So stemmen sich Agenturen gegen den Personalmangel 

Den Nachwuchs- und Fachkräftemangel spüren auch Agenturen. Zugleich kämpfen sie gegen Klischees von zu langen Arbeitszeiten und zu niedriger Bezahlung. Was sagen führende Köpfe aus Agenturen dazu – und wie recruiten sie?
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Die Agenturwelt ist auf qualifizierte Mitarbeiter angewiesen und sucht auf ganz unterschiedlichen Wegen nach Personal. (© Stocksy)

Die Klage hält sich hartnäckig: Agenturen leiden unter Nachwuchs- und Fachkräftemangel, weil Arbeitszeiten (zu hoch) und Gehalt (zu niedrig) abschrecken. „Das sind wirklich alte Bilder“, entgegnet Benjamin Minack, Gründer und Geschäftsführer von Ressourcenmangel. Dort werde jede Überstunde abgebummelt, und was das Geld betrifft, so „können wir – bis zu einem gewissen Senioritätslevel – locker mit den Gehältern bei unseren unmittelbaren Wettbewerbern in Industrie und Dienstleistung mithalten“. 

Auch Tobias Bartenbach verweist „das Klischee in die Vergangenheit“. Mittlerweile wechseln auch einige Fachkräfte aus der Industrie wieder in die Agenturen, berichtet der Vorstand der Mainzer Werbeagentur Bartenbach. „Das geht nur durch attraktive Vergütungsmodelle und ein kreatives und inspirierendes Umfeld“, sagt der Agenturchef.  

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Unternehmen bewerben sich heute vielfach beim Personal, nicht umgekehrt: Das brachte die Verantwortlichen der Werbeagentur Bartenbach auf diese Idee. ©Bartenbach

Jochen Kalka, Mitglied der Geschäftsleitung von Schoesslers, der zu Vogel Communications zählenden PR-Agentur, räumt zwar ein, dass die Einstiegsgehälter relativ gering seien, ähnlich wie bei den größten Zeitungshäusern, „allerdings kann man in Agenturen schneller Karriere machen“. Und Kalka stellt fest, dass sich der Bewerbermarkt seit Frühjahr 2023 für die Agenturwelt deutlich gebessert hat. 

Klar, jede Agentur ist anders. Segment und Ausrichtung, Umfeld und Standort, Profil und Personen unterscheiden sich, ebenso die Mittel und Wege, neue Leute zu gewinnen (und das Stammpersonal zu halten). Die folgenden Beispiele zeigen, wie Agenturen mit pfiffigen Ideen, coolen Projekten und bewerberorientierten Angeboten überzeugen.  

JOM Group: Mittendrin bei LinkedIn

Die JOM Group, spezialisiert auf Media und hybride Marketingkommunikation, hat viel zu tun und einige Stellen offen – vor allem auf Senior-Level –, die schon länger als ein Quartal nicht besetzt werden konnten. „Es wird schwieriger, Personal mit einer gewissen Erfahrung und Expertise zu finden“, sagt Managing Director Volker Neumann. Im Gegensatz zu früher, als klassische Stellenanzeigen das bevorzugte Mittel der Wahl waren, sucht die Recruiting-Abteilung der Hamburger Agentur jetzt häufig den gezielten Kontakt.

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Volker Neumann, Managing Director JOM Group: „Es wird schwieriger, Personal mit einer gewissen Erfahrung und Expertise zu finden.“ ©Torben Frodermann

„Der verstärkte Fokus auch auf Business-Netzwerken wie LinkedIn hat sich für uns mehrfach bewährt. Nach erster erfolgreicher Ansprache erfolgt dann unser normaler Bewerbungsprozess und im Idealfall finden wir dabei zusammen“, erläutert Neumann. Wichtig sei, dass die Rahmenbedingungen passen. Neben finanziellen Aspekten geben auch Faktoren wie hybrides Arbeiten, flexible Arbeitszeiten oder Weiterbildungen den Ausschlag für eine Zu- oder Absage. 

