Sounddesign und E-Mobilität: Eine einzigartige Gelegenheit

Der klassische Motorsound ist für viele Autofans wie ein Statussymbol. Und wo bleibt der "Fahrspaß" beim E-Auto? Autohersteller arbeiten am akustischen Erscheinungsbild ihrer an sich leisen Elektromobile und holen sich dafür prominente Unterstützung an Bord.
Der Starkomponist Hans Zimmer hat für die Filmmusik von „König der Löwen“ einen Oscar erhalten. Nun kreiert er auch den "Soundtrack" für Elektrofahrzeuge. (© BMW)

Wie Motoren dröhnen, Bremsen quietschen oder Türen schlagen, das ist für Menschen, die Fahrzeuge bauen und für manche, die sie fahren, ein von Außenstehenden bisweilen unterschätztes Thema. Unter all den Geräuschliebhabern hat es Bernhard Orthuber vor etlichen Jahren zu kurzer Berühmtheit im Showbusiness gebracht. Bei „Wetten, dass…“ trat der Industriekaufmann aus München mit der Behauptung auf, er würde durch das Klopfen auf Kotflügel und Motorhaube eines Wagens erkennen, um welche Marke und welches Modell es sich handelt. Nun ja, viel mehr als einen Renault Mégane, und das unter tätiger Mithilfe von Moderator Thomas Gottschalk, vermochte der Wettkandidat nicht zu identifizieren.

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Zusammenspiel von Auto und Audio

Sounddesigner geben sich mit Klopfzeichen ohnehin nicht zufrieden. In der Automobilindustrie haben diese Profis ihren festen Platz; jede Marke von Rang will sich unverwechselbar Gehör verschaffen. Die Lust, markentypischen und von Menschen gemochten Klang zu kreieren, hat nicht nachgelassen – mit dem Einzug der Elektromobilität bekommt das Zusammenspiel von Auto und Audio jetzt weitere Facetten. Hans Zimmer sieht darin eine große Chance. „Zum ersten Mal seit der industriellen Revolution haben wir die einzigartige Gelegenheit, die Klänge unserer Städte neu zu gestalten und zu definieren“, sagt der weltweit renommierte und preisgekrönte Komponist, der unter anderem für die Filmmusik von „König der Löwen“ einen Oscar erhielt.

BMW-Sounddirektor Renzo Vitale (links) und Hans Zimmer haben die Antriebssounds für die E-Autos von BMW entwickelt. ©BMW

Zusammen mit Sounddirektor Renzo Vitale hat Zimmer die Antriebssounds für die Elektrofahrzeuge von BMW entwickelt. Den Weltstar verbinden mit der Marke frühe Erinnerungen, wie er erzählt. „Als Kind habe ich meine Mutter beim Heimkommen am Klang ihres BMW erkannt.“ Jetzt schließt sich der Kreis, indem Zimmer „Emotionen für das elektrische Fahrerlebnis von morgen schafft“. All das mit großem Aufwand: Im Projekt „BMW Iconic Sounds Electric“ fließen Aufnahmen aus Zimmers Studios in Los Angeles und London, dem BMW-Soundlabor in München und von vielen virtuellen Sessions zusammen.

Der Soundtrack für E-Fahrzeuge

Um den Soundtrack für Fahrzeuge zu kreieren, geht Hans Zimmer ähnlich vor wie bei Filmkompositionen. Er befasst sich mit der Geschichte, die erzählt werden soll, und daraus entsteht das akustische Drehbuch in seinem Kopf. Auch andere Marken arbeiten bei der Klangbildung ihrer Elektro-Autoflotte mit prominenten Künstlern zusammen. Volkswagen zum Beispiel engagierte für den speziellen Sound des ID.3 den Musiker Leslie Mandoki, bekannt geworden durch den Erfolg seiner Band „Dschingis Khan“.


Eigentlich kommen batteriebetriebene Fahrzeuge auf leisen Reifen daher. Eine Eigenschaft, die viele Menschen mögen. Die Puls Marktforschung, die für ihren „Autokäufer Monitor“ jeden Monat tausend Personen mit Autokaufabsichten befragt, hat in einer Sonderauswertung herausgefunden: Nach der Probefahrt mit einem Elektroauto werden besonders die starke Beschleunigung und Schnelligkeit (40 Prozent), das leise Fahren (32 Prozent) und der Fahrspaß (26 Prozent) gelobt. „Die primär vom Abrollen der Räder stammenden Fahrgeräusche überraschen bei E-Auto-Probefahrten zwar positiv, werden aber wohl zum generischen Merkmal von Elektroautos“, prognostiziert Puls-Geschäftsführer Konrad Weßner.

