den wenigen Gewinnern der Coronakrise.

Puzzles als Wachstumsmotor in der Pandemie

Im Pandemiejahr 2020 stieg der Ravensburger-Umsatz um 20 Prozent auf 632 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor lag das Plus bei sieben Prozent. Ein großer Treiber für das massive Wachstum war allerdings eine ziemlich analoge Kategorie: Puzzles. 28 Millionen davon gingen 2020 vom Bodensee aus in über 70 Länder, rund 32 Prozent mehr als im Vorjahr. Und alles deutet darauf hin, dass der Trend auch in diesem Jahr anhält. Dank des „unglaublichen Booms“, so ein Sprecher, den Puzzles als „die Beschäftigung zum Erholen und Abschalten“ derzeit erleben, spricht man bei Ravensburger mittlerweile sogar schon von „the next Yoga“. Das Phänomen halte auch 2021 an, heißt es aus dem Konzern.

Doch selbst beim Puzzle-Boom zeigt sich: Ohne digital geht bei Ravensburger nicht mehr viel, vor allem nicht in puncto Innovation. Denn neben den klassischen Puzzles erleben auch personalisierte Puzzles einen deutlichen Schub. Die Nachfrage nach individuell gefertigten Puzzles habe sich „beinahe vervierfacht“, so ein Sprecher.

Möglich macht das Wachstum die neu entwickelte Ravensburger Puzzle World. Auf der Online-Plattform können Puzzlefans eigene Fotos hochladen und mit anderen Nutzern teilen. Die Motive lassen sich dann wahlweise direkt digital zusammensetzen oder als haptisches Puzzle im Onlineshop bestellen. Susanne Knoche, Group Managing Director Global Sales bei Ravensburger, sagt: „2020 haben viele Menschen unsere Spiele und Puzzles neu für sich entdeckt. Dieses Interesse wollen wir nachhaltig mit neuen Produkten und Vermarktungsideen fördern.“

Gravitrax als Paradebeispiel für digitale Vermarktung

Dabei schaut das Unternehmen ziemlich genau und konsequent auf Möglichkeiten der Digitalisierung. „Ich glaube nicht, dass der Erfolg eines Spiels zwingend davon abhängt, dass die zugrunde liegende Spielidee auch in digitaler Form existiert. Wenn jedoch die Möglichkeit besteht, weil sie zu Konzept und Zielgruppe des Spiels passt, kann eine digitale Variante oder App die Wahrnehmung der Marke erhöhen“, sagt Christian Bulla – und stapelt damit ganz schön tief. Als Group Director Category Construction, Arts & Crafts ist er bei Ravensburger unter anderem für Produkt und Vermarktung von Gravitrax verantwortlich. Einem Spiel, das die bislang erfolgreichste Neueinführung der vergangenen Jahre ist und im Konzern als „das Paradebeispiel“ für digitale Vermarktung gilt.

Gelauncht 2017, wurden bis Ende 2021 allein eine Million Startersets von Gravitrax verkauft. Mittlerweile hat sich das Spiel zu einer der drei wichtigsten Produktmarken der Ravensburger Gruppe entwickelt, auf nationaler wie auch internationaler Ebene. Das Unternehmen selbst nennt das Produkt denn auch einen „wichtigen Meilenstein“. Zumal sich an der Gravitrax-Erfolgsstory besonders gut ablesen lässt, wie sehr Ravensburger mittlerweile analoge und digitale Konzepte miteinander verwebt.

Doch der Reihe nach. Zunächst einmal ist Gravitrax ein rein analoges Spiel. Genauer gesagt: Es ist ein Kugelbahnsystem, für das man mit verschiedensten Bauelementen Parcours aufbauen und darauf Kugeln zum Rollen bringen kann. Der Kreativität der Erbauer, der sogenannten Gravitraxer, sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Den Rest erledigen Schwerkraft, Magnetismus, Kinetik und Gravitation. Wie schon viele andere Spielsysteme zuvor ist auch Gravitrax auf dem Prinzip Unendlichkeit aufgebaut. Die Bahnen sind beliebig ausbau- und erweiterbar. Immer neue Elemente erhöhen dabei den Spielreiz.

Von Anfang an hat Ravensburger bei der Vermarktung von Gravitrax nicht nur sehr hohe Marketing­budgets eingesetzt (über die genaue Höhe schweigt sich das Unternehmen aus), sondern auch auf eine konsequente digitale Verlängerung geachtet. Category Manager Bulla: „Wenn sich jemand für ein Spiel oder ein Beschäftigungsprodukt begeistert, sehen wir eine Tendenz zum ‘und‘, also einer Nutzung der haptischen und der digitalen Form.“ Wobei beide Varianten meist in einem anderen Umfeld genutzt würden.