# Bartenbach: Azubi-Suche im Hausbesetzer-Stil 

Der Mainzer Kaufmannshof liegt an einer vielbefahrenen Kreuzung und das Gebäude der Werbeagentur Bartenbach, die dort seit Anfang 2023 residiert, ist weithin sichtbar. Diesen Umstand machte sich die Agentur zunutze und pinnte großflächig Plakate an ihre Fassade: „Dieses Haus ist B-setzt, außer 4 Azubi-Stellen“, stand da zu lesen. Ein „Aufruf im Hausbesetzer-Stil“, wie Vorstand Tobias Bartenbach sagt, der seinen Zweck nicht verfehlte. „Diese Aktion mit leicht subversivem Guerilla-Touch bescherte der Arbeitgebermarke Bartenbach viel Aufmerksamkeit“, so der Agenturchef.

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Tobias Bartenbach, Vorstand Bartenbach AG: “Es lohnt sich, Neues auszuprobieren und auch bei Recruiting-Maßnahmen mutig zu sein.” ©Bartenbach AG

Via Social Media wurde die Aktion mit „Unbesetzt“-Postings, die leere Arbeitsplätze in der Agentur zeigten, weitergespielt. Beim Recruiting ist außerdem Tempo gefragt, weshalb Bartenbach auch auf Speeddating setzt. Einer der eingestellten Azubis führte sein Vorstellungsgespräch während einer Jobmesse direkt am heimischen Bildschirm – und er fand das „ziemlich praktisch und zeitgemäß“. Es lohne sich, Neues auszuprobieren und auch bei Recruiting-Maßnahmen mutig zu sein, sagt Tobias Bartenbach. Sein Credo: Das Unternehmen bewirbt sich beim Personal, nicht umgekehrt. „Wir gehen das Thema wie einen Pitch an“, so der Agenturchef.

# Moccamedia: Mehrere Hebel in Bewegung setzen

Regionales Handelsmarketing und verkaufsorientierte Mediaplanung, damit kennt sich die Agentur Moccamedia so richtig gut aus. Misslich allerdings, dass es dafür weder einen adäquaten Ausbildungsberuf noch Studiengang gibt. Hinzukommt: Der Hauptfirmensitz Trier hinkt im Wettbewerb der Werbestandorte hinterher. Was also tun, um qualifizierte Kräfte und Talente zu gewinnen? Den Nachwuchs selbst ausbilden, Weiterbildung in der eigenen Mocca Academy und regionale Präsenz, wie etwa als Hauptsponsor der queeren Rosa Karnevalssitzung in Trier, sind ein Teil der Antwort.

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Patrick Becker, Geschäftsführer Moccamedia: „Über persönliche Empfehlungen haben wir im vergangenen Jahr zehn neue Mitarbeitende gewonnen.“ ©privat

Zu den wichtigsten Maßnahmen in letzter Zeit zählt Geschäftsführer Patrick Becker die neu gestaltete Karriereseite mit den eigenen Leuten als Testimonials, den deutlich beschleunigten Bewerbungsprozess sowie die Direktansprache auf LinkedIn. Als sehr erfolgreich hat sich zudem das Programm „Moccas werben Moccas“ erwiesen. „Über persönliche Empfehlungen haben wir im vergangenen Jahr zehn neue Mitarbeitende gewonnen“, berichtet Becker. Als Anreiz erhalten die angestellten Tippgeber eine Prämie – und der Einstieg für die Neuen fällt leichter, wenn man schon jemanden kennt.  

# Ressourcenmangel: Ganz was Neues – Stellenanzeigen! 

„Wir möchten eine Agentur für alle Altersgruppen, für alle Lebensphasen sein“, sagt Ressourcenmangel-Chef Benjamin Minack. Das setzt voraus, die Bedürfnisse Anderer zu akzeptieren, Freiraum zu schaffen, Vertrauen vorzuschießen. Wenn’s klappt, „bindet das ungemein“, so Minack. Vorm Binden kommt das Finden, und da wartet er mit einer Neuigkeit auf, die anderswo nicht der Rede wert wäre.

