dm, H&M, Tchibo: drei innovative Beispiele für Transformation

Ob Hackathon, Crowdfunding oder Lab – Tchibo, dm und H&M machen vor, wie Transformation durch Kooperation gelingen kann, und zeigen auf, wann welcher Ansatz Sinn ergibt.
Transformation
Kooperation führt zu Transformation führt zu Innovation. Dass das gelingen kann, machen einige Händler schon vor. (© iStock/marrio31)

Von Nadine Filko

Beispiel 1: Hackathon bei Tchibo

Wer Tchibo hört, denkt an Kaffee und Tradition. Dabei innovierte der Händler schon 1949 den Markt mit der Idee, Kaffee mit der Post zu verschicken. 1997 dann gehörte Tchibo zu den Pionieren des E-Commerce. Und heute entwickelt sich das Unternehmen über spezielle Events wie beispielsweise einen Hackathon weiter.

2019 das erste Mal durchgeführt, haben die Ergebnisse des Kooperationsansatzes die Initiatoren überzeugt. Im Fokus standen damals zwei Ziele: „Zum einen, das Start-up-Mindset von draußen nach drinnen zu holen. Zum anderen, frische Ideen für das Business zu finden. Das hat bombastisch funktioniert“, resümiert Juliane Tern, Head of Digital Strategy & Projects bei Tchibo.

Der Tchibo Hackathon (Foto: Tchibo)

Zahlreiche Mitarbeiter nahmen an der über drei Tage in der Hamburger Zentrale abgehaltenen Veranstaltung teil und ließen sich vom Spirit anstecken. Von 14 Ideen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Webshopdarstellung oder Voice-Commerce haben es zwei ins Tagesgeschäft geschafft. Deshalb plant der Kaffeeriese eine zweite Runde – wenn auch coronabedingt vermutlich als digitales Format. 80 fremde Ideenjongleure fanden am Sitz des Händlers in Hamburg zusammen, um mit Ideen zu spielen und den Status quo herauszufordern. „Obwohl wir räumlich mit Turnhalle, Schwimmbad, Duschen und Catering gut aufgestellt sind, war es dennoch ein enormer Aufwand, den wir anfangs unterschätzt hatten“, erinnert sich Tern.

Eindringlinge willkommen

Die detaillierte Planung etwa für Nachtbetrieb, Verfügbarkeit von gut funktionierendem WLAN und Bereitstellung von technischen Schnittstellen hat Tchibo intern organisiert. Aus Sicht des Teams hat sich der Aufwand gelohnt. Jeder Händler, der auf der Suche nach Ideen ist, solle es ebenfalls ausprobieren, so die Empfehlung. „Das Schöne ist, dass ein Hackathon so viele Facetten der Nutzung bietet, dass er sich für jedes Modell lohnt. Man kann sehr frei an das Format herangehen“, erklärt die Digitalexpertin.

Natürlich müsse das nicht in demselben Maßstab wie bei Tchibo passieren. Tern rät daher, auch über einen internen Hackathon in kleinerem Maßstab mit den eigenen Mitarbeitern nachzudenken. „Dabei sollte man aber beachten, dass man kein Silo schafft“, warnt sie. Denn nicht zuletzt lebe das Event von der Zusammenarbeit der Kollegen. Und umso mehr sie die Veranstaltung inspiriert, desto mehr transformative Energie wird frei.


Factsheet: Hackathon von Tchibo

  • Ansatz: Hackathon
  • Transformation durch: Spirit und Ideen
  • Ressourcen: Räume, Personal, Zeit, WLAN, Nachtbetrieb, technische Schnitt­stellen
  • Ziele: Ideengenerierung, Netzwerken, Wandel des Mindsets, Employer Branding
  • geeignet für: Händler, die nach inspirierenden Ideen suchen
  • Expertenrat: „Es ist ein Fehler, als Unternehmen nur ein spezifisches Ziel zu verfolgen. Transformation ist mehrdimensional und muss auch so implementiert werden.“

Mehr zum Thema: Warum es wichtig ist, neue Formate auszuprobieren, wie der Hackathon die Identität des Unternehmens verändert hat und welche weiteren Tools das Traditionsunternehmen Tchibo einsetzt, um neue Digitallösungen zu entwickeln, verrät Juliane Tern, Head of Digital Strategy & Projects, im „Handelsjournal„.

