„Third-Party-Cookies können nicht durch eine Alternative ersetzt werden“

Nicht nur das Ende der Third-Party-Cookies beschäftigt die Branche, auch künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit sind wichtige Themen. Wir haben mit Sara Sihelnik, Country Director DACH von Quantcast, über aktuelle Trends im MarTech gesprochen.
Sara Sihelnik verantwortet die Geschäfte von Quantcast im deutschsprachigen Raum. Vor ihrem Wechsel in das Münchner Büro arbeitete die Belgierin in der Europazentrale des US-Tech-Unternehmens in Dublin. (© Quantcast)

Die programmatische Werbung ist im Wandel: Neben verschiedenen Trendthemen wie künstliche Intelligenz stehen auch nicht ganz so neue Entwicklungen wie das Ende der Third-Party-Cookies sowie Technologien zum Analysieren von Nutzer*innen im Fokus der Programmatic Advertiser. Wir haben am Rande der d3con, der größten Konferenz für programmatische Werbung, mit Sara Sihelnik, Country Manager DACH der Audience-Analyse-Plattform Quantcast, über die wichtigsten Themen der Branche gesprochen.

Frau Sihelnik, kürzlich wurde auf der Konferenz d3con über Trends, Probleme und Best Cases im Bereich Programmatic Advertising gesprochen. Welches Thema ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Meiner Meinung nach gab es drei Themenbereiche. Erstens: Die programmatische Technologie setzt sich immer mehr in den verschiedenen Marketing-Kanälen durch. Neben dem klassischen Displaybanner gab es eine Weiterentwicklung in Richtung Native, Video, Rich Media Formate, Connected TV, Programmatic Out of Home sowie Programmatic Audio. Zweitens ist das Thema künstliche Intelligenz ganz groß, vor allem die Untersparten Natural Language Processing, worauf ChatGPT basiert und wie man diese Technologie in den Alltag der Medienplaner, Kreativen und Tech-Unternehmen einbinden kann. Das dritte Thema war in diesem Jahr zum ersten Mal prominent: Nachhaltigkeit in der Tech-Branche. Wie können wir den Energieverbrauch unserer Industrie quantifizieren und reduzieren?

Die Branche verspricht sich von Connected TV sehr viel. Wie sieht die Zukunft von CTV aus?

Auf dem Gebiet wird noch sehr viel passieren, weil Connected TV aktuell noch sehr Umfeld-getrieben ist. Lineares TV war immer ein Reichweiten-Format, mit Connected TV können wir ein gezieltes Targeting schaffen und wir können nachweisen, ob die Leute auf deine Website kommen, buchen oder kaufen. Durch den programmatischen Wandel wird TV jetzt performant.

Bezogen auf das zweite Thema: Wie können Marketer KI und maschinelles Lernen nutzen, um personalisierte Markenbotschaften zu erstellen und zu liefern?

Statt eine Direktplatzierung zu buchen, sollten Werbekampagnen programmatisch eingebucht werden. Die Technologie, die beim Einkaufen genutzt wird, sollte auf künstlicher Intelligenz basieren. Denn mit dem Wegfallen der Third-Party Cookies wird das KI-Thema weiter an Bedeutung gewinnen. Durch Data-Privacy-Regelungen wird es immer schwieriger, deterministische, personenbezogene Daten zu nutzen. Man muss daher auf andere Art von Daten umsteigen.

Woher sollen diese Daten kommen?

Wir müssen auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen zurückgreifen. Das bedeutet, dass wir auf probabilistische Datenpunkte setzen müssen, die nicht auf Namen und Mail-Adressen zurückführbar sind, sondern die anhand des Surfverhaltens berechnet werden können. Da kommt KI ins Spiel. Sie muss nicht nur die Berechnung leisten, sondern auch Sinn aus den Datenpunkten generieren.

KI wird auch im Creative-Bereich immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wichtig ist: künstliche Intelligenz wird nicht die Menschen ersetzen, es ist als Enabler-Tool zu verstehen. Dass wir die KI sinnvoll dafür nutzen, wenn es darum geht, größere Mengen an Daten in kürzester Zeit auszuwerten und bestimmte Muster darin zu erkennen. Die kreative und strategische Arbeitsweise wird den Menschen überlassen bleiben.

Ist KI der neue heilige Gral in der Kommunikationsbranche?

Eine KI kann sehr schlau sein, aber auch daneben liegen. Je nachdem, wie sie ausgerichtet ist.

Welche Innovationen sind Ihrer Meinung nach neben KI die verlässlichsten im Hinblick auf die Post-Cookie-Ära?

Unser Ansatz bei Quantcast ist multidimensional: Die KI steht im Zentrum, betrieben wird sie durch verschiedene Datensignale. Man kann sich das so vorstellen: Die KI ist wie ein Motor, während ID-Lösungen, First Party Daten – je also nach dem, worauf man das Targeting ausrichtet – der Treibstoff sind. ID-Lösungen sind deshalb sehr attraktiv, weil sie einen deterministischen Datenpunkt darstellen, beispielsweise bei Logins, bei denen Mail-Adressen angegeben werden müssen. Vom Standpunkt der Genauigkeit her sind ID-Lösungen ein valider Datenpunkt. Leider sind sie nicht sehr skalierbar. Also muss man im Idealfall die KI noch mit einem anderen Datenbereich füttern.

Wie erreicht man Skalierbarkeit?

Um Skalierbarkeit zu erreichen, sind wir schnell im Bereich der probabilistischen Datenpunkten. Auf welchem Device surfe ich? Auf welcher Geo-Location? Was ist die Sprache in meinem Browser? Diese Punkte bringen Volumen und damit eine bessere Skalierbarkeit. Wir müssen aber im Auge behalten, wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen entwickeln. Vielleicht werden ID-Lösungen in Zukunft nicht mehr DSGVO-konform sein.