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Benjamin Minack, Gründer und Geschäftsführer von Ressourcenmangel: „Wir schalten Stellenanzeigen. Das haben wir zehn Jahre lang nicht gemacht.“ ©Alexander Klebe

„Wir schalten Stellenanzeigen“, sagt der Geschäftsführer. „Das haben wir zehn Jahre lang nicht gemacht.“ Freie Stellen werden stark auf Social Media und kostenfreien Branchen-Jobbörsen beworben, außerdem auf der eigenen Karriereseite mit guter organischer Reichweite. Minack: „Wir setzen Stellenanzeigen spitz ein, dann funktionieren sie ganz gut.“ 

# Schoesslers: Der Obstkorb ist out      

Schnell auf sich wechselnde Wünsche und Befindlichkeiten zu reagieren, ist wichtig, um Mitarbeiter zu binden. Schoesslers-Manager Jochen Kalka weiß das nur zu gut. Der klassische Obstkorb sei schon wieder out, die Menschen wollen immer freier arbeiten, zwischen Homeoffice und Büro entscheiden. „Deshalb ist die Lage des Büros wichtiger.“ In Berlin ist die PR-Agentur auf dem Dach der Mall of Berlin mit Blick auf die Reichstagskuppel, in Hamburg gegenüber der Philharmonie, damit lässt sich punkten.

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Jochen Kalka, Mitglied der Geschäftsleitung von Schoesslers: „Wenn der Spirit stimmt, dann entwickelt sich eine positive Eigendynamik.“ ©Schoesslers

Auch bei den Goodies geht’s um Entscheidungsfreiheit, etwa zwischen Jobrad, 49-Euro-Ticket, Fitnessclub oder Einkaufsguthaben. Entscheidend sei jedoch der Teamgeist. „Wenn der Spirit stimmt, dann entwickelt sich eine positive Eigendynamik“, sagt Kalka.  

# The Goodwins: Miteinander sprechen – ganz unspektakulär 

Offene Stellen bleiben bei The Goodwins nicht lange unbesetzt, berichtet Tim Stübane, Managing Director Creative & Founder. Da zahlt sich aus, dass die Agentur gut vernetzt ist und „immer Kontakt zu interessanten Talenten“ hält – und zwar auch, wenn es keine Vakanzen gibt. Leute zu gewinnen, sei bei The Goodwins nichts Spektakuläres. „Wir unterhalten uns mit Menschen, die mit uns arbeiten wollen, tauschen uns aus über die Welt, die persönliche Situation und Motivation, über berufliche Erfahrungen und Projekte“, so Stübane.

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Tim Stübane, Managing Director Creative & Founder bei The Goodwins, über die neue HR-Verantwortliche in der Agentur: „Es war an der Zeit, dass sich eine Hauptverantwortliche um diesen extrem wichtigen Bereich kümmert.“ ©privat

Am Ende stehe meist eine klare Entscheidung, pro oder contra. Auch keine Sensation, aber „fantastisch“: The Goodwins haben seit wenigen Monaten mit Meike Weist eine HR-Verantwortliche im Team. Es war an der Zeit, betont Stübane, dass „sich eine Hauptverantwortliche um diesen extrem wichtigen Bereich kümmert“. 

Roland Karle (rk, Jahrgang 1966) schreibt über Marken & Medien, Beruf & Sport. Hat BWL/Marketing an der Uni Mannheim studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und arbeitet seit 1995 freiberuflich. Er porträtiert gerne Menschen in Zeilen und Märkte durch Zahlen. Hang zum Naschkater und Volltischler. Im früheren Leben ein fröhlicher Libero.