Beispiel 2: Crowdfunding bei dm

Ein Händler, der mehr als viele andere für neuartige und außergewöhnliche Produkte steht, ist der Drogeriemarkt dm. In seinem Sortiment finden Innovationen von jungen Unternehmen wie Einhorn oder Amorelie Platz. Kein Wunder also, dass dm auch im Rahmen seiner Kooperationsbemühungen mit Start-ups überrascht und nicht etwa die erprobte Form eines Accelerators oder Co-Working-Modells als Quelle der Inspiration und Transformation nutzt.

Per Crowdfunding ins dm-Regal: Hygiene­produkte des Berliner Start-ups The Female Company (Foto: dm)

„Wir bei dm richten uns bei der Gestaltung des Sortiments nach den Bedürfnissen und Wünschen unserer Kunden. So listen wir auch immer wieder innovative Produkte von Start-ups ein, die unseren Kunden einen echten Mehrwert bieten. Aus diesem Grund haben wir 2018 in Kooperation mit Startnext den Crowdfunding-Wettbewerb dmSTART! ins Leben gerufen“, erinnert sich Sebastian Bayer, Geschäftsführer des Ressorts Marketing und Beschaffung.

2018 hat der Drogeriemarkt über die Plattform Startnext mit dem Wettbewerb dmSTART! Gründer dazu aufgerufen, ihre Ideen einzureichen. Mehr als 100 Start-ups traten an, um mit Produkten, die von Hundefutter über innovative Pflaster bis hin zur Kaffeeseife reichten, die Jury zu überzeugen.

Der Kunde als Beschaffungsexperte

Insgesamt 20 Produkte durften im nächsten Schritt auf der Plattform von Startnext die zweite Hürde vorm dm-Regal nehmen: das Votum der Konsumenten. „Die Kunden konnten aktiv bei der Sortimentsgestaltung mitbestimmen, indem sie ihren Favoriten unterstützten“, erklärt Bayer. Am Ende hießen die drei Gewinner The Female Company, Oatsome und Nupro. Für den Experten steht fest, dass vor allem Händler, die noch mehr auf die Kundenwünsche eingehen wollen, vom Ansatz des Crowdfunding profitieren.

Der Kooperationsansatz dient vor allem dazu, innovative Ideen und Produkte kennenzulernen. Um eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne umzusetzen, bedarf es jedoch eines langen Atems. Denn es ist aufwendig, sich beispielsweise in der Jury zu betätigen und die Konzepte zu bewerten. In der Vorbereitungsphase standen die dm-Experten den Teilnehmern zudem beratend zur Seite. Mit Webinaren zu Themen wie Markenschutz, Logistik und Marketing rundete das Unternehmen das Kooperationspaket ab. „Diese Zeit ist für uns gut investiert, da beide Seiten profitieren“, so Bayer. Dm sichert sich auf diesem Weg den Zugang zu ungewöhnlichen Ideen – und die sind nicht allein für den Drogerieriesen spannend, sondern auch für seine Kunden.


Factsheet dm

  • Ansatz: Crowdfunding
  • Transformation durch: innovative Produkte
  • Ressourcen: Zeit, Workshops, Beratung, Infrastruktur, Wissen
  • Ziel: Sortiment kundenzentriert und innovativ aufstellen
  • geeignet für: Händler, die gemeinsam mit einem erfahrenen Partner ihr Sortiment entsprechend tatsächlichen Kundenwünschen innovieren wollen
  • Expertenrat: „Man muss über den Rand des Tellers hinausschauen, um ihn mit innovativen Ideen zu füllen.“

mehr zum Thema: Warum dm sich bei seinem Crowdfunding-Ansatz für Startnext als Partner entschieden hat, wie ressourcenintensiv die Umsetzung war und welche Effekte sich aus der Zusammenarbeit auf das Sortiment ergeben, erklärt Sebastian Bayer, Geschäftsführer Ressort Marketing und Beschaffung bei dm, im „Handelsjournal“. 

Beispiel 3: das Lab von H&M

Wer durch die Neue Schönhauser Straße in Berlin-Mitte flaniert, trifft auf eine Zelle, die das Potenzial hat, die Körperschaft, zu der sie gehört, nachhaltig zu verändern. Die Rede ist vom 2018 initiierten H&M LAB. Dort arbeiten Oliver Lange, Head of H&M LAB Germany, und sein Team am Handel der Zukunft. Als abgeschiedene Einheit verfügen sie über die nötige Eigenständigkeit, Ideen schnell und effizient zu testen, ohne durch langwierige Freigabeprozesse gebremst zu werden.

Wearable Love: Sensorenjacke aus dem H&M LAB, die virtuelle Berührung ermöglicht (Foto: H&M)

„Dabei können wir trotz aller Freiheiten auf die Ressourcen und die Fähigkeiten der Kollegen aus der laufenden Organisation zurückgreifen. Aber wir dürfen ein bisschen Rebel Innovation machen“, sagt der Visionär schmunzelnd. Ein klarer Vorteil von Labs als Transformationstreiber ist für Lange, dass sie andere Fragen stellen und Türen öffnen für Ideen, die in der Zukunft spielen. So kam ihnen beispielsweise die Idee zu Wearable Love, einer Jacke, die, über Sensoren und per App gesteuert, Berührungen nachahmt. Langes Team bewegt sich auf unerforschtem Terrain und will durch technologische Wagnisse den Massenmarkt von morgen gestalten.

Vom Experiment zum Möglichkeitsraum

Was Kundenbefragungen und Tests standhält, darf dann auch im großen Stil die laufende Organisation verändern. Ein Lab allein aber transformiere noch keinen Konzern, mahnt Lange. Allerdings trage es seinen Teil zum Wandel bei. Nicht allein durch die technologischen Möglichkeitsräume, die sich dem Konzern eröffnen, sondern auch durch zukunftsweisende Kollaborationen. Mit fünf Projekten pro Jahr erreicht das Team bis zu 50 Mitarbeiter aus der Organisation – Kollegen, die neue Methoden und Arbeitsweisen in ihr Umfeld tragen.

Die Ergebnisse aus dem Lab werden zudem in einem internen Kommunikationskanal gespiegelt. Laut Lange treibe das Lab so Transformation auf informativer Ebene an. Teilnehmer tragen ein Mindset aus ihrer Zelle ins Herz des Konzerns und verändern beispielsweise durch gemeinsame Workshops seine Frequenz. Im Kontext Corona beispielsweise durch die an Storemanager gespielte Frage, wie sie ihrer Nachbarschaft mit dem, was ihnen zur Verfügung steht, helfen können. „In den Stores wurden daraufhin beispielsweise Schaufenster und Teile der Ladenfläche leer geräumt, um sie anderen Händlern zur Verfügung zu stellen. Solche kreativen Lösungsansätze können wir als Lab antreiben“, sagt Lange erfreut.


Factsheet H&M

  • Ansatz: Lab
  • Transformation durch: die Schaffung von Möglichkeitsräumen, Kollaboration und Inspiration
  • Ressourcen: Freiheit für ein unabhängiges Team, Mindset, Kreativität und Entrepreneurship
  • Ziel: Explorieren von mutigen Ideen für den Massenmarkt
  • geeignet für: Händler, die keine Angst vor Experimenten haben und über die Ressourcen verfügen, eine autonome Einheit zu finanzieren
  • Expertenrat: „Kreist niemals um eure Organisation, sondern um das sich wandelnde Verhältnis des Kunden zum Konsum – und definiert, wo ihr da reingehen könnt.“

mehr zum Thema: Wie bei H&M der Austausch zwischen Lab und Organisation angelegt ist, warum es bei überschaubaren Kosten gelingt, einen hohen Output zu erzeugen, und wie weit der transformatorische Einfluss auf das Gesamtunternehmen reicht, erklärt Oliver Lange, Head of H&M LAB Germany, im Interview beim „Handelsjournal“.