Warum es ohne Krach nicht geht  

Die Idee, den elektrischen Autoverkehr ganz leise zu drehen, liegt nahe, jedoch: Die E-Autos müssen vorschriftsgemäß ein bisschen Krach machen. Die bereits 2014 verabschiedete EU-Verordnung 540 schreibt Fahrgeräusche vor. Seit Juli 2021 müssen neu zugelassene Elektrofahrzeuge mit einem sogenannten Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ausgerüstet sein, um Unfälle mit Fußgängern und Radfahrer zu vermeiden. Unter anderem ist vorgeschrieben, dass Elektroautos beim Anfahren lauter werden und beim Rückwärtsfahren einen Warnton ausstoßen. Die Lautstärke bewegt sich im Geräuschpegel zwischen einem kräftig brummenden Kühlschrank und einer schleudernden Waschmaschine, in Zahlen: zwischen 56 und 75 Dezibel. Außerdem muss der Ton einem Verbrenner gleicher Bauart ähneln, nicht erlaubt sind Musikstücke, Naturgeräusche und abstrakte Sounds.

„Elektroautos haben das Potenzial, Automarken mit einem neuen Status aufzuladen“, sagt Konrad Weßner. „Die klassischen Statussymbole wie Motorsound bei Verbrenner-Fahrzeugen bröseln zugunsten von Understatement, Green Tech und der Dokumentation eines grünen Lebensstils.“ Tempo und Dynamik bleiben wichtig, so der Marktforscher, doch sie werden nicht explizit herausgestellt. „Beschleunigung und Motorleistung hat man, ohne darüber sprechen zu müssen.“

„Elektroautos haben das Potenzial, Automarken mit einem neuen Status aufzuladen“, sagt Konrad Weßner, Geschäftsführer der Puls Marktforschung. ©Puls

Autofahren wird für viele eine emotionale Angelegenheit bleiben. „Elektroautos ziehen wohl aus einem entspannteren Fahren ihren Fahrspaß“, meint Marktexperte Weßner. Laut einer Puls-Studie geben 23 Prozent der deutschen Autokäufer*innen an, dass sie im Vergleich zu den Verbrennern mehr Fahrspaß mit Elektroautos haben; für 36 Prozent fühlt es sich noch gegenteilig an. Weßner glaubt, dass das für E-Autos typische „entspannte Gleiten“ in Kombination mit der bei Stromern immer noch vorhandenen Angst vor zu schnell schrumpfenden Reichweiten zu einer weniger aggressiven Fahrweise führen werden.

Akustisches Markenprofil weiterentwickeln

Die Autohersteller entwickeln derweil das akustische Profil ihrer Marken weiter. Porsche nutzt dabei den tatsächlichen Klang der Elektromobile. Die Reifen rollen, das Getriebe singt und der Motor summt – all das erzeugt Geräusche, die sich im elektrischen Porsche Taycan wiederfinden. Die Soundprofis der Sportwagenmarke legen Wert darauf, keinen künstlichen Klang zu komponieren, sondern aus dem Original-Konzentrat das Beste zu verwenden – und was stört, weil es vielleicht, wie Soundingenieur Tobias Hillers formuliert, „nach Zahnarztbohrer oder Straßenbahn klingt“, wird rausgefiltert. Die Basis von allem ist dabei der „Porsche Electric Sport Sound“, der in langen Studiosessions und zahlreichen Testfahren entwickelt wurde.

Alle Hersteller haben enorm investiert, um das Markengefühl akustisch ins Elektroauto zu transportieren, beobachtet Stephan Deuschle, Chef von Step Advertainment, einer führenden Media- und Fullservice-Agentur für Audio- und Radio-Kampagnen. Manche Marken haben sich „zu sehr ausgetobt und aufdringliche Sounds entwickelt, die auf Dauer nervig sein können“, sagt der Klangprofi. Bei Citroen zum Beispiel findet er die musikalischen Spielereien und Gesänge etwas übertrieben. Insgesamt zeigt sich Deuschle aber nicht davon überrascht, dass in der E-Mobilität synthetische oder überwiegend digital bearbeitete Sounds genutzt werden. „Man erkennt eine Entwicklung zu einer elektronischeren und progressiveren Klangästhetik. Alles wird prägnanter und uniquer.“ Der Experte rät, das akustische Erscheinungsbild eines E-Automobils harmonisch zu gestalten. „Bestenfalls sollen alle Sounds wie Fahrgeräusche, Audiologos, Musik und Tonalität perfekt zusammenpassen, das trägt zur unmittelbaren Wiedererkennung bei“.

Roland Karle (rk, Jahrgang 1966) schreibt über Marken & Medien, Beruf & Sport. Hat BWL/Marketing an der Uni Mannheim studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und arbeitet seit 1995 freiberuflich. Er porträtiert gerne Menschen in Zeilen und Märkte durch Zahlen. Hang zum Naschkater und Volltischler. Im früheren Leben ein fröhlicher Libero.