Ravensburger nutzt App und Social Media

So ist es auch bei Gravitrax und der Gravitrax App, die zeitgleich mit dem eigentlichen Produkt gelauncht wurde. Mithilfe der App können Gravitraxer unterwegs und zunächst rein digital neue Bahnen konstruieren, die sie dann später zu Hause in echt nachbauen.

Darüber hinaus nutzen Bulla und sein Team „die ganze Vielfalt der sozialen Medien“ für Gravitrax und befeuern die Community im Netz mit immer neuem Content. Schon 2019 hat Ravensburger mit Gravitrax einen Effie Award in Silber gewonnen. Die Kampagne „Gravitrax Weltrekord“ verbreitete sich rasant über die sozialen Medien, 40.000 Videos wurden von Fans hochgeladen und Ravensburger verbuchte ein Umsatzwachstum mit Gravitrax von 183 Prozent. Der TV-Spot zur Kampagne musste schließlich sogar frühzeitig abgeschaltet werden. Die Kugelbahnen waren schon zwei Wochen vor Weihnachten restlos ausverkauft.

Umfassende Neustrukturierung bei Ravensburger

Doch das allein macht einen Konzern nicht krisenfest. Anfang 2019 hat CEO Clemens Maier eine umfassende Neustrukturierung des Unternehmens angestoßen, die mitunter nicht jedem der rund 2300 Mitarbeiter*innen des Unternehmens schmeckte. Denn Maier brach die bis dato unabhängig voneinander agierenden Divisionen Spiele und Buchverlag auf und gliederte die Ravensburger Gruppe in neue Kategorien: Books+, Games, Puzzles, Construction, Arts & Crafts, Playsets sowie Leisure.

Darüber hinaus wurden die Vertriebe verschmolzen, sodass Handelskunden nun nur noch einen Ansprechpartner für alle Ravensburger Marken und Produktkategorien haben. Seit 2020 ist die Neustrukturierung abgeschlossen.

„Die Neustrukturierung des Vertriebs hat sich bewährt, weil sämtliche Vertriebswege effizienter bedient werden und unser gesamtes Sortiment nun in jedem Kanal angeboten werden kann“, sagt die weltweite Vertriebschefin Susanne Knoche. In der deutschsprachigen Region ist Ravensburger 2021 noch einen Schritt weiter gegangen und hat den Vertrieb gemäß den Handelssegmenten neu organisiert. Seither sollen Fachhandel und Fachmarkt, E-Commerce sowie Le­bens­mittelgroß- und -einzelhandel kanalspezifisch noch besser betreut und unterstützt werden.

Vor allem aber wächst, wenig überraschend, der Bereich E-Commerce. 40 Prozent aller Spielwaren in Europa wurden 2020 online gekauft. Die Zahlen bei Ravensburger seien „ähnlich wie der Markt“, so das Unternehmen. „Wir erwarten, dass der Anteil weiter wachsen wird“, sagt ein Sprecher.

Ravensburger setzt auf „All­kanal-Strategie

E-Commerce umfasse jedoch nicht nur die reinen Online-Händler, sondern auch den E-Commerce-Anteil der traditionellen Handelspartner, die ihr stationäres Geschäft mit ihrem Online-Auftritt verknüpft haben. Der Erfolg von Ravensburger beruhe auf einer All­kanal-Strategie, die durch flexibles Vertriebswege-Management das Wachstum unterstütze. Dazu zählt auch das digitale Händlerportal, das das Familienunternehmen ausgebaut hat. Dort können Handelspartner nun direkt unter ihren Konditionen bestellen und haben direkten Zugriff beispielsweise auf Marketingmaterial.

Den eigenen Onlineshop sehen die Schwaben derweil eher noch als „Lernfeld“, auf dem sie wie in den physischen Stores vor allem Feedback bekommen und von den Kund*innen lernen können. Ein Learning dabei ist beispielsweise der große Erfolg von „My Ravensburger“, hinter dem personalisierte Produkte wie Puzzles, Spiele und Bücher stecken, die mit eigenen Fotos und Motiven individualisierbar sind. Diese Angebote seien im Onlineshop derzeit besonders gefragt. Spätestens nach Weihnachten dürften vermutlich auch die Produkte rund um Lese-Eisbär Sami dazukommen.

Der Artikel erschien zuerst in der Dezember-Printausgabe der absatzwirtschaft.

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.