Wie stark stehen Datenschutzrichtlinien der EU den Innovationen von Datenanalyseunternehmen im Weg?

Ich denke, dass die Datenhoheit für Nutzer vor Einführung der EU-Datenschutz-Grundverordnung gewährleistet war. Fraglich ist, ob User auch die Tragweite verstehen, wenn sie ihre Zustimmung für die Verwendung ihrer Daten an große Plattformen geben. Auf der anderen Seite war die Einführung EU-DSGVO sicherlich auch dafür gedacht, um eine gewisse Fairness im Markt zu kreieren und zu verhindern, dass die großen Player ihre Monopolstellung weiter ausbauen können.

Sie meinen, die EU-DSVGO war gut gemeint, aber schlecht umgesetzt?

Die Frage ist, wie sinnvoll diese Gesetzgebungen sind, um sie nach gewissen Regeln spielen zu lassen oder ob sie nicht an ihnen vorbei gehen. Es ist wichtig, dass diese Gesetze keine Schlupflöcher erlauben. Man hat ja gesehen, dass mit der Einführung der EU-DSGVO die großen Plattformen einfach ihre AGBs geändert haben und so ihre eigenen Richtlinien durchsetzen konnten.

Das Web3 soll Nutzer*innen ihre Datenhoheit zurückgeben. Wie können Unternehmen zukünftig personalisierte Marketingbotschaften auf Geräte und Plattformen senden?

Werbetreibende müssen mit Tech-Unternehmen zusammenarbeiten, die nicht nur auf eine Datenquelle zugreifen und die einen Privacy-First-Ansatz verfolgen. Hier kommen wieder KI-Tools ins Spiel, die ziemlich genau durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen die mögliche Zielgruppe identifizieren kann. Wenn ich First Party Daten habe und sehen kann, welche Inhalte Leute konsumieren, und eine KI habe, die diese Inhalte im Kontext betrachten kann, dann kann meine KI sehr akkurat vorhersagen, um welche Person es sich vor dem Bildschirm handelt.  

Betrachten Sie das Metaverse als Bedrohung für das Geschäftsmodell von Quantcast?

Als Bedrohung nicht. Das Metaverse ist kein Ersatz, sondern eine Weiterentwicklung. Das passt zu meinem Eingangspunkt, dass immer mehr Kanäle digital und programmatisch werden. Deshalb sehen wir das Metaverse als Wachstumschance. Inwieweit es sich durchsetzen wird und für welche Marken es dann interessant sein könnte, das wird sich zeigen. Das Metaverse ist auch nicht für jeden Advertiser interessant. Er oder sie muss sich fragen: Wer ist meine Zielgruppe und sind es Leute, die sich jetzt im Metaverse aufhalten?

Wie gewappnet sind Unternehmen für die Post-Cookie-Ära?

Ich kann nur für die DACH-Region sprechen. Aber es ist erschreckend, wie wenig Kunden die Cookie-freien Umfelder erschließen. Im DACH-Raum bewegt sich der Teil der Internetnutzer, der ohne Third-Party-Cookies surft, auf unter 40 Prozent. Der Markt schrumpft immer weiter und die Werbetreibenden wollen immer mehr auf diesen zugreifen. Das führt dazu, dass die TKPs teurer und die Kampagnen ineffizienter werden, dazu gehen die Reichweiten zurück. Ich sehe es nicht, dass die Advertiser sich dessen bewusst sind. Viele glauben, solange Google in Chrome die Third-Party-Cookies noch zulässt, fahren wir auf gute Sicht. Das stimmt aber nicht.

Klingt so, als seien viele Werbetreibende naiv…

Oft ist es eher Unsicherheit. Jeder erhofft sich einen heiligen Gral, aber so einfach ist das nicht. Ich habe bereits erklärt: Die Third-Party-Cookies können nicht durch eine Alternative ersetzt werden. Es ist ein komplexes Thema, weil nicht eine Lösung für jedes Unternehmen zwangsläufig passt. Für einen Werbetreibenden mag Contextual sehr gut funktionieren, für den anderen mag das viel zu ungenau sein. 

Welche sind die größten Hürden bei der Zusammenarbeit mit Ihren Kund*innen?

Neben dem Thema Cookieless ist es oft eine Herausforderung, wie eine Kampagne bewertet wird oder welches Tool die „Source of Truth“ darstellt. Dann aber auch, mit welchen KPIs wird bewertet. Wenn ich mit einer Branding-Kampagne starte, dann kann ich das nicht mit einem Cost per Conversion bemessen. Oder wenn ich eine CTV-Kampagne mache, dann nützt eine CTR nicht, weil wir nicht auf TV-Bildschirmen klicken. Kampagnen muss man mit den richtigen KPIs bewerten passend zu dem, was als Ziel hinterlegt ist. Manchmal ist es auch schwierig, das Investment richtig einzusetzen. Manche Kunden sind sehr auf das Thema Abverkäufe fixiert, was dazu führt, dass sie in manche Kanäle zu viel investieren und in anderen das Potenzial nicht ausschöpfen.

Nochmal zur Nachhaltigkeit: Wie wird das Trendthema im Programmatic Advertising aufgenommen?

Wer seine Technologie auf seinen Energieverbrauch hin optimiert, und das machen wir bei Quantcast seit über elf Jahren, macht sich effizienter. Dadurch wird die Technologie aber nicht zwangsläufig teurer. Ich glaube, dass viele Leute denken, dass weniger Energieverbrauch mit einer Minderung der Perfomance einhergeht und dass es teurer ist. Dies ist aber nicht der Fall – im Gegenteil.